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Alte Zeiten. Mit 26 Jahren war Mario Czaja bereits Vize-Fraktionschef der Berliner CDU. Doch auch sein jüngerer Bruder Sebastian, seinerzeit 18, hatte 2002 schon politische Ambitionen.

© imago/Rolf Zöllner

Erste Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses: Die Czaja-Brüder sind zurück - jeder für sich

Sie reden dauernd über Politik. Nur nicht miteinander. Mario (CDU) und Sebastian Czaja (FDP) entzweite die Karriere. Dann kam ihr Wahlerfolg. An diesem Donnerstag treffen sich die beiden im Parlament - in der Opposition.

Mario Czaja schüttet Aspirin in sein Mineralwasser, trinkt einen Schluck, zieht das Jackett aus, lehnt sich in den Sessel - und seufzt leise. Der Wochentag, trotz Sonne herrscht schon Herbstfrische, beginnt in seinem Wahlkreisbüro in Mahlsdorf. Ostberliner Stadtrand, alte Eichen, Häuschen, junge Familien.

Für Mario Czaja enden turbulente Wochen, wenn nicht Jahre: Als Sozial- und Gesundheitssenator ist er für Flüchtlingsheime zuständig gewesen. Chaos, Korruptionsvorwürfe, Rücktrittsforderungen folgten. Dann verlor die CDU die Wahl heftiger als erwartet. Und nun tobt in der Partei eine Sexismus-Debatte.

Doch das Seufzen zeugt auch davon, dass der Druck auf Czaja nachlässt. Er ist erleichtert - zumindest berlinert Czaja nur, wenn es ihm gut geht. Wie gehts, Herr Noch-Senator? n bisschen entspannter is et schon!

Mario Czaja, 41 Jahre, war der erfolgreichste der 652 Direktkandidaten der Abgeordnetenhauswahl. Während seine CDU-Kollegen in ihren West-Berliner Hochburgen an Stimmen verloren, gewann Czaja nicht nur seinen Mahlsdorfer Wahlkreis. Er verbesserte sein Ergebnis sogar: 47,4 Prozent der Erststimmen für ihn, 31 Prozent der Zweitstimmen für die lokale CDU. Und das dort, wo nicht nur die Linke viele Stammwähler hat, sondern auch die AfD stärker wurde.

Und doch gibt es neben Mario Czaja jemanden, der bei dieser Wahl ebenso unerwartet erfolgreich war. Jemanden, der als Spitzenkandidat die Stimmen für seine abgeschlagene Partei vervierfachte und sie wieder ins Abgeordnetenhaus führte: Sebastian Czaja, 33, FDP-Generalsekretär - und Marios jüngerer Bruder.

Die Czaja-Brüder sehen sich bei den Eltern - meiden sich aber in TV-Studios

Es ist nicht lange her, da galten die Czaja-Brüder als abgeschrieben. Selbst in ihren Parteien glaubten viele nicht so recht, dass sich mit den Brüdern noch politische Schlachten gewinnen lassen. Beim Älteren, weil er in der Flüchtlingskrise zögerte und selbst mitregierende Sozialdemokraten ihn derart bloßstellten, dass er seinen Rücktritt anbot. Beim Jüngeren, weil er die CDU im Streit verließ und mit der untergehenden FDP auf die falsche Partei gesetzt hat.

Nun sind die Brüder, die belächelten Ossis, zurück. Über Politik reden beide andauernd. Nur nicht miteinander.

Zwar bestätigen die Brüder, man habe ein gutes Verhältnis, sehe sich ab und zu bei den Eltern, die in jenem Haus in Mahlsdorf wohnen, in dem sie aufgewachsen sind. Doch selbst nach dem Wahlerfolg vermieden es beide, gemeinsam in einem Fernsehstudio zu sitzen. Früher schauten sich die Brüder oft nicht mal an, wenn sich ihre Wege im Abgeordnetenhaus kreuzten.

Dabei ähneln sie sich. Wie sein Bruder schätzt Sebastian Czaja die Ironie. Eine Nähe auch beim Stil: straffe Anzüge, auf die Ernährung achten beide, kontrolliert sind sie auch, nie polternd, die Berliner Version von „smart“. Und beide sind politisch so begabt wie ambitioniert. Darin liegt auch das, was beide trennt - und zu Konkurrenten macht.

Stratege der eine, der Ältere, der immer schon daran dachte: Was hat das für Folgen - morgen, nächstes Jahr, zur kommenden Wahl? Der andere, Jüngere, ein bisschen zu eifrig, wollte Abkürzungen nehmen: Wie klappt es bei mir so schnell wie bei Mario? Klar, dass das bei Brüdern zu Konflikten führt.

