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Der Europarat wird von einem Korruptionsskandal erschüttert.

© Fotolia, Montage: Thomas Mika

Korruptionsvorwürfe im Europarat: Die Spur des Geldes

Ein Korruptionsskandal erschüttert den Europarat: Ein italienischer Abgeordneter kassierte Millionen aus Aserbaidschan. Doch die Bemühungen um Aufklärung kommen nur schleppend voran.

Der größte Skandal in der Geschichte des Europarates wäre wohl nie ans Licht gekommen, wenn nicht in einer Bank bei Mailand zwei verdächtige Überweisungen aufgefallen wären. Die Geldtransfers in jeweils sechsstelliger Höhe wurden über Banken im Baltikum abgewickelt, Absender waren Briefkastenfirmen mit Sitz in Großbritannien und auf den Marshall-Inseln. Die Staatsanwaltschaft Mailand nahm Ermittlungen auf. Was dabei herauskam, hat politische Sprengkraft. Denn die Firma, an die das Geld ging, gehörte offiziell der Frau eines italienischen Parlamentariers. Luca Volontè erhielt zwischen Ende 2012 und Ende 2014 insgesamt 2,39 Millionen Euro – das Geld kam nach Erkenntnissen der Ermittler aus dem autoritär regierten Aserbaidschan. Volontè muss sich im April wegen Geldwäsche vor Gericht verantworten. Die Staatsanwälte sahen darüber hinaus einen Zusammenhang zwischen den Zahlungen an Volontè und seiner Tätigkeit als Abgeordneter in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates.

Die Parlamentarische Versammlung des Europarates tagt viermal im Jahr in Straßburg.
Die Parlamentarische Versammlung des Europarates tagt viermal im Jahr in Straßburg.

© Vincent Kessler/Reuters

Der Europarat gilt als Hüter von Menschenrechten und Demokratie in den 47 Mitgliedstaaten, zu denen auch Russland und die Türkei gehören. Jeder Staat entsendet Abgeordnete in die Parlamentarische Versammlung, die viermal im Jahr in Straßburg tagt. In vielen westeuropäischen Staaten ist das Interesse an dieser Arbeit gering, doch Aserbaidschan hat in den vergangenen Jahren eine Verurteilung der Menschenrechtslage durch den Europarat unbedingt vermeiden wollen. So konnten es aserbaidschanische Abgeordnete als kleinen Sieg feiern, dass im Januar 2013 ein Bericht des Deutschen Christoph Strässer über politische Gefangene in ihrem Land in einer Abstimmung überraschend durchfiel. Seit Jahren gibt es Hinweise darauf, dass nicht nur Lobbyarbeit eine Rolle spielte. Von „Kaviardiplomatie“ ist seitdem die Rede. Doch im Fall Volontè geht es um mehr als Kaviar und Teppiche. Volontè hat zugegeben, die 2,39 Millionen Euro erhalten zu haben, bestreitet aber einen Zusammenhang mit seiner Tätigkeit im Europarat. Für das Geld habe er Elkhan Suleymanov, einen aserbaidschanischen Europaratsabgeordneten, beraten, sagte Volontè dem italienischen Sender RAI. Außerdem habe seine Stiftung zwei Studien erstellt.

Der Abgeordnete dankte für die "kostbaren Geschenke"

Mit einer Reise nach Aserbaidschan im Juli 2011 fing für Luca Volontè alles an. Seiner Sekretärin teilte er nach Tagesspiegel-Informationen mit, er fliege in der Business Class, weil Suleymanov alles zahle. Nach seiner Rückkehr schreibt er dem aserbaidschanischen Kollegen eine geradezu überschwängliche Dankesmail, verspricht eine langlebige Freundschaft und dankt für die „sehr guten und sehr kostbaren Geschenke“. Die beiden bleiben in Kontakt, schon bald unterbreitet Volontè ein Konzept, wie sich das Image Aserbaidschans in der Welt verbessern lasse. Als im Mai 2012 die Organisation „European Stability Initiative“ (ESI) erstmals über die „Kaviardiplomatie“ berichtet und damit Aufsehen im Europarat erregt, betont Volontè in einem internen Schreiben, es gebe keinen „Beweis für Korruption“.

