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In einem anderen Licht. Jupp Heynckes machte in der Vergangenheit einen oft unbeholfenen Eindruck. Nach dem Champions-League-Sieg am vergangenen Sonnabend überraschte der Bayern-Trainer und wagte ein öffentliches Tänzchen.

© Reuters

Vor dem Pokalfinale im Olympiastadion: Bayern-Trainer Jupp Heynckes: Einst Pedant, heute Vorbild

Im Pokalfinalspiel gegen den VfB Stuttgart will der FC Bayern am Samstagabend im Berliner Olympiastadion Geschichte schreiben. Zum ersten Mal könnte ein deutsches Team das Triple aus Champions League, Meisterschaft und DFB-Pokal gewinnen. Was würde der Titel für Bayern-Trainer Jupp Heynckes bedeuten?

Hermann Gerland ist eine Seele von Mensch. Der Co-Trainer des FC Bayern München kann in seiner Wortwahl zwar manchmal ein wenig grob sein, aber bösartig ist er nie – weil selbst Beleidigungen aus seinem Mund im Grunde nichts anderes sind als Liebesbezeugungen. Doch auch wenn Gerland ein durch und durch guter Mensch ist, macht er sich keine Illusionen darüber, was ihm nach seiner irdischen Existenz blüht. „Josef!“, hat er am vergangenen Wochenende seinem Chef Jupp Heynckes zugerufen. „Irgendwann holt uns der Sensenmann, du kommst in den Himmel, ich in die Hölle.“

Ob Gerland wirklich in die Hölle muss – darüber wird man beizeiten noch verhandeln müssen. Aber dass Jupp Heynckes eines fernen Tages in den Fußballhimmel auffahren wird, daran bestehen nach dieser Saison wohl keine ernsthaften Zweifel mehr. Der 68-Jährige, der am Samstag im DFB-Pokalfinale gegen den VfB Stuttgart mutmaßlich zum letzten Mal auf einer Trainerbank sitzen wird, hat im vergangenen Jahr eine erstaunliche Wandlung durchgemacht. Am Ende seines Berufslebens erfährt Heynckes für seine Arbeit eine Wertschätzung, die ihm in der Vergangenheit nicht immer zuteil geworden ist.

Am Tag vor dem Pokalfinale sitzt der Trainer der Bayern in der Aufwärmhalle des Olympiastadions. Dunkler Anzug, hellblaues Hemd, dunkelblaue Krawatte, die grauen Haare zur Tolle aufgetürmt und das Kreuz durchgedrückt. Heynckes presst die Fingerspitzen aneinander, die Hände zittern ein wenig, seine Pupillen flitzen von links nach rechts und scannen den Saal. Zwei Plätze neben ihm auf dem Podium sitzt Bruno Labbadia, den Heynckes 1991 ein paar Monate trainiert hat und der heute mit dem VfB Stuttgart sein finaler Gegner sein wird. Labbadia lobt den Kollegen als „ein Vorbild für den ganzen Trainerstand“. Ein leichtes Lächeln schleicht über Heynckes’ Gesicht. „Danke“, sagt er. Doch das ist kaum zu hören. Sein Mikro ist ausgeschaltet.

34 Jahre – mit Unterbrechungen – ist Heynckes jetzt als Trainer tätig, genau die Hälfte seines Lebens. Als er am 11. August 1979 zum ersten Mal bei seinem Heimatklub Borussia Mönchengladbach auf der Bank saß, war er gerade 34 und damals der jüngste Cheftrainer der Bundesligageschichte. Schalke hieß vor 28 100 Zuschauern auf dem Bökelberg der Gegner. Am Ende hieß es nach Toren von Mario Boljat (Schalke) und Harald Nickel 1:1.

Natürlich war Jupp Heynckes damals nicht der Jupp Heynckes, der er heute ist: offen, weltgewandt und gelassen. Wolfram Wuttke hat von 1980 bis 1982 unter ihm gespielt und seinen Trainer in dieser Zeit, wie er dem Magazin „11 Freunde“ erzählt hat, als introvertierten Pedanten kennen gelernt: „Der achtete auf jede Kleinigkeit und hatte seine Augen überall.“ Mannschaftsintern wurde Heynckes damals Osram genannt. Nicht Wuttke war, wie oft behauptet, der Urheber dieses Spitznamens, sondern Rudi Gores. „Er war Mitte 30, relativ jung also. Auf einmal war er für so eine gestandene Bundesligamannschaft verantwortlich“, erinnert sich Gores. „Da ist er eben manchmal rot angelaufen. Wie eine Glühbirne.“

Auch Heynckes' große Karriere hat einige Tiefen erlebt.