Mario Czaja zieht sich das Jackett an, plaudert mit seinen Mitarbeitern, verlässt das Büro und tritt auf die Fritz-Reuter-Straße. Bei „Foto Zingel“ gegenüber hat er 1988 sein erstes Passbild machen lassen. An der Laterne davor hängen Wahlplakate: Oben Sebastian, der mehr Sicherheit fordert - in FDP-Gelb. Darunter Mario, der ankündigt, dass die Mahlsdorfer Oberschule „zügig gebaut“ wird - ohne CDU-Rot, ohne Parteilogo.

Mario Czaja hat trotz, nicht wegen der CDU gewonnen. Frank Henkel, sein glückloser Parteichef, die West-CDU, überhaupt die Berliner City - das alles löst am Stadtrand eher Spott aus. Czaja läuft zügig in eine Allee, bleibt dann stehen, um eine Mutter mit Kinderwagen zu grüßen. Die reagiert, als drehe jemand einen Wahlspot: „Ach, Sie! Ja, danke!“ Zehn Minuten später, Mario Czaja geht durch eine Siedlung baufrischer Einfamilienhäuser, ruft ein Mann mit Gießkanne über den Gartenzaun: Jewonnen, ne!? Kann man so sagen, ruft Mario Czaja zurück, alles gut bei Ihnen?! Nicken am Zaun, der Noch-Senator läuft weiter.

Mario Czaja über seinen Bruder: „Er hat vieles richtig gemacht.“

Über seinen Bruder sagt er nur: „Was seine Kampagne angeht, hat er vieles richtig gemacht.“ Der Ältere meint die Pro-Flughafen-Tegel-Ansage des Jüngeren, vielleicht auch dessen Slogan „Zeit für das nächste Berlin.“ Vor allem aber meint Mario: Sebastian hat's schlau angestellt, klar, er hat ja bei mir gelernt.

Das nächste Berlin steht oben auf dem Parkdeck des Ringcenters in Lichtenberg. Ganz weit hinter Sebastian Czaja ist der Fernsehturm am Alex zu sehen. Sehr nah am Parkdeck macht die S-Bahn ihre unverwechselbaren Bremsgeräusche. Um Czaja herum stehen zweihundert, dreihundert Leute, die dieses neue Berlin verkörpern, das Czaja meint. Sie halten Gläser trockenen Weißweins in der Hand oder ein Craft Beer der Berliner Jung-Brauerei BRLO, schön kalt aus der Badewanne voller Eiswürfel.

Die meisten sind jung, schlank. Sie sind der Einladung der Projektentwickler von „MQ Real Estate“ gefolgt. Die jungen Männer wollen ungenutzte Decks großer Parkhäuser zu Hotels umbauen, modulweise mit Zimmern in Container-Größe, schick eingerichtet. Das neue Berlin: Hier steht es auf einer Betonfläche unter dem Berliner Spätsommerhimmel, in Gestalt von Menschen, die das Projekt feiern, in Gestalt von Modulen, die die Raumprobleme der Zukunft lösen sollen, in Gestalt eines Unternehmens, das als Start-up gegründet worden ist und, wenn man die Party zum Maßstab macht, jede Menge Zukunft vor sich sieht.

So stellt sich Sebastian Czaja, der Wahlsieger von der FDP, das neue Berlin vor: mutige Leute, coole Ideen, unkonventionelle Pläne. Im Wahlkampf brachte er es auf die Formel „das nächste Berlin“, als sähe er die Parkdeck-Party vor sich. Noch redet der MQ-Gründer und erzählt, wie man auf die Idee vom Modul-Hotel gekommen sei, er spricht vom Konzept der „Nachverdichtung“ von „zunehmend leeren“ Parkhausdecks - man fährt Fahrrad in Berlin oder shared sein Car. Dann geht Sebastian Czaja nach vorn und entweder ist der Mann, der für die Berliner FDP gerade 6,7 Prozent und zwölf Mandate im Abgeordnetenhaus gewonnen hat, noch in Wahlkampfstimmung - oder wirklich angetan.

Raum-Module auf Parkdecks, das sei das Richtige „für das nächste Berlin“, wenn man Flächen passend ausweise, könne man den Wohnungsmarkt entspannen. Berlin werde pro Jahr um rund 50 000 Neu-Berliner „reicher“, sagt Czaja. Und lobt: „Sie haben es trotz der Politik geschafft!“ Das sagt man so, wenn man von der außerparlamentarischen Opposition kommt.

Mario Czaja (l.) sitzt für die CDU im Abgeordnetenhaus, Sebastian Czaja ist für die FDP ins Parlament eingezogen.
Mario Czaja (l.) sitzt für die CDU im Abgeordnetenhaus, Sebastian Czaja ist für die FDP ins Parlament eingezogen.

