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Auf dem Boxhagener Platz brachte Barbara 100 Schilder an.

© dpa

Deutschlands bekannteste Streetart-Künstlerin: Wer ist Barbara?

Für ihre anonym geklebten Schilder hat Barbara soeben den Grimme-Online-Award gewonnen. Ihre Identität hält sie trotzdem geheim. Doch es gibt eine heiße Spur.

Sie hatte angekündigt, dass sie persönlich vor Ort sein werde. Irgendwo auf dem Boxhagener Platz, um zu sehen, wie die Menschen in Berlin auf ihre Werke reagieren. Ob sie lachen, sich wundern, rätseln. 100 Schilder hatte sie versprochen, an jenem Donnerstag vor drei Wochen.

Weil aber niemand das Gesicht der Künstlerin kennt, standen alle im Verdacht, Barbara zu sein. Die junge Frau auf der Parkbank. Die Punkerin auf der Liegewiese. Auch der Mann, der seinen Hund ausführte. Weiß ja keiner, ob Barbara tatsächlich eine Frau ist.

Und überhaupt: Wer garantiert, dass es sich um einen einzelnen Menschen handelt, nicht um ein Kollektiv?

Innerhalb von zwei Jahren ist Barbara zur meistbeachteten Streetart-Künstlerin Deutschlands geworden. Die „Tagesthemen“ und der „Spiegel“ feiern sie, auf Facebook und Instagram folgen ihr 600 000 Leute. Soeben wurde Barbara mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnet. Der Preisverleihung vor zehn Tagen in Köln blieb sie fern. Behauptet sie jedenfalls.

Künstler, die ihre Arbeiten ungefragt im öffentlichen Raum anbringen, wollen häufig anonym bleiben. Sie begehen schließlich oft Sachbeschädigungen, wenn sie ihre Botschaften etwa an Häuserwände sprühen. Barbaras Schilder sind dagegen bloß mit doppelseitigem Klebeband fixiert, lassen sich rückstandsfrei entfernen. Sie überdauern nie länger als ein paar Tage, dann hat sie jemand zerknüllt oder mit nach Hause genommen.

Ein erster Chat mit Barbara

Es heißt, Barbara habe lange Zeit in Berlin gewohnt, inzwischen sei sie nach Heidelberg gezogen, halte sich aber weiterhin viel in der Hauptstadt auf. Sie gibt grundsätzlich keine persönlichen Interviews. Auch keine telefonischen. Auf Tagesspiegel-Anfrage erklärt sie sich jedoch zu einem Chat auf Facebook bereit.

Dienstagvormittag, 11 Uhr. Frage an Barbara: „Schon da?“

„Ja, ich bin da.“

Sie schreibt, sie sitze in ihrem Garten in Heidelberg, an einem Tisch im Schatten, weil sonst die Sonne auf den Bildschirm ihres Laptops knallen würde und sie nichts mehr erkennen könnte. Sie schreibt auch, da seien gerade Tauben im Garten, die den anderen Vögeln das Futter klauten.

Vielleicht stimmt das. Vielleicht lügt Barbara und hockt in Wahrheit in einer Kreuzberger WG-Küche. Immerhin bestätigt der Wetterdienst im Internet, dass in Heidelberg gerade die Sonne scheint. Mehr lässt sich nicht überprüfen.

Barbara behauptet, sie sei kein Kollektiv, sondern eine einzelne Person. Wie alt? „Jünger als Angela Merkel und älter als Justin Bieber.“ Auch ihr Geschlecht möchte sie nicht verraten: „Ich bin ein Mensch.“ Sie fürchtet, dass sie sich nicht mehr so frei bewegen kann, wenn die Welt erfährt, dass sie Barbara ist.

