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Geschäftsführer David Fischer wartet auf die Fertigstellung des neuen Saarbrücker Stadions. Noch ist der Ludwigspark eine große Baustelle.

© Oliver Dietze/dpa

Zwischen Abstiegen und Geldsorgen: Der Niedergang des Fußballs im Saarland

Saarbrücken und Neunkirchen ärgerten einst die Bayern. Doch dem Fußball im Saarland ist außer Tradition nicht viel geblieben.

David Fischer muss sich strecken, um über den zwei Meter hohen Schutzzaun blicken zu können. Mit skeptischer Miene schaut er von einem Hügel auf das, was einst der große und legendäre Ludwigspark in Saarbrücken war. „Wissen Sie, ob das ein neues Fußballstadion wird?“, fragt ein Passant, der sich ebenfalls strecken muss, um über den Zaun sehen und ein Foto machen zu können. „Ja“, antwortet Fischer: „2018 soll es fertig sein.“ 

An einem kalten Wintertag im Dezember ist davon noch nicht viel zu sehen. Stattdessen sind nur die Gegengerade und der Rasen übrig - ein Rasen, den Jürgen Klopp einst gelobt hat, wie sie hier stolz betonen. Und viele rollende Bagger. Bagger, die sinnbildlich auch an der Baustelle im saarländischen Fußball oder beim 1. FC Saarbrücken arbeiten könnten. Es ist seit Mai 2016 vor allem die Baustelle von David Fischer, der den Posten als Geschäftsführer beim einstigen  Vorzeigeclub im kleinsten Flächenbundesland Deutschlands übernommen hat. Die Geschichte vom 6:1 gegen den FC Bayern hat er schon gehört, obwohl er erst acht Monate im Amt ist.

39.000 Fans waren damals im Ludwigspark - oder wie Fischer es von  Zeitzeugen gehört hat: „Das ganze Saarland.“ Knapp 40 Jahre ist das her und in Saarbrückens Fußball hat sich seitdem quasi alles zum Negativen verändert. Immerhin: Eine neue Arena soll der Regionalligist bekommen. Sie soll Platz für 16.000 Anhänger bieten und kostet 20 Millionen Euro, die sich Stadt und Land aufteilen.

Weder Rasenheizung noch Anzeigetafel

Eine Rasenheizung allerdings? Ist nicht im Budget enthalten, obwohl der Verein eine schnelle Rückkehr in die 3. Fußball-Liga anstrebt und eine solche dort fest vorgeschrieben ist. Trotz einer Erneuerung und einem 75-Prozent-Umbau ist für den neuen Ludwigspark zunächst auch keine Anzeigentafel vorgesehen. „Das wird die Aufgabe für die nächsten eineinhalb Jahre“, sagt Fischer, ein Geschäftsmann mit Jeans, Hemd und Sakko. Der Vorzeigeverein des Saarlands misst sich nicht mehr mit Bayern oder Dortmund, sondern damit, in eineinhalb Jahren eine Anzeigetafel zu installieren, um die Spielstände gegen Worms oder Watzenborn-Steinberg einblenden zu können.

Bundesliga-Fußball hat das Saarland seit über zwei Jahrzehnten nicht mehr gesehen. Alle ehemaligen Vertreter, neben Saarbrücken auch der FC Homburg und Borussia Neunkirchen, sind mindestens bis in die Regionalliga durchgereicht worden und brauchen in naher Zukunft nicht auf eine Rückkehr in die oberste Spielklasse zu hoffen. „Man lechzt natürlich nach der Bundesliga“, sagt Geschäftsführer Fischer. Er sitzt auf den übrig gebliebenen, von der Sonne durchfluteten Rängen im Ludwigsparkstadion, er sieht eine große Herausforderung vor sich.

Kein Mangel an guten Fußballern

Keiner der drei Ex-Bundesligisten hat ein Nachwuchsleistungszentrum, die Talente wechseln in jungen Jahren in die nähere Umgebung nach Mainz, Kaiserslautern oder Hoffenheim. Dabei gibt es im Saarland durchaus vielversprechende Kicker: Kevin Trapp kommt aus dem Saarland und hütet heute das Tor vom internationalen Topclub Paris Saint-Germain. Jonas Hector begann seine Karriere beim saarländischen Club SV Auersmacher, ist mittlerweile aber längst dafür bekannt, Deutschland gegen Italien ins EM-Halbfinale 2016 geschossen zu haben.

Der Gladbacher Patrick Herrmann schaffte es vom 1. FC Saarbrücken bis in die Nationalmannschaft. Er erzählt heute stolz: „Als ich 13 Jahre war, war dieser Verein das Nonplusultra im Saarland, mit einer riesigen Geschichte. Da habe ich gesagt, da muss ich hin.“ Immer wieder muss Herrmann grinsen und lachen, wenn er in den Erinnerungen für den Verein schwelgt, für den er nicht nur aufgelaufen ist, sondern auch als Fan in der Kurve stand und als Balljunge die Bälle holte. In seinen B-Jugend-Zeiten seien einmal zwei volle Busse mit nach München gereist. „Das vergisst man sein Leben lang nicht.“

Doch die Tradition des Fußballs im Saarland reicht weit über die einzelnen Vereine hinaus. Von 1950 bis 1956 hatte das kleine Bundesland im Südwesten der Republik eine eigene Nationalmannschaft und war Mitglied der FIFA. Mit dem späteren Weltmeister-Trainer Helmut Schön forderte das Saarland in der Qualifikation für das Weltturnier 1954 unter anderem den späteren Sieger Deutschland heraus - verlor die beiden Vergleiche aber mit 0:3 und 1:3.