© Thilo Rückeis/Jörg Carstensen,dpa; Kollage: Tsp

Offiziell Konkurrenten sind Mario und Sebastian Czaja seit Juni 2005. Damals verließ der CDU-Bezirksverordnete Sebastian Czaja, 21 Jahre, den CDU-Kreisverband Wuhletal (die freundliche Bezeichnung für Marzahn-Hellersdorf) und wechselte zur FDP. „Bruderzwist in Wuhletal“, hieß es danach im Tagesspiegel: Sebastian Czaja gehe, „weil ihm missfällt, wie sein Bruder Mario Czaja den Kreisverband führt“.

Viel mehr war nicht zu hören, nur Andeutungen: Die damals Dreißigjährigen in der CDU machten Machtpolitik wie die Fünfzigjährigen, sie setzten sich in der Schulpolitik bloß für die Interessen der Leute mit Eigenheimen ein, aber nicht für die Leute in den Großsiedlungen. Seit damals ist das so: Die beiden konkurrieren, aber reden nicht darüber.

Sebastian Czaja besucht noch heute seine alte Schule

„Wir lassen Privates aus der Politik raus“, sagt Sebastian Czaja. Auch die Antwort auf die Frage, was ihm an der FDP besser als an der CDU gefalle, umspielt er ironisch: „Ich habe mich entwickelt.“ Die FDP-Kollegen würden das bestätigen. Er sei „runder geworden als Person“, sagt eine Wahlkämpferin und preist sein „unglaubliches Engagement“, die zahllosen Termine, die Sebastian Czaja absolvierte - er selbst sagt, er habe im Sommer jede Woche 1000 Kilometer mit dem Auto zurückgelegt.

Marion Hoffmann erzählt eine Geschichte, die dazu passt. Hoffmann leitet das Victor-Klemperer-Kolleg in Marzahn, eine Einrichtung, an der man das Abi auf dem zweiten Bildungsweg nachholen kann. Sebastian Czaja hat das gemacht, nach seiner Lehre als Elektrotechniker. Er hat hier, in der Plattenbau-Siedlung, nicht nur die Hochschulreife erlangt, sondern parallel Bezirkspolitik gemacht, und saß dann ab 2006 für die FDP im Abgeordnetenhaus.

Schulleiterin Hoffmann, eine freundliche Frau, hat ihn in bester Erinnerung. Er sei „immer informiert, gut organisiert und strukturiert“ gewesen. Sebastian Czaja fällt, wie sein älterer Bruder, dadurch auf, dass er sich stets und in jeder Hinsicht völlig unter Kontrolle zu haben scheint. Lehrerin Hoffmann hält nicht nur deshalb viel von ihm: Sebastian Czaja komme bis heute vorbei, rede bei Veranstaltungen. Auf Facebook schrieb er: „Jeder hat eine zweite Chance verdient.“

Das mit der „zweiten Chance“ passt zu ihm. Bis heute mokieren sich einige, dass Sebastian Czaja mal kurz mit der späteren Nackt-DJane Micaela Schäfer zusammen war. Na und? Politisch wiederum hat er eine zweite Chance im Wechsel von der CDU zur FDP genutzt. Naturtalente, wie man so sagt, sind er und auch sein Bruder. Eitel, ja. Aber eben überzeugt, dass ihre Politik einen Unterschied machen kann. Beide hatten gute Jobs, der Ältere bei Gegenbauer, der Jüngere als Projektentwickler einer Baufirma. Doch immer wollten sie in die Politik zurück.

Mahlsdorf, die beschauliche Siedlung im Süden des Plattenbaubezirks Marzahn-Hellersdorf, in den 90ern. Die Czajas, eine fünfköpfige katholische Familie. Elektriker-Meister der Vater, Krankenpflegerin die Mutter, auch die Schwester der Brüder arbeitet in der Altenpflege. Mario und Sebastian werden früh „Nachwuchshoffnungen“ genannt, als die CDU den Osten erobern will.

Mario, acht Jahre älter, kam bald voran. Als der Bruderstreit eskaliert, ist er schon Abgeordneter und CDU-Kreischef, Sebastian sitzt in der Bezirksverordnetenversammlung. Der Jüngere wagte eine unabgesprochene Kampfkandidatur im Kreisverband. Sebastian verliert und ist als Hitzkopf verbrannt.

