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FDP-Chef Christian Lindner im Düsseldorfer Landtag vor dem Kunstwerk "Interferenzen" von Günther Uecker.

© Ina Fassbender/dpa

Bundestagswahl 2017: Die FDP träumt vom Regieren

Wird die FDP nach der Bundestagswahl mitregieren? Die Liberalen denken über ihr Personal für den Erfolgsfall nach.

Die neue FDP hat ein altes Trauma: Erst wollte sie 2009 um jeden Preis regieren, dann wollte sie um jeden Preis in der Regierung bleiben, schließlich hat sie dafür den Preis bezahlt und flog 2013 als Regierungspartei aus dem Deutschen Bundestag. Man darf nicht unterschätzen, wie sehr die heutigen Führungsfiguren um Parteichef Christian Lindner von dieser Zeit geprägt sind. Diese Geschichte, die erst so ersehnte und dann so unselige Koalition mit der Union, ist ein gewichtiger Grund, warum die FDP schon jetzt intern nach glaubwürdigen Argumenten sucht, um im Falle eines Falles, nämlich einer möglichen Regierungsbeteiligung nach der Bundestagswahl, Nein zu sagen. Das wird auch beim Bundesparteitag ab kommendem Freitag in Berlin durchscheinen.

Christian Lindner, Spitzenkandidat für die Wahl in NRW und für den Bundestag, ist sich mit den allermeisten Mitgliedern im Bundespräsidium einig in der Einschätzung, dass die neu aufgestellte Partei vielleicht erst noch wachsen müsse; und dass dafür die Opposition der richtige Ort sein könnte. Das ist kein taktischer Gedanke, sondern ehrliche Vorsicht. Vor allem möchte man "sehr ungern" als "drittes Rad am Wagen" in einer möglichen Dreierkonstellation enden. Ob "Jamaika", also ein Bündnis aus Union, Grünen und FDP, oder die Ampel aus SPD, Grünen und FDP, ist nicht entscheidend, sondern die Frage: Werden die Liberalen stärker als die Grünen?

Die Partei möchte Innovationsmotor sein

Sollte dies der Fall sein, wäre die Wahrscheinlichkeit, dass die FDP in eine Dreierkoalition eintritt, höher, als wenn man hinter den Grünen landen würde.

Andererseits möchte die Partei Innovationsmotor sein: Nicht Steuern, wie 2009, sondern Bildung und Digitalisierung sind die Themen, die die Partei voranstellt. Der rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister Volker Wissing, der in Mainz in einer Ampel regiert, hat es im Tagesspiegel so formuliert: "Regieren an sich sollte nie ein Selbstzweck für die FDP sein, aber gut regieren ist schon ein Wert für sich." Und deshalb wird auch intensiv darüber diskutiert, wer überhaupt infrage käme, um das Amt eines Bundesministers auszuüben. Allerdings ist die Parteispitze sehr darum bemüht, diese Debatte im kleinen Kreis zu halten, denn man hat genau beobachtet, dass einige, wie es heißt, "schon wieder kräftig mit den Flügeln schlagen, um Posten zu verteilen, die es noch gar nicht gibt".

Interessant ist zunächst, wer sich nicht als Minister sieht. Denn ausgerechnet die beiden bekanntesten Figuren im kommenden Bundestagswahlkampf, Christian Lindner und Parteivize Wolfgang Kubicki, streben kein Ministeramt an. Christian Lindner, das ist aus seinem engeren Umfeld zu hören, wird selbst bei einer Regierungsbeteiligung das Amt des Fraktionschefs übernehmen. Auch das ist eine Konsequenz aus der Erfahrung in der schwarz-gelben Koalition. Die Belange der Fraktion blieben damals auf der Strecke. Sie war schwach. Lindners Argument: Die FDP müsse dauerhaft etabliert werden, als Fraktionschef kann er dieses Ziel sehr viel besser und glaubwürdiger angehen. Trotzdem ist sich die Partei einig darin, welche Ressorts für sie eine Option wären: Bildung/Wissenschaft, Justiz, Wirtschaft/Innovation, Außenpolitik. Dazu käme im Idealfall ein mögliches Ministerium für Digitalisierung, das die FDP fordert, das sie aber nicht unbedingt selbst besetzen muss. Digitalisierung könnte auch, vielleicht mit einem Unterressort "Investitionen", bei der Wirtschaft oder der Bildung angedockt werden. Das wäre die Vorstellung der FDP von einer innovativen Regierung.

Bei allem was mit Bildung, Wissenschaft und Innovation zu tun hat, gibt es in der FDP einen alten Bekannten, an den man sich erinnern würde: Andreas Pinkwart. Der 56-jährige Wirtschaftswissenschaftler ist seit 2011 Rektor der Handelshochschule Leipzig, wo er sich neben seinen Aufgaben im administrativen Bereich um Innovationsmanagement kümmert. Pinkwart war Landesvorsitzender der FDP in NRW, von 2005 bis 2010 stellvertretender Ministerpräsident und Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie. Administrative Erfahrung in einer Landesregierung hat auch die derzeitige FDP-Generalsekretärin Nicola Beer. Die Juristin, 47 Jahre, war erst Staatssekretärin für Europaangelegenheiten im hessischen Ministerium für Justiz, Integration und Europa, und von 2012 bis 2014 Kultusministerin. Die Idee für ein Bundesministerium "Digitalisierung" stammt von ihr, darüber, ob sie es auch offensiv ausfüllen könnte, sind sie sich in der FDP noch nicht ganz einig.

