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Roger Federer nach seinen Wimbledonsiegen.

© AFP

Roger Federer und Wimbledon: Er hat an der Uhr gedreht

Roger Federer dominiert das Männertennis beinahe wie früher – der achte Wimbledon-Sieg muss längst nicht sein letzter gewesen sein.

Die Uhr im Tennis läuft rückwärts. Nach drei gespielten Grand Slams ist alles so wie es schon einmal war. Roger Federer ist Wimbledonsieger, zum bereits achten Mal. Zuvor hatte er bereits in Australien die Sportwelt verzückt und in Paris beherrschte Rafael Nadal wie eh und je den größten Sandkasten der Welt. Die Siegerlisten sahen für die großen Turniere schon in den Jahren 2006 und 2007 ganz genauso aus. „Wenn ich jemandem erzählt hätte, dass ich in diesem Jahr zwei Slams gewinne, wäre ich wahrscheinlich ausgelacht worden. Ich hätte es ja selbst nicht geglaubt“, sagte Federer am Sonntag nach seinem historischen Triumph.

Und doch ist es passiert, erstmals hat der 35-Jährige in Wimbledon sogar ohne jeglichen Satzverlust gewonnen. Ganz so wie einen Monat zuvor Nadal bei den French Open. Dass es noch einmal so kommt im Tennis, darauf hatten viele Fans gehofft – gerade im Falle Federer. Dennoch: Diese Renaissance hatten ihm viele nicht mehr zugetraut, nachdem er in den vergangenen Jahren immer wieder daran gescheitert war, noch einmal ein ganz großes Turnier zu gewinnen. Irgendwo in sich muss er gespürt haben, dass seine Reise noch nicht zu Ende war, selbst nach der langen Verletzungspause im zweiten Halbjahr 2016 – der längsten in seiner Profikarriere überhaupt.

Zumindest die nahe Zukunft im Tennis gehört mal wieder Federer

In ein paar Wochen wird Federer 36 Jahre alt. Und auch wenn es merkwürdig klingt: Die Zukunft – zumindest die kurzfristige – gehört ihm. Andy Murray und Novak Djokovic sind verletzt, wann sie auf die Tour zurückkehren können, ist fraglich. Nur sein alter Weggefährte Nadal wirkt immer noch ähnlich hungrig wie Federer selbst. Von der Generation nach den großen Vier redet kaum noch einer. Kei Nishikori, Juan Martin del Potro, Milos Raonic oder auch Wimbledon-Finalverlierer Marin Cilic sollten einst in die Fußstapfen von Federer & Co. treten. Inzwischen wirken sie ausgebrannter als der Maestro selbst. Zusammen bringen es die Mitt- bis Endzwanziger auf gerade mal zwei Grand-Slam-Titel. Viele werden nicht mehr hinzukommen. Das Zeitfenster schließt sich, die Großen haben in den vergangenen 15 Jahren fast alles abgeräumt. Seit dem ersten Wimbledonsieg von Roger Federer gingen 49 von 58 Grand-Slam-Titeln entweder an den Schweizer, an Nadal, Djokovic oder Murray. Rechnet man Stan Wawrinkas Erfolge noch hinzu sind es sogar 52.

Jetzt drängt die nächste Generation nach vorn. Alexander Zverev und Dominic Thiem könnten die Gesichter des kommenden Jahrzehnts werden. Sie haben schon deshalb bessere Chancen Federers Erbe anzutreten, weil selbst der irgendwann aufhören muss. Im Moment wirkt diese Vorstellung aber fast schon amüsant. Selbst diejenigen, die Federer schon vor ein paar Jahren abgeschrieben haben, müssen einsehen, dass sie verfrüht geurteilt haben. Mit seiner Art, Tennis zu spielen, scheinen selbst zehn Titel in Wimbledon realistisch. Erst recht, wenn er bei der Turnierplanung weiterhin zuerst auf seinen Körper hört.

In den kommenden Wochen will Federer ausruhen. „Ich will das Ganze jetzt auch genießen“, sagte er. Die US Open sind sein nächstes großes Ziel, viel mehr als ein Turnier wird er davor aber vermutlich nicht mehr spielen. In New York könnte er seinen 20. Grand-Slam-Titel holen und den endlosen Superlativen über ihn einen weiteren hinzufügen.

Auch in der Weltrangliste wird Federer wohl bald wieder ganz oben stehen

„Zwischendurch dachte ich, ich würde träumen“, hatte Federer 2001 nach seinem Achtelfinalsieg gegen Pete Sampras in Wimbledon gesagt. Es war sein erster großer Erfolg als Profi. 16 Jahre später geht der Traum immer noch weiter. Federer hat sein Spiel noch einmal auf ein neues Level gehoben – und ist sich dabei treu geblieben. Auf dem Platz sucht er die Offensive, damals wie heute. Seine Schläge kommen mit einer Präzision, die ihresgleichen sucht. Und mit dem Triumph von Melbourne ist die Lockerheit zurück. Psychisch wirkt er so stark wie zu seinen besten Zeiten. Die Gegner begegnen dem Altmeister wieder mit mehr Respekt als noch vor zwei, drei Jahren.

Gefühlt ist Roger Federer bereits wieder die Nummer eins, und es wird wohl nicht mehr lange dauern, bis der Weltranglistencomputer dies bestätigt. Und dennoch tickt auch für ihn die Uhr. Nur, dass er es irgendwie geschafft hat, dass sich die Zeiger in seinem Fall entgegen ihrem eigentlichen Sinn bewegen.

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