Doch wie genau, Herr Noch-Senator, gewinnt man denn nun als CDU-Mann Wahlen im Osten? „Es geht darum“, sagt Mario Czaja, „dass die Leute in der Wahlkabine wissen, dieser Kandidat steht genau für diese zwei, drei Vorhaben - und er setzt sie auch um.“ Czaja, damals in der Opposition, wettert seit 2001 gegen das rot-rote Straßenausbaubeitragsgesetz. Er überzeugt auch Anhänger der Linkspartei, die nicht extra für den Anschluss an die Abwasserrohre zahlen wollen. Als Gesundheitssenator macht er später Druck für mehr Ärzte im Osten und zur Wahl 2016 verspricht er, mit ihm werde die neue Oberschule zügiger gebaut.

Mahlsdorfer Grundstücksnutzer: Mario Czaja zu 100 Prozent verlässlich

Das Flüchtlingschaos, die Rücktrittsforderungen, die Schlammschlacht im Senat - hat ihm das geschadet? Vor der Wahl erreicht die Mahlsdorfer ein Brief des Verbandes Deutscher Grundstücksnutzer. Deren Vizepräsident wird deutlich: Vielleicht, schreibt er sinngemäß, brauche die CDU einen Denkzettel - nur die AfD sollte es nicht werden. Besser wäre es, Mario Czaja „den Rücken zu stärken“, denn marode wurde die Stadt schon unter Rot-Rot. Er jedenfalls kenne außer Mario Czaja keinen Politiker, der „zu 100 Prozent“ verlässlich sei.

Das hat auch mit Czajas Bodenhaftung zu tun. Im CDU-Kreisbüro hängt ein Polaroid aus den 90ern. Der junge Mario trägt darauf, wie das eben so war, ein viel zu langes Sakko und eine viel zu weite Hose. Darunter steht: „Vorbereitung auf Haustürgespräche.“ Seine Anzüge sitzen nun besser, das mit den Haustüren, was andere Klinkenputzen nennen, macht er noch genauso.

Bruder Sebastian ist einen anderen Weg gegangen - nach Westen. Auf der Suche nach einem Kreisverband, der ihn nach vorne bringt, kommt er in Steglitz-Zehlendorf an. Man hört in der Partei nicht viel über diesen Umzug. Doch Kollegen, die ihn aus den Jahren 2006 bis 2011 kennen, sehen den politisch motivierten Umzug als Beweis für angewandten Opportunismus. Rainer-Michael Lehmann, Ex-Liberaler, den es zur Pankower SPD zog, sagt über seinen früheren Fraktionskollegen, der sei „einer, der auch seine Großmutter verkaufen würde, wenn es um Machtfragen geht“.

Sebastian Czaja wird nun wieder einen Sitz im Plenum haben, Lehmann nicht. Welche Rolle spielte dabei der Flughafen Tegel, den Sebastian Czaja zum Kern seines Wahlkampfs gemacht hat? Czaja habe die Tegel-Idee nicht als Erster gehabt, heißt es in der FDP. Aber er habe erkannt, wozu das Thema tauge: ins Gespräch kommen - und daran entlang ein Programm entwickeln.

Der eine mit einer abgehobenen, der andere mit einer bodenständigen Mission - aber beide glaubwürdig. Schon zur vorletzten Wahl hat Mario Czaja an 5000 Türen geklingelt, 2200 Mahlsdorfer öffneten. So oft ging das dieses Jahr nicht, er war als Sozialsenator im Krisenmodus. Deshalb lud die lokale CDU zu 42 Grillabenden, insgesamt fast 2000 Männer, Frauen und Kinder kamen.

In Mahlsdorf wohnen viele Ex-Mitarbeiter der DDR-Ministerien, klassische Linksparteiklientel. Auch, gerade mit ihnen hat Mario Czaja beim Grillen gesprochen. Dabei ging es oft um zwei, grundverschiedene Fragen: Was läuft in Mahlsdorf? Und hat die Bundesregierung, bitte schön, die Flüchtlingskrise bald im Griff? Mario Czaja erklärte dann geduldig: Abwasserrohre, Oberschule - Türkei-Deal, Asylgesetze. Er hat da Routine.

Auf seinem Spaziergang nach der Wahl muss Mario Czaja zur Grundsteinlegung eines Möbelhauses. Er trifft dort zwei, drei andere Aktive seines CDU-Verbandes, der mit 500 Mitgliedern überschaubar ist. Czaja wartet geduldig auf eine Currywurst, setzt sich zu seinen Leuten und spricht, leise, darüber wie es weitergehen soll. Was wird die Partei ihm, dem Gewinner, anbieten?

Sebastian Czaja jedenfalls hat sich am Tag nach der Wahl schon mal zum Chef der FDP-Fraktion wählen lassen.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, Sebastian Czaja sei Landeschef der Berliner FDP. Das ist falsch. Landesvorsitzende ist Sibylle Meister. Sebastian Czaja ist Generalsekretär und war Spitzenkandidat. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen und bedanken uns für die Hinweise

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