„Hurra, ich klebe noch“, stand vor drei Wochen auf einem der Schilder ihrer Überraschungsausstellung. Auf einem anderen war zu lesen: „In Deutschland wird viel zu selten auf den Straßen getanzt.“ Und daneben, unter einem Foto von Beatrix von Storch: „Fremdenhass, das ist bekannt, endet oft hungrig am Dönerstand.“ Den Boxhagener Platz, schreibt Barbara im Chat, habe sie als Kulisse gewählt, weil er ein besonderer Ort in ihrem Leben sei. Auf der Wiese in seiner Mitte habe sie zum ersten Mal geküsst. „Das war wunderschön, wenn auch etwas schlabbrig.“

Barbara chattet so, wie sie Schilder betextet: charmant und augenzwinkernd. Mit dem Verlauf der Ausstellung sei sie überaus zufrieden. „Am wichtigsten ist, dass ich unerkannt geblieben bin, obwohl ich mitten in Berlin an einem beliebten Ort 100 Schilder geklebt habe. Das war ein Spießrutenlauf.“

Wie hat sie das überhaupt hingekriegt: so viele Werke an Zäunen befestigen, ohne aufzufliegen, ohne von irgendwem mit dem Handy fotografiert zu werden?

Barbara antwortet, sie habe schon den Tag vor der Aktion auf dem Platz verbracht. Um zu beobachten, wer dort zu welcher Zeit verkehre. Am nächsten Morgen sei sie dann früh hin, die Ausdrucke in einer kleinen Tasche. „Um 9 Uhr ist es sehr ruhig am Boxi, aber es gibt zwei Obdachlose, die jetzt meine Identität kennen, weil sie mir zugeschaut haben.“ Und weiter: „Interessanterweise haben die später anwesenden Journalisten alle möglichen Menschen zu meiner Ausstellung befragt, aber keiner ist an die Obdachlosen herangetreten, die den gesamten Vormittag da waren. Zu meinem Glück.“

Ob es sie nervt, dass Menschen neugierig sind zu erfahren, wer sich hinter dem Pseudonym Barbara verbirgt? Dieses Mal dauert es, bis Barbara antwortet. Als müssten sich erst mehrere Personen auf eine Formulierung einigen. Dann schreibt sie: „Nein, es nervt mich überhaupt nicht, obwohl ich es schwer nachvollziehen kann.“

Eine Dresdner Kuratorin hat zu ihr Kontakt

Eine von Barbaras bekanntesten Arbeiten.
Eine von Barbaras bekanntesten Arbeiten.

© privat

In der Jurybegründung des Grimme-Awards heißt es, Barbara betreibe in ihren Arbeiten „gelungen ironische und konstruktive Kritik“, erschaffe eine „sympathische Gegenöffentlichkeit“. Zudem beweise sie, dass „eine Meinung nicht immer als Kampfansage formuliert sein muss, um beachtet zu werden“.

In den Medien und von Fans wird Barbara gern als „die deutsche Banksy“ tituliert. Banksy ist der berühmteste Streetartist der Welt, seine Schablonengraffiti werden auf Auktionen für 800 000 Euro versteigert. Auch in Berlin hinterließ er mehrfach Spuren, was dazu führte, dass Sammler in Mitte Mauerstücke aus Wänden brachen, um sich ein Banksy-Original zu sichern. In London hat die Stadtverwaltung die Anweisung gegeben, Werke des Künstlers mit Plexiglas zu schützen und bei Beschädigung zu restaurieren.

Mittlerweile gilt als erwiesen, dass es sich bei Banksy um den 43-jährigen Robin Gunningham aus Bristol handelt. Es existiert auch ein Foto, das ihn auf der Straße kniend bei der Arbeit zeigen soll. Barbara mag dieses Bild nicht. Der Mensch, der es veröffentlichte, habe der Welt keinen Gefallen getan.

