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Auf der Brücke der Aquarius hält die Crew Ausschau nach Flüchtlingen in Seenot.

© Kai Müller

Flüchtlingsrettung im Mittelmeer: Das Drama des Ertrinkens auf ruhiger See

Die Aquarius kreuzt zwölf Meilen vor der libyschen Küste, um so viele Flüchtlinge zu retten wie möglich. Der Tagesspiegel hat die Crew eine Woche lang begleitet. Unser Blendle-Tipp.

Der Wind hat über Nacht weiter abgenommen. Nun hebt und senkt sich das Meer wie unter letzten Atemzügen, einem Seidenlaken ähnlich, das silbrig in der Vormittagssonne glänzt. Dünner Nebel zieht auf und verflüchtigt sich wieder, scheint das Kräuseln der Wellen zu ersticken. Es ist einer jener Tage, von denen der alte Seemann und Schriftsteller Joseph Conrad gemeint haben könnte, dass sich die machtvolle See „wirklich liebenswert“ zeigt.

Die Aquarius durchschneidet diese Windstille gemächlich. Das Schiff der Rettungsorganisation SOS Mediterranee mit der weithin sichtbaren orangefarbenen Rumpfbemalung hat es nun beinahe zu dem Punkt geschafft, zu dem es dirigiert worden ist. Auf der elektronischen Seekarte ist der Punkt als roter Kreis markiert. Er gibt die ungefähre Position eines Bootes an, das um Hilfe gerufen hat. Der Notruf war bei der Koordinierungsstelle für die Rettungseinsätze im Mittelmeer MRCC in Rom eingegangen. Die Menschen in dem Boot hatten sich dort gemeldet, hatten mit einem Telefon die Nummer gewählt, die ihnen die Schlepper genannt hatten. Nun hält der Kapitän auf der Brücke Ausschau nach dem winzigen Objekt. Er bekommt Gesellschaft von weiteren Mitgliedern dieser außergewöhnlichen Unternehmung. Einer nach dem anderen drängt herauf, um mit seinem Fernglas den trüben Horizont abzusuchen.

Einer glaubt etwas an Backbord gesehen zu haben. Worauf Blicke in diese Richtung schwenken. Aber die Wellen spielen ein böses Spiel mit der Erwartung. Da ist nichts. Nur ein Möwenschwarm. Einer der Neulinge an Bord, in eine nagelneue grüne Latzhose gekleidet, will wissen, ob wo Möwen seien, auch Leichen im Wasser trieben. „Ich habe mal gehört, dass sie Ertrunkenen die Augen auspicken.“

„Pfff“. Der Kapitän schaut überrascht zu dem Neuen herüber.

Seit Alexej Moroz 15 Jahre alt und Kadett an einer sowjetischen Marineschule war, ist er auf den Weltmeeren unterwegs. An Bord wird er von allen respektvoll Kapitän Alex genannt. Der gebürtige Weißrusse hat sich vieles Merkwürdiges anhören müssen. Irgendwann ist er dazu übergegangen, sich lästiger Bemerkungen durch einen scharfen Seufzer zu erwehren: „Pfff!“

Geisterjagd nennt er mit schwerem Akzent, was sie gerade veranstalten. Statt überall Boote zu entdecken, die sich bloß als Reflexe im schattenlosen, milchigen Licht herausstellen, solle man warten.

Also warten.

Bis plötzlich in der Ferne eine Kontur auftaucht, die nicht wieder verschwindet. Die sich sogar prägnanter vom Dunst abzuheben beginnt. Da ist das Boot, das gesuchte, überladen mit Menschen, wie Gummiwülste in der Dünung wippend. Ein schwimmender Notstand auf ...

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