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Bringt auch Basketballer zum Staunen. Die Übung mit Ball der Weltmeisterin Jana Kudrjawzewa gilt als perfekte Verbindung von Musik und Bewegung.

© Imago

Rhythmische Sportgymnastik: "Als Hungerhaken disqualifiziert man sich"

Cheftrainerin Katja Kleinveldt spricht vor der WM in Stuttgart über Körper und Kunst in der Rhythmischen Sportgymnastik.

Frau Kleinveldt, beim Fußball ragt ein Fallrückzieher heraus, beim Turnen ein Flug am Reck, beim Tennis ein Ballwechsel – was ist es bei der Rhythmischen Sportgymnastik?

Momente, in denen es eine Gymnastin schafft, technisch perfekt und super musikalisch zu arbeiten. Die Akzente der Musik zu nutzen und dann noch eine persönliche Note rüberzubringen. Da bekomme ich schon mal Gänsehaut. Es sind ganz selten extreme Stunts wie Wurf mit Vierfachrolle oder eine zwanzigfache Drehung.

Wer schafft solche Momente?

Weltmeisterin Jana Kudrjawzewa aus Russland. Wer sich das anschaut auf Youtube bei der EM 2013 mit Ball, wird verstehen, was ich meine: totale Perfektion zwischen Bewegung und Musik und lauter Momente, bei denen man nur ahnen kann, was kommt. Ich habe das mal Leuten vom Basketball gezeigt. Die haben gesagt: Wahnsinn, was ist denn hier los?

Am Montag beginnt die Weltmeisterschaft in Stuttgart. Welche Wertschätzung erleben Sie für Ihre Sportart in Deutschland?

Wahrscheinlich bin ich zu sehr in der Sportart drin, um sagen zu können, wie sie nach außen wirkt. Aber da waren in den letzten Jahren leider viele Skandale, die den Ruf beschädigt haben. Die Manipulationen der Wertungsrichter. Diese extremen Hungergestalten. Da haben sich viele abgewendet und gesagt: Ist ja nur noch Kinderzirkus mit verrenkten, anorektischen Mädchen.

Wie sieht es jetzt aus?

Das ist durch die Regeländerungen anders geworden. Jetzt sind es wieder mehr junge Frauen, die auftreten. Es sind auch mehr Musik, mehr Tanz und mehr Kunst in den Übungen, mehr Originalität und weniger Schwierigkeiten. Insofern ist der Ruf deutlich besser geworden. Die WM ist am nächsten Freitag, Samstag und Sonntag ausverkauft.

Was haben Sie selbst verändert?

Wir arbeiten dran, mehr Vorzeigeathletinnen heranzuziehen. Wir haben einen Altersschnitt, der relativ niedrig ist, mittel- bis langfristig soll der höher werden, damit wir selbstbestimmtere und selbstbewusstere Athletinnen haben.

Höher heißt?

Anfang bis Mitte 20 wäre schon schick. Unsere beiden Einzelgymnastinnen sind 20, und der Schnitt in der Gruppe liegt bei 17 bis 18. Damit sind wir die zweitjüngste Gruppe in den Top Ten der Welt.

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Sie sind einerseits Fachtrainerin, andererseits aber auch Pädagogin, die junge Mädchen in einer Übergangsphase betreut. Die Cheftrainerin im Geräteturnen, Ulla Koch, hat einmal gesagt, es gehe immer wieder darum, die Mädchen zu bestärken und Themen wie Essen und Gewicht zu normalisieren. Wie sieht das in Ihrer Arbeit aus?

Damit fangen wir auch an. Es gibt immer noch Trainerinnen, die ganz streng sind, die Mädchen ständig auf die Waage stellen. Die Mädchen trauen sich dann nicht, vor den Trainern zu essen. Das ist völlig sinnfrei, denn dann essen sie heimlich Süßigkeiten. Aber an unserem Bundesstützpunkt in Schmiden haben wir noch nicht mal mehr eine Waage in der Halle.

Wann ist für Sie die Grenze zwischen Disziplin und Essstörung überschritten?

Wir haben jetzt ehrlich gesagt keine Mädchen in der Mannschaft, die kritisch sind, weder beim Untergewicht, noch beim Übergewicht. Wir checken das schon. Wir haben auch einen Psychologen, der sich dann ransetzt und eine Ernährungsberaterin. Ich bin ja erst seit Februar dabei, seitdem ist nichts Gravierendes passiert.

Wenn Sie etwas von Trainern mitbekommen, die Athletinnen mit dem Thema Gewicht gängeln, könnten Sie sagen: Ich bin die Chefin, das gibt's hier nicht mehr?

Das kann ich an meinen Stützpunkten machen. Was in den Vereinen passiert, da bin ich nicht weisungsbefugt. Meine Haltung ist: Fürs Wiegen ist die Sportmedizin zuständig. Wir haben auch genug Trainer, die pädagogisch sauber arbeiten. Das Thema haben wir auch im Deutschen Turner-Bund mehrfach in Fortbildungen thematisiert.

Inwieweit wird die Selbstdisziplin beim Essen auch vom Zeitgeist gefördert, von Sendungen wie Germany's Next Topmodel?