Hermann Otto Solms könnte Alterspräsident werden

Wirtschaft und Finanzen wären auch Jobs für zwei, die über Parteigrenzen hinweg respektiert sind: Hermann Otto Solms wäre ein guter Finanzminister – aber Finanzen werden die Liberalen selbst als zweitstärkster Partner kaum bekommen. Das Amt sollte die jeweilige Kanzlerpartei nicht hergeben. Solms, 76 Jahre und immer honorig-bodenständig, könnte Alterspräsident werden. Und auch Otto Fricke, 2005 bis 2009 Vorsitzender des Haushaltsausschusses im Bundestag, danach Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion, Bundesschatzmeister und später, nach dem Aus 2013, eine Art Insolvenzverwalter der FDP-Abgeordneten, würde ein Ministeramt wohl eher nicht übernehmen. Fricke würde zwar die eigene Freiheit niemals über Verantwortung stellen, dafür ist er zu loyal. Er wäre allerdings als Parlamentarier mit langer Erfahrung auch für den Zusammenhalt der neuen Fraktion sehr wichtig.

Falls der ehemalige Telekom-Vorstand und Top-Manager Thomas Sattelberger über die bayrische Landesliste in den Bundestag einzieht, wäre auch er ein Kandidat für einen Ministerposten. Er ist erfahren im Umgang mit großen Belegschaften, kennt Mittelstand und Dax-Unternehmen, weiß, wie man motiviert, und gilt als kreativer, aber nicht unrealistischer Querdenker.

Für ein mögliches Ressort Bildung und Familie käme die Hamburger Landeschefin Katja Suding infrage, allerdings glauben hier einige, dass ein Ministeramt noch zu früh für sie wäre. Die Fraktionschefin der FDP in der Hamburger Bürgerschaft ist mit 41 Jahren noch sehr jung, und mit zu vielen zu jungen Abgeordneten in führenden Positionen hat die FDP in der Vergangenheit nicht sehr gute Erfahrungen gemacht.

Die Talente sollen wachsen dürfen

Ähnlich wie für die Partei solle auch für die Talente der FDP gelten, dass sie wachsen dürfen. Das trifft auch auf den Lindner-Vertrauten und ehemaligen Chef der Jungliberalen (Julis) zu: Johannes Vogel , der bald 35 Jahre wird, gehört zu den wirklichen Top-Talenten der Liberalen. Er ist Generalsekretär in NRW und war von 2009 bis 2013 im Bundestag arbeitsmarktpolitischer Sprecher. Vogel wollte nie Berufspolitiker ohne Beruf werden, weil er wusste, dass das auch ein Makel sein kann. Nach der Abwahl aus dem Bundestag machte er sein Versprechen wahr, arbeitete bis vor Kurzem als Leiter der Arbeitsagentur Solingen-Wuppertal. Niemand kann nun behaupten, er kenne den Arbeitsmarkt nicht aus der Praxis. Aber auch wenn Vogel in den Bundestag kommen sollte, braucht ihn sein Parteichef mit einem Bein als Back-up für Nordrhein-Westfalen – vor allem, wenn man dort in eine Regierung eintreten sollte.

Arbeit und Wirtschaft könnte neben den Genannten auch ein anderer: Ex-Landesminister Karl-Heinz Paqué war Finanzminister in Sachsen-Anhalt, bis 2007 Mitglied im Bundesvorstand und zog sich 2008 aus privaten Gründen aus der Politik zurück. Paqué ist Vizevorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung und kandidiert jetzt wieder für den Bundestag. Er gehört als Wirtschafts- und Rentenexperte, der in vielen gesellschaftlichen Gremien sitzt, zur stillen Kompetenzreserve der Liberalen.

Sollte es wieder das Außenamt werden, was die Liberalen nicht mit Macht anstreben würden, wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit der Europa-Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff gesetzt. Es ist neben Wolfgang Kubickis vor allem das Verdienst des 50-Jährigen, dass die FDP nicht als Christian-Lindner-Partei, also als Ein-Mann-Partei wie unter Guido Westerwelle, wahrgenommen wird. Der Vizepräsident des EU-Parlaments und Neffe des früheren Bundesministers Otto Graf Lambsdorff gilt über die FDP hinaus als angesehener Europa- und Außenpolitikexperte.

Vielleicht muss sich am Ende aber einer verbiegen, der seine eigene Freiheit, vor allem Wind und Meer, über alles liebt: Wolfgang Kubicki. Der Rechtsanwalt und Fraktionschef im Kieler Landtag, 65 Jahre, ist bald 46 Jahre FDP-Mitglied und gehörte immer zu den Kritikern der Parteispitze. Bis ihn Christian Lindner 2013 integrierte. Vielleicht, ist zu hören, könnte sich Kubicki, der auf jeden Fall mögliche Koalitionsverhandlungen als Chefunterhändler führen würde, "weil die anderen ihn ernst nehmen", sich einem Ministeramt nicht entziehen. Nicht aus Eitelkeit, die er zweifellos besitzt, mehr aus der Einsicht heraus, dass es selbst für einen Freibeuter wie ihn eine Ehre wäre, seinem Land zu dienen.

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