Wie wird sie reagieren, sollte sie selbst einmal enttarnt werden? „Das weiß ich noch nicht. Ich werde in mich hineinhorchen und prüfen, wie es sich anfühlt und wie ich dann weitermache.“

Ihr Lieblingsfeinde: Rechtsextreme und Populisten

Eine der wenigen aus der Kunstwelt, die regelmäßigen Kontakt zu ihr haben, ist Denise Ackermann vom Dresdner Kulturforum „Riesa Efau“. Sie kennt Barbaras Schaffen seit vorigem Sommer, inzwischen verfolgt sie auf Facebook jeden neuen Post. Sie liebt, dass die Botschaften der Künstlerin kurz und prägnant sind, nicht zu verkopft, Adorno-Zitate suche man bei ihr vergebens. Und dass Barbara zwar Haltung zeige und Kritik übe, aber niemanden beleidige. Also fast niemanden. Unter das Hakenkreuz, das ein Unbekannter in Hamburg spiegelverkehrt an einen Laternenpfahl geschmiert hatte, klebte Barbara ein Schild mit den Worten: „Arme Wurst aus Altona, maltest diesen Blödsinn da, voller Hass, dazu noch dumm. Hakenkreuz geht andersrum.“ Rechtsextreme und -populisten sind ihre Lieblingsfeinde. Auch gegen Salafisten und Hooligans klebt sie an.

Denise Ackermann wollte Barbara fragen, ob die nicht in Dresden eine Wand auf dem Gelände des Kulturforums gestalten wolle. Also schrieb sie eine Nachricht auf Facebook. Barbara sagte zu. Jetzt prangt dort: „Stell dir vor, du brauchst Asyl und (k)einer hilft dir.“ Nein, sagt Ackermann am Telefon, Barbara habe den Spruch nicht selbst angebracht, es gab einen Helfer. Bis heute habe Ackermann die Künstlerin nicht zu Gesicht bekommen, sie kommunizierten nur online. „Natürlich bin ich neugierig, wer das ist“, sagt sie. „ Ich würde gern einen Kaffee mit ihr trinken.“ Doch andererseits: „Was änderte sich für uns als Betrachter der Schilder?“ Barbara würde nur angreifbar. Zum Beispiel, wenn sich herausstellte, dass es sich um eine reiche Person handele. Oder eine Hartz-IV-Empfängerin. In beiden Fällen hieße es dann sicher: Na, die kann sich so neunmalkluge Sprüche leisten, die muss ja nicht arbeiten!

2015 hat Barbara einen Bildband mit einer Auswahl ihrer Werke veröffentlicht, im Herbst erscheint der zweite. Ihr Verlag sagt, er habe nie Kontakt zu ihr gehabt, immer über einen Mittelsmann kommuniziert. Über den dürfe man allerdings auch nichts preisgeben.

Es gibt einen Augenzeugen vom Boxhagener Platz

Barbaras aktuelles Werk im Dresdner Kulturforum „Riesa Efau“.
Barbaras aktuelles Werk im Dresdner Kulturforum „Riesa Efau“.

© Denise Ackermann

Am raffiniertesten funktioniert Barbaras Kunst, sobald sie Bezug auf die Umgebung nimmt. Unter den Parteien-Aufkleber „Die AfD wirkt... und wirkt... und wirkt“ montierte Barbara: „...bei mir wie Brechmittel.“ Neben den Spruch „Die ganze Welt hasst die Polizei“ klebte sie: „Die ganze Welt hasst Verallgemeinerungen.“ Ein „Bekleben verboten“-Schild kommentierte sie mit „Dieser Befehlston verletzt meine Gefühle.“ Verbotsschilder sind Barbara sowieso ein Graus. Symbol einer ausgeprägten deutschen Ordnungskultur.

Wer ihre Arbeiten aufmerksam verfolgt, bekommt eine recht präzise Vorstellung davon, was Barbara für ein Mensch ist, was sie mag und verabscheut. Sie würde gerne Marihuana legalisieren, plädiert für Weltoffenheit und Liebe. Religionen steht sie skeptisch gegenüber, ebenso Geldfixiertheit, Überwachungstechniken und Germanys Next Topmodel. Barbara amüsiert sich über Donald Trump, prangert Massentierhaltung und die Ausbeutung der Kaffeebauern an, zitiert Star Wars, Ina Deter, John Lennon. Typ grün wählender Popkulturjunkie.