Im Dezember 2012, wenige Wochen vor der Abstimmung, legt Volontè in einer E-Mail an den aserbaidschanischen Lobbyisten Muslum Mammadov detailliert dar, welche „Freunde“ sich in der Debatte zu Wort melden sollten. Genannt sind Personen, die mit ungewöhnlich lobenden Worten über Aserbaidschan aufgefallen sind. An den spanischen Abgeordneten Pedro Agramunt, der heute Präsident der Parlamentarischen Versammlung ist, wendet Volontè sich mit Hinweisen, wie Kritik am Strässer-Bericht verbreitet werden könnte. Im Dezember erhält Volontè auch die erste Überweisung von einer Firma mit Sitz in Großbritannien, der Transfer läuft über ein Konto bei der Danske Bank in Tallinn. So soll offenbar verschleiert werden, dass das Geld in Wirklichkeit aus Aserbaidschan kommt.

Der italienische Ex-Abgeordnete Luca Volontè muss sich im April wegen Geldwäsche vor Gericht verantworten. Er hatte 2,39 Millionen Euro aus Aserbaidschan erhalten.
Der italienische Ex-Abgeordnete Luca Volontè muss sich im April wegen Geldwäsche vor Gericht verantworten. Er hatte 2,39 Millionen Euro aus Aserbaidschan erhalten.

© Vano Shlamov/AFP

Nachdem der Strässer-Bericht überraschend abgelehnt wurde, scheint Volontè zu befürchten, dies könne das Ende der lukrativen Freundschaft sein. „Du hast mich also nach deinem Sieg vergessen …“, schreibt er an Suleymanov. Kurze Zeit danach beantragt er plötzlich eine neue Resolution über politische Gefangene. Doch schon einen Tag später zieht er den Antrag zurück. „Jeder Wunsch von dir ist ein Befehl“, schreibt er seinem Kontaktmann Mammadov. Alles Weitere solle bei einem Treffen in Baku mit Suleymanov und dem russischen Abgeordneten Alexej Puschkow besprochen werden.

Ausmaß des Skandals noch größer?

Die Freundschaft zahlt sich für den Italiener aus: Nach eigenen Angaben sollte er zehn Millionen Euro über zehn Jahre erhalten. So weit kommt es nicht, weil die Zahlungen in der Bank auffallen und die Staatsanwaltschaft Mailand sich einschaltet. Vor Gericht muss sich Volontè allerdings nicht wegen Korruption verantworten, wie von den Staatsanwälten gefordert, sondern wegen Geldwäsche.

Hier könnte diese Geschichte zu Ende sein, wenn es nur um das mutmaßliche Fehlverhalten eines Abgeordneten ginge. Doch der stellvertretende Leiter der deutschen Delegation beim Europarat, Frank Schwabe (SPD), befürchtet, dass das Ausmaß des Skandals weitaus größer ist. „Es gibt den Verdacht, dass die Korruption einen größeren Umfang hat und nicht nur Volontè beteiligt ist“, sagt Schwabe. „Die Parlamentarische Versammlung muss alles tun, um für Aufklärung zu sorgen.“

Briefkastenfirma verfügte über fast eine Milliarde Euro

Nach Tagesspiegel-Recherchen gibt es Hinweise darauf, dass nur ein Teil des Skandals aufgedeckt wurde. Die Zahlungen an Volontè liefen ab 2014 über die Briefkastenfirma Hilux Services LP mit Sitz in Glasgow. Deren Eigentümer sind zwei Firmen, die ihren Sitz auf den Jungferninseln haben. Dieselbe Person, die die Firma im März 2013 anmeldet, lässt zur gleichen Zeit noch mindestens ein Dutzend Briefkastenfirmen mit derselben Adresse und denselben Eigentümern registrieren. Außerdem soll auf dem estnischen Konto der Firma Hilux Services zwischen Ende 2013 und Ende 2014 fast eine Milliarde Euro vom aserbaidschanischen Unternehmen Baktelecom eingegangen sein. Diese Summe sowie das Firmengeflecht lassen die Existenz eines größeren Systems vermuten, das nicht nur der Bezahlung eines Abgeordneten diente.