Wenig. Die Sportart ist so anspruchsvoll geworden von der Athletik, dass man als Hungerhaken nicht überlebt. Die disqualifizieren sich selbst mit ihrem Verhalten. Man muss schon Muskeln haben und Biss. Eine sportliche Figur. Man muss stark sein und Ausdauer haben und Energie.

Was lässt Sie eigentlich trotz der Schwierigkeiten und Skandale und trotz des geringen öffentlichen Interesses für die Rhythmische Sportgymnastik schwärmen?

Es ist eine Sportart, die unheimlich viele verschiedene Aspekte kombiniert und daher sehr ausgewogen ist, was die Persönlichkeitsentwicklung betrifft, aber auch die körperliche Entwicklung. Man braucht Ausdauer, Kraft, Beweglichkeit, Koordination. Dann dieser ganze künstlerische Bereich: Rhythmusgefühl, Musikalität, Ausdruck, Gestaltung. Weil es so vielseitig ist, ist es auch für kleine Kinder und im Breitensport interessant. Es ist eine gute koordinative Grundschulung, rechts-links, Hand-Auge, Hand-Fuß, das ist schon fast einmalig, wenn man es mit anderen Sportarten vergleicht.

Katja Kleinveldt, 48, ist seit Februar Cheftrainerin für Rhythmische Sportgymnastik im Deutschen Turner-Bund. Die promovierte Medizinerin ist außerdem Verbandstrainerin in Berlin.
Katja Kleinveldt, 48, ist seit Februar Cheftrainerin für Rhythmische Sportgymnastik im Deutschen Turner-Bund. Die promovierte Medizinerin ist außerdem Verbandstrainerin in Berlin.

© promo/BTFB

Der Bundesinnenminister hat mehr Medaillen gefordert. Was heißt das für Sie?

Wir haben gerade unseren Acht-Jahres-Plan beim DOSB vorgelegt. Im Moment belegen wir mit unserer Gruppe Platz vier, wenn's gut läuft, und Platz zehn, wenn's schlecht läuft. Man könnte also gerade ins olympische Finale der besten acht kommen. Und es haben sich viele damit abgefunden: Da sind wir halt. Aber wir haben viel intern rumdiskutiert, was wir machen können, um vielleicht mal eine Medaille zu gewinnen.

Was denn zum Beispiel?

Die Alterserhöhung gehört dazu. In anderen Ländern sind die Athletinnen hauptberuflich Gymnastinnen. Die können viel mehr trainieren als unsere, die noch zur Schule gehen. Wir brauchen eine Strategie, die hätten wir wahrscheinlich nicht ausgearbeitet, wenn nicht die Ansage von oben gekommen wäre. Klar muss auch mehr Geld reingesteckt werden. Aber Geld allein macht's auch nicht. Das sieht man bei Aserbaidschan, das russlandgleich Millionen reinpumpt und dann kommt gerade mal eine Silber- und Bronzemedaille raus von etwa 25 möglichen Medaillen bei einem Großevent. Es geht eben auch um die Pädagogik, die Trainer-Sportlerin-Beziehung, das Stützpunktsystem, die Motivation der Leute.

Sie halten es für realistisch, dass es mal zu einer Medaille reicht, obwohl andere Nationen so viel in Ihre Sportart investieren?

Italien und Spanien gewinnen auch Medaillen, manchmal bei Weltmeisterschaften sogar Gold. Wenn es nur Länder wären wie Russland, Ukraine, Weißrussland, Aserbaidschan, wäre es eine andere Kiste. So ist es auch im Einzel. Da sind die Medaillen verteilt. Aber in der Gruppe spielen mehr Sachen rein, so ist es im Fußball ja auch, da müssen sich Spieler und Trainer und die Spieler untereinander verstehen, sonst erreicht man nicht viel. Die Gruppe ist viel spannender. Da werden jedes Mal die Karten neu gemischt.

Das heißt, Teamgeistschulung macht einen nicht gerade kleinen Teil Ihrer Arbeit aus?

Auf jeden Fall. Eine Medaille schaffen wir aber nicht in vier Jahren. Für Tokio 2020 peilen wir Platz vier bis sechs an. Und für 2024 sehe ich die Möglichkeit einer Bronzemedaille für die Gruppe.

Was bedeutet jetzt diese WM für die Rhythmische Sportgymnastik in Deutschland?

Hoffentlich schaffen wir hier eine Olympia-Qualifikation. Die Vorstellung, dass man einem Team hilft, zu Olympischen Spielen zu kommen, das ist schon toll.

Spüren Sie eine Stimmung wie: Jetzt ist die WM im eigenen Land, macht was draus, wer weiß, wann es so etwas wieder gibt?

Ja, das ist ein ganz großer Punkt. Als sich die Mädchen und die Trainer die Halle angeschaut haben, hat einer vom Organisationskomitee gesagt: Wir machen hier alles für euch. Den Trainern kamen da schon die Tränen vor Rührung. Die Sportart darzustellen vom Breitensport bis zur Spitze, so etwas wird sicher so schnell nicht mehr kommen.

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