Manchmal sprechen kindlicher Trotz und Träumerei aus ihren Plakaten. Auch Naivität. Plus diebische Freude am Spurenlegen und Geheimnisbewahren. „Das Kleben ist schön“, hat sie ihre Ausstellung in Friedrichshain genannt. Vielleicht ist Barbara nicht der deutsche Banksy, sondern viel eher die Amélie der deutschen Streetart.

Ein vergessener Zettel in der Tasche

Zur Verleihung des Grimme-Online-Awards hat sie Denise Ackermann vom Dresdner Kulturforum geschickt. Die Veranstaltung hat sie im Internet per Stream verfolgt. Barbara glaubte eh nicht, dass sie gewinnen würde, schließlich war in der Kategorie „Spezial“ auch Jan Böhmermann nominiert. Für den Fall, dass doch, hat sie Denise Ackermann über Facebook vorab ein paar Zeilen als Dankesrede geschrieben. Die hat sie sich ausgedruckt und das Papier in die Tasche ihres schwarzen Jumpsuits gesteckt.

Als der Moderator dann verkündete, dass der Preis an Barbara gehe, und Denise Ackermann stellvertretend auf die Bühne bat, vergaß diese vor Aufregung den Zettel in der Tasche. Also nix Dankesrede. „Tut mir schrecklich leid“, sagt Ackermann. „Ich habe einfach Puls bekommen.“ Der Moderator fragte auch, ob sie selbst vielleicht in Wahrheit Barbara sei, sich die Identität der nervösen Dresdner Kuratorin nur zur Täuschung ausgedacht habe. „Natürlich nicht“, sagte sie. Das behauptet sie bis heute.

Da die Postadresse der Künstlerin unbekannt ist, schickte die Grimme-Stiftung den Preis an Barbaras Buchverlag. Der reichte ihn an den geheimen Vertrauensmann weiter. Inzwischen steht die Auszeichnung, wenn man Barbara im Chat glauben darf, auf ihrem Balkon in einem Blumentopf. „Eines meiner Marihuana-Pflänzchen schwächelt ein wenig, und die Grimme-Trophäe hat die ideale hochkantige Form als Stütze.“

Bleibt noch der Hinweis von Barbara, wonach sie am Morgen ihrer Ausstellung in Friedrichshain von Obdachlosen beobachtet worden sei - und dass Journalisten später alle Menschen befragt hätten, nicht aber diese zwei tatsächlichen Zeugen.

Donnerstagmorgen auf dem Boxhagener Platz. Die Liegewiese und der angrenzende Spielplatz sind leer, nur ein paar wenige Menschen sitzen auf Bänken. Drei von ihnen wirken, als könnten sie obdachlos sein. „Entschuldigen Sie, sind Sie vielleicht öfters hier um diese Uhrzeit?“ Nicken in der Runde. Die Männer sind ausgesprochen freundlich, und na klar, sie erinnern sich an die Schilderausstellung neulich. Hat ihnen sehr gefallen, die Idee.

Einer der Männer sagt, sein Lieblingsschild war, Moment, irgendwas mit Joint... „Verdammt, ich kann mir leider auch keine Witze merken.“

Ein anderer sagt, er sei an dem Tag erst kurz vor zehn hier gewesen, und da habe er tatsächlich eine Person beobachtet, die am westlichen Rand der Liegewiese noch ein Schild neben dem Mülleimer aufgehängt habe.

Ja und? Wie sah die Person aus?

Also definitiv war das eine Frau, sagt er. Mitte 40, kurze blonde Haare, kleines bisschen lockig. „Höchstens 1,65 Meter.“ Sonst noch was? Die sah recht hübsch aus, sagt er. Und dass sie allein unterwegs gewesen sei. Sein Nebenmann überlegt noch, wie der Spruch mit dem Joint genau ging, aber es will ihm einfach nicht einfallen.

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