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Benedikt Höwedes (r.) und Mesut Özil im Zweikampf mit Frankreichs Mathieu Valbuena.

© imago

WM 2014 - Deutschland vor dem Halbfinale: Humorlose Höwedesierung

Lange stellte Joachim Löw seine Philosophie über alles andere. Nun opfert der Bundestrainer Erlebnis- für Ergebnisfußball. Die Mannschaft spielt wie 2002 – als sie zuletzt ins Finale einzog.

Als in der vierten Minute der Nachspielzeit der rechte Arm von Manuel Neuer herausschnellte wie die Schleuderzunge eines Chamäleons, war auch der letzte Schuss der Franzosen abgewehrt. Und so langte der deutschen Elf am Ende ein Standardtor von Mats Hummels für den Einzug ins WM-Halbfinale. Sie tat es nicht, wie sich viele gewünscht hatten, mit atemraubenden Kombinationsfußball, sondern durch schnörkellosen Zweckfußball. Man könnte auch sagen: Humorloser geht es kaum.

Diese Schlussszene vom Viertelfinale in Rio de Janeiro erzählt weit mehr als das abermalige Vorstoßen einer deutschen Mannschaft in die Runde der letzten vier, was die halbe Nation in Taumel versetzt. Es erzählt auch die Geschichte von der nationalen Panik, die herrschte, als Manuel Neuer nach dem Pokalfinale zwei Wochen lang seinen rechten Arm nicht heben konnte. Und nun hält dieser Arm den deutschen Traum am Leben.

Nichts vom Hurrastil von 2010

Die Geschichte dahinter ist vielleicht die von der wundersamen Wandlung des Herrn Löw weg vom Erlebnisfußball-Trainer hin zum Ergebnisfußball-Trainer. Und das entgegen seiner jahrelang gelebten Überzeugung, wonach man letztlich nur mit Hochkultur erfolgreich sein könne. Löw hielt das Schöne am Spiel selbst nach schmerzlichen Niederlagen bei vergangenen Turnieren als Ideal hoch. Seine Spielphilosophie vom offensiven Fußball stellte er über jede andere Art von Fußball. Umso verräterischer waren seine Konsequenzen.

Das alles hat recht wenig zu tun mit dem Hurrastil, mit dem Löws Team noch durch die WM vor vier Jahren rauschte, der die halbe Welt begeisterte, aber im entscheidenden Spiel, dem Halbfinale gegen Spanien, an seine Grenzen stieß. Die Auftritte in Brasilien erinnern vielmehr an jene der WM 2002, als die deutsche Mannschaft nach drei schmucklosen 1:0-Siegen in der K.-o.-Phase plötzlich im Finale stand. Selbst dass sie dort – gegen Brasilien – ihr bestes und fußballerisch anspruchsvollstes Spiel bot und verlor, passt irgendwie ins Bild.

Nun kommt es am kommenden Dienstag erneut zu diesem Duell mit dem Rekordweltmeister und WM-Gastgeber, gegen den Löws Mannschaft zuletzt vor zwei Jahren in Stuttgart spielte – und 3:2 gewann. Das allerdings mit einem Fußball, der so leicht und kreativ war, dass selbst die Erfinder dieser Spielwiese, die Brasilianer, staunten. Allein das Tor von Mario Götze zum zwischenzeitlichen 3:1 brachte dem Jüngling den Beinamen Götzinho ein. Bei dieser WM aber werden solche Spieler förmlich verschluckt.

Hummels: WM-Titel "nicht mit zwei Gegentoren im Schnitt"

Selbst Brasilien spielt längst nicht mehr diesen künstlerischen, fast schon artistisch anmutenden Fußball von einst. Genauso wenig wie die Deutschen. Es kommt nicht von ungefähr, dass beide ausschließlich dank Standardtoren ihre Viertelfinalspiele gewannen.

Vielleicht ist es ja so, dass das jetzige Löw-Team gerade einer gewissen Höwedesierung unterliegt. Der kantige Verteidiger brachte mit seiner humorlosen Art einen filigranen Trickser wie Frankreichs Valbuena schier zur Verzweiflung. „Frankreich ist nicht viel eingefallen, weil wir gut verteidigt haben“, sagte Benedikt Höwedes hinterher und erinnerte an eine Weisheit, wonach die Offensive zwar Spiele gewinne, aber die Defensive eben Meisterschaften. Für Hummels ist das „die Art Fußballspiel, mit der wir die größte Chance haben zu gewinnen. Ich glaube nicht, dass man mit zwei Gegentoren im Schnitt eine WM gewinnen kann.“

Joachim Löw hingegen wirkte wie einer, der zu seinem Glück etwas gezwungen wurde. Die Rückbesinnung auf ein System mit einer Doppelsechs im Zentrum und Philipp Lahm in der Abwehr tat der Mannschaft gut. Sie gewann an Stabilität, auch wenn sie manches Mal an eine Versteifung grenzte. „Wir haben sehr eng und kompakt gestanden, wir saßen dem Gegner ständig im Nacken“, sagte der Bundestrainer noch. Ob man nun gleich von einer neuen Identität sprechen müsse, wie es Manuel Neuer anklingen ließ, sei mal dahin gestellt. Zumindest aber „sind wir eine defensiv denkende Mannschaft“.

Müller: "Wissen, was nötig ist"

Etwas weiter fasste Thomas Müller die neue Herangehensweise. „Wir wissen, was nötig ist“, sagte der 24-jährige Stürmer. „Wenn wir so arbeiten füreinander, ist es ganz schwer, uns zu schlagen.“ Dass es am Ende dann wieder ein Standardtor war, das Deutschland zum Weiterkommen reichte, „schadet nichts“, wie Müller bemerkte: „Uns freut’s, dass wir jetzt auch bei Standards mal ein paar Dinger machen.“

Auch das gehört zum Löwschen Wandel, dass er die Mannschaft Standards trainieren lässt, die ihm sonst als ein zu vernachlässigendes Übel galten. Hummels Kopfballtreffer war bereits das vierte deutsche Turniertor aus einem ruhenden Ball heraus. Als hinterher Manuel Neuer noch auf seine heroische Rettungstat angesprochen wurde, antworte er, wie er hielt: „Innen standen wir gut. Wenn der Ball reingeht, ist es ein Torwartfehler.“ Humorloser geht es nun wirklich nicht mehr.

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