„Er lebt diesen Club“

Tradition, Liebe und Besessenheit - Begriffe, die man rund um das Vereinsgelände von Borussia Neunkirchen besonders häufig hört. Vereinspräsident Martin Bach sowie Archivar und Stadionchef Jens Kelm führen den Oberligisten mit der Hingabe und dem Zeitinvestment eines Bundesliga-Funktionärs. „Er lebt diesen Club“, sagt Bach über Kelm. „Borussia ist sein Leben“, sagt Kelm über Bach. Gegenseitig schicken sie sich E-Mails um 3.35 Uhr oder 6.04 Uhr - manchmal sogar in der selben Nacht. Immer geht es dabei nur um die Borussia.

Auch das Ellenfeldstadion in Neunkirchen hat schon bessere Zeiten erlebt.
Auch das Ellenfeldstadion in Neunkirchen hat schon bessere Zeiten erlebt.

© Oliver Dietze/dpa

Der 57 Jahre alte Kelm hat nicht nur zwei Bücher über das heimische Ellenfeldstadion verfasst, sondern verfügt auch über ein beinahe dokumentarisches Gedächtnis, was die Vereinsgeschichte Neunkirchens angeht. Im Eingangsbereich der Borussia sieht er ein eingerahmtes  Din-A4-Foto von einem Pokalspiel gegen den FC Bayern. Sofort nennt er Datum, Ergebnis und Torschützen der Partie.

Der „Roque“ (Santa Cruz) habe dreimal getroffen, der „Scholli“ (Mehmet Scholl) mit zwei Schwalben jeweils Elfmeter herausgeholt. Einmal 1992 (0:6), einmal 2003 (0:5). Kelm verübelt so etwas, wenn es gegen seine Borussia geht. Noch heute sieht er sich bei Fußball-Großereignissen lieber die Übertragung des ZDF an als die der ARD, bei der Scholl als Experte mitwirkt.

Neunkirchen verdarb Bayern den Aufstieg

Neunkirchen ist der Verein mit dem wohl krassesten Absturz der ehemaligen Bundesligisten. Nach einer Insolvenz spielt der Club mittlerweile in der Oberliga und hat weiter mit finanziellen Sorgen zu kämpfen. Bei den Heimspielen schauen teilweise nur noch 150 Fans zu - in einem Stadion, in das über 20 000 Menschen passen und das vollbesetzt mit seinen steilen Rängen durchaus furchteinflößend wirken kann. Zum Vergleich: Die Footballer der Saarland Hurricanes locken mehr als 1000 Begeisterte in das über 100 Jahre alte  Traditionsstadion am Ellenfeld, in das einst bereits Franz Beckenbauer, Helmut Rahn und Oliver Kahn eingelaufen sind.

Gerade weil eine Rückkehr in das Profi-Business in Neunkirchen undenkbar ist, träumen und schwärmen sie gerne von der Vergangenheit. Und wer kann schon erzählen, dem FC Bayern und dem FC Barcelona mal Paroli geboten zu haben? Früher als die Katalanen hatten sie in Neunkirchen erste Farbfotos von Heimspielen aufgenommen, früher besaßen sie eine eigene Turnhalle auf dem Vereinsgelände.

Und den Münchnern verdarb der heute abgestürzte Verein 1964 den erstmaligen Aufstieg in die Bundesliga. Ex-Profi Günter Schröder, geboren 1940 und damals auf dem Rasen, erinnert sich an die Sternstunde: „Der Bayern-Kapitän (Herbert Erhardt) hat zu unserem Spielführer (Karl Ringel) bei der Platzwahl gesagt: „Karl, wir machen's gnädig““, erzählt Schröder mit lauter Stimme, ein unübersehbares und stolzes Strahlen macht sich in seinem Gesicht breit.

Denn die Bayern machten es nicht gnädig, sondern verloren vor eigenem Publikum mit 0:2 und stiegen nicht auf. „Wir waren drin und die Bayern nicht. Das war die Sensation in Deutschland“, sagt Schröder.  Mit Käfern und Cabrios fuhren die Helden durch die Stadt und ließen sich bei einem großen Empfang in der Stadt feiern.

Zu wenig Kontinuität, zu viel Emotionalität

Für die heutigen Profis hat er, der über Jugend, Profis und  Altherrenteam 62 Jahre Fußball spielte, kaum Verständnis: „Die Identifikation in der jetzigen Zeit ist eine Schande“, schimpft Schröder, während er mit Präsident Bach und Archivar Kelm über den Rasen ihres Ellenfeldstadions schlendert.

Doch wie konnte es zu einem solchen fußballerischen Absturz eines kompletten Bundeslandes kommen? Der Saarbrücker Geschäftsführer Fischer sieht die Erwartungshaltung als elementaren Punkt in der Entwicklung von Traditionsvereinen. „Die Vereine haben eine bewegte Vergangenheit. Wegen des hohen Drucks gibt es zu wenig Kontinuität und zu viel Emotionalität“, urteilt der 32-Jährige.

Im Ludwigspark haben sie neben der Gegengerade einen einsamen Block stehengelassen. Er ist mittlerweile völlig im Gras eingewachsen und soll im neuen Stadion nur noch als Relikt dienen. Der Block dürfte den Verein für immer an das 6:1 gegen den FC Bayern erinnern. Und daran, wie das ganze Saarland einmal im Saarbrücker Ludwigspark zugegen war. (dpa)

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