Die Bemühungen um Aufklärung des Skandals im Europarat liefen schleppend an. Erst sprachen nur Abgeordnete aus dem mit Aserbaidschan verfeindeten Armenien das Thema im Plenum an, Parlamentspräsident Agramunt entzog ihnen das Wort. Doch im Januar verständigte sich in Straßburg über Ländergrenzen und Fraktionen hinweg eine Gruppe von Abgeordneten um Schwabe und den Niederländer Pieter Omtzigt, die das Thema nicht aussitzen wollten: In einer Resolution forderten zunächst 64 Parlamentarier eine unabhängige Untersuchung der Korruptionsvorwürfe. Ihnen geht es um die Glaubwürdigkeit des Europarates. „Die Parlamentarische Versammlung des Europarates ist dafür da, sich Menschenrechtsverletzern entgegenzustellen“, sagt der estnische Abgeordnete Eerik-Niiles Kross, einer der Unterzeichner. „Wenn diese Organisation diskreditiert wird, ist das nicht nur für den Europarat selbst schlecht, sondern für die gesamte europäische Idee.“

Es geht nicht nur um Aserbaidschan

Längst geht es nicht mehr nur um Aserbaidschan. „Mittlerweile gibt es im Europarat ein Netzwerk, das Staaten mit autoritären Tendenzen vor kritischen Stellungnahmen schützt“, sagt Schwabe. So sei im Januar eine Debatte über die Menschenrechtslage in der Türkei gezielt verhindert worden.

Der ESI-Vorsitzende Gerald Knaus hofft, dass der Fall Volontè nicht folgenlos bleibt: „Wenn ein Abgeordneter einem anderen hunderttausende Euro überweisen kann, ohne dass es eine ernsthafte unabhängige Untersuchung gibt, dann ist der Europarat ein Basar.“ Nun gebe es erstmals Beweise für das, was er und seine Kollegen vor Jahren beschrieben haben. „Jetzt zeigt sich, wie korrumpiert die Organisation bereits seit Längerem ist.“

Aufklärer stoßen im Europarat auf Widerstand

Diejenigen, die sich im Europarat um Aufklärung bemühen, stoßen allerdings auf Widerstand. Agramunt wollte das Thema kleinhalten und sprach von „ungesetzlichen Angriffen auf die Ehre und den Ruf einer Person“. Das Präsidium der Versammlung vertagte eine Entscheidung darüber, ob eine unabhängige Untersuchung in Gang zu setzen sei. Nun sollen die Fraktionschefs einen Vorschlag vorlegen. Eine Schlüsselrolle kommt dem deutschen Delegationsleiter Axel Fischer (CDU) zu, weil er Vorsitzender der EVP-Fraktion ist, der auch Volontè angehörte.

Doch Fischer wird nicht zu denjenigen gezählt, die eine Aufklärung der Affäre vorantreiben. In einer Sitzung der Fraktion soll er vielmehr die Version Volontès wiedergegeben haben. Nach dem Bekanntwerden der Korruptionsvorwürfe forderte er ein Register für Nichtregierungsorganisationen, in dem deren Finanzen aufgedeckt würden. Dieser Vorstoß, der sich offenbar gegen die ESI und andere Organisationen richtet, erinnert an das Gesetz über „ausländische Agenten“ in Russland.

Vom Leiter der deutschen Delegation wollte der Tagesspiegel wissen, wie er den Fall Volontè bewertet und wie er sich die Aufarbeitung vorstellt. Doch Fischer sagt, er wolle den Ergebnissen aktueller Beratungen und Untersuchungen des Präsidiums nicht vorgreifen. Deshalb lässt der EVP-Fraktionschef alle Fragen unbeantwortet.

Dieser Text erschien am 21. März 2017 in "Agenda", einer Beilage des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint.

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