In der Rückschau verklärt sich manches. Dabei hat auch Heynckes’ große Karriere einige tiefe Tiefen erlebt. Bei Eintracht Frankfurt reichte er 1995 nach nicht mal einer Saison wegen unüberbrückbarer Differenzen seinen Abschied ein. In Erinnerung blieb vor allem die Suspendierung der Stars Yeboah, Gaudino und Okocha. „Er hat die Eintracht mit dieser Aktion auf Jahre kaputtgemacht“, hat Anthony Yeboah ihm später nachgesagt. 1998, als Heynckes mit Real Madrid die Champions League gewann und anschließend entlassen wurde, schrieb der Schriftsteller und Real-Fan Javier Marias: „Den Trainer Jupp Heynckes finde ich nicht unbedingt hellsichtig.“ 2004 begründete Schalkes Manager Rudi Assauer Heynckes’ Entlassung mit den Worten: „Der Jupp ist ein Fußballer der alten Schule.“ Und sein zweites Engagement in Mönchengladbach beendete Heynckes schon nach einem halben Jahr wieder – nachdem er drei Morddrohungen erhalten hatte. Im Februar 2007 schien die Zeit des Trainers Heynckes endgültig vorbei zu sein.

Heute, sechs Jahre später, kann Heynckes etwas erreichen, was in Deutschland niemand zuvor geschafft hat: das Triple aus Meisterschaft, Pokal und Europacup gewinnen. Er hätte dann in seinem letzten Jahr als Trainer genauso viele Titel gewonnen wie in den 33 Jahren zuvor. Möglich war das wohl nur, weil sich Heynckes in einem Alter, in dem man normalerweise nur noch die Rente herbeisehnt, noch einmal neu erfunden hat. Vielleicht ist das seine größte Leistung überhaupt gewesen. „Er ist nie stehen geblieben“, sagt Bruno Labbadia, „hat sich immer weiterentwickelt.“

Der Pedant und Prinzipienreiter von einst strahlt jetzt Ruhe und Gelassenheit aus. Spieler wie Pierre-Emile Höjbjerg, 17, oder Emre Can, 19, könnten seine Enkel sein, und doch weiß er, wie sie ticken, wie er mit ihnen umgehen muss. Wenn man Bayerns Kapitän Philipp Lahm nach dem Beitrag des Trainers zu dieser außergewöhnlich erfolgreichen Saison fragt, sagt er als erstes, dass Heynckes „sehr, sehr menschlich“ ist: „Das macht es angenehm, unter ihm zu arbeiten.“

Es gab auch in dieser scheinbar perfekten Saison Situationen, die Heynckes aus dem Gleichgewicht hätten bringen können. Dass die Bayern, ohne jede Rücksicht auf ihn und seine Pläne, die Chance nutzten, Pep Guardiola zu verpflichten – das hat ihn wohl mehr getroffen, als er nach außen hat dringen lassen. Und auch die Bestellung von Matthias Sammer zum Sportdirektor scheint ihn nicht vollends begeistert zu haben. Heynckes hat sich nie offen zu dieser Personalie geäußert, und doch waren seine Vorbehalte zu spüren. Vielleicht hat er gefürchtet, Sammer käme wie ein Aufpasser für ihn rüber, nachdem er in der vorigen Saison mit der Mannschaft drei Mal Zweiter geworden war. War es am Ende nur Sammers ewiger Ehrgeiz, der die Bayern zu ihren Titeln und Rekorden getrieben hat? Nein, war es nicht. Um sich nach der vorigen Saison neu zu motivieren, hat Heynckes Sammer sicher nicht gebraucht. Schon als Spieler habe er aus Rückschlägen und Misserfolgen „große Kraft und Motivation“ geschöpft, erzählt Heynckes am Tag vor dem Finale.

Heute kann Heynckes nicht nur das historische Triple vollenden, er kann auch zum ersten Mal in seiner Karriere als Trainer den DFB-Pokal gewinnen. Sein Lebensglück wird davon nicht abhängen. Jupp Heynckes sagt: „Ich bin auch so ein zufriedener Mensch.“

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