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John Degenkolb, 27, gewann im vergangenen Jahr als erster Deutscher seit 1896 den Klassiker Paris - Roubaix. Der gebürtige Geraer fährt für das deutsch-holländische Team Giant Alpecin, dessen aktuelle Mannschaft am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde.

© Imago

Radprofi im Interview: John Degenkolb: "Du musst diese Rennen lieben"

Der deutsche Radprofi John Degenkolb über das mögliche Triple bei den Klassiker-Rundfahrten, Doping, die Tour de France und seine neue Rolle im Team Giant Alpecin.

Herr Degenkolb, wie gefällt Ihnen der Winter in Berlin? Haben Sie schon eine Ausfahrt mit dem Rad unternommen?

Ich war geschockt, als ich hier ankam. Am Morgen war ich noch auf Mallorca bei 15 Grad plus und dann das. Wer nicht sehr erfahren ist, sollte bei den Temperaturen und den Straßenverhältnissen das Fahrrad besser stehen lassen.

Wenn Sie zuhause in Frankfurt am Main sind und kein Schnee liegt, fahren Sie aber schon mal mit dem Fahrrad durch die Stadt?

Klar, ich bin da jetzt nicht nur mit dem Motorrad oder Auto unterwegs. Sondern fahre auch mal mit dem Stadtrad zum Einkaufen.

Und geraten Sie dann auch mit wütenden Autofahrern aneinander?

Ich bin schon auf Leute getroffen, die sich gestört fühlen, wenn wir Rennfahrer in Zweierreihen nebeneinander auf einer Landstraße unterwegs sind. Die rauschen dann in ihren Autos mit zehn Zentimeter Abstand an einem vorbei und finden das supercool.

Wie könnte das Verhältnis von Radlern und Autofahrern entkrampft werden?

Vielleicht sollten die Leute, die selbst nicht mit dem Rad fahren, es einfach mal ausprobieren. Radfahren ist in Deutschland doch eigentlich sehr populär. Und da würde ich mir schon wünschen, dass etwas mehr Rücksicht auf die Radfahrer genommen werden könnte.

Sie sind gerade zu Deutschlands Radsportler des Jahres gewählt worden. 2015 haben Sie die legendären Rennen Mailand - Sanremo und Paris - Roubaix gewonnen. Wie wird man eigentlich Klassikerspezialist?

Ich habe mich von Anfang an für diese Rennen interessiert und sie begeistert verfolgt. Als ich dann gemerkt habe, dass ich selbst dafür gar nicht so untalentiert bin, war das Feuer umso mehr entfacht. Am Ende muss man diese Rennen lieben, um dort erfolgreich zu sein.

Ist der Sieg bei der Flandern-Rundfahrt in diesem Jahr das große Ziel?

Es wäre schön, das Triple zu vervollständigen und sagen zu können, man hat diese drei Monumente gewonnen. Es ist aber nicht so, dass ich mich jetzt nur auf die Flandern-Rundfahrt versteifen werde. Mein Ziel ist es einfach, im Frühjahr von Mailand - Sanremo bis zu Paris - Roubaix in Topform zu sein.

In Deutschland werden Etappensiege bei der Tour de France aber deutlich höher eingeschätzt. Stört Sie das?

Ich sehe das ganz gespannt. Das ist halt so eine deutsche Geschichte. Dabei habe ich eigentlich immer gesagt, dass ich einen Erfolg bei Paris - Roubaix oder Mailand - Sanremo einem Tour-Etappensieg vorziehen würde. Daran hat sich auch nichts geändert. Diese Monumente des Radsports zählen für mich einfach mehr. Das soll aber nicht heißen, dass ich bei der Tour keine Etappe gewinnen möchte.

Wie sehen Sie die Entwicklung des Radsports in Deutschland?

Ich glaube schon, dass sich Stück für Stück etwas tut. Auch wenn es nicht so schnell geht, wie es sich vielleicht der eine oder andere wünscht. Der Einsatz von Alpecin in Deutschland wird sich langfristig hoffentlich auszahlen. Die Verantwortlichen sind mit dem ersten Jahr zufrieden und wollen das auch erst einmal weiter machen.

Und 2017 startet die Tour de France dann sogar in Deutschland.

Das ist eine Riesengeschichte für die Fahrer und die Fans. Für mich geht da ein großer Traum in Erfüllung. Als kleiner Junge habe ich davon geträumt, die Tour zu fahren. Und die Steigerung davon war immer, bei einer Tour in Deutschland dabei zu sein. Und jetzt klappt das womöglich auch noch in einem deutschen Team.

Haben Sie den Eindruck, dass der Radsport hierzulande inzwischen nicht mehr nur auf Doping reduziert wird?

Da hat sich zuletzt einiges getan. Ich muss jetzt nicht mehr ständig darüber reden, was in der Vergangenheit passiert ist. Inzwischen geht es wieder mehr um den Sport. Da hat sich schon eine Kehrtwende vollzogen. Das liegt vielleicht auch an unserem Auftreten, an dem, wie wir unseren Sport leben. Wir sind mit dem Thema zuletzt ja sehr transparent umgegangen.

Was halten Sie vom neuem Anti-Doping-Gesetz, das seit dem 1. Januar gilt?

Ich finde gut, wie schnell das jetzt umgesetzt wurde. Das ist ja auch nach Rücksprache mit uns Athleten so entstanden. Es ist wichtig, dass man mit dem Gesetz jetzt noch mehr Hebel hat, um Abschreckung zu betreiben.

Wie nehmen Sie die Entwicklungen in anderen Sportarten, zum Beispiel in der Leichtathletik, wahr?

Ich bin keiner, der sich freut, wenn es in anderen Sportarten Skandale gibt. Wir haben im Radsport genug Baustellen, an denen wir arbeiten müssen. Natürlich sind wir schon vorangekommen, der Radsportverband ist in Sachen Doping durchaus Vorreiter. Aber wir müssen jetzt nicht mit dem Finger auf andere Sportarten zeigen, sondern sollten weiter vor der eigenen Haustür kehren.

John Degenkolb über die neue Rolle als deutsches Radsportidol

Wie gehen Sie mit der Rolle als neues deutsches Radsportidol um?

Es spornt mich jeden Tag an, eine solche Funktion einnehmen zu können. Allerdings fehlt im deutschen Radsport derzeit so ein bisschen der Unterbau. Da müssen wir in Sachen Nachwuchs in Zukunft viel tun. Vielleicht kann ich mit meiner Popularität da ja helfen.

Im Team Giant-Alpecin sind Sie nach dem Weggang von Marcel Kittel jetzt der Mann für fast alle Sprintankünfte. Wie gehen Sie mit diesem zusätzlichen Druck um?

Ich sehe darin auch eine große Chance für mich. Denn ich werde mehr Möglichkeiten bekommen, weil ich mehr Freiheiten habe und bei flachen Etappenankünften nicht mehr für Marcel fahren muss.

Und dann fahren Sie im Zielsprint gegen Ihren ehemaligen Teamkollegen und Freund die Ellbogen aus?

Wir werden das schon auf die Reihe kriegen. Wir sind ja auch im Nachwuchs gegeneinander gefahren. Von daher werden es ganz normale Duelle sein. Im Rennen ist man Gegner und danach sind wir wieder Kumpel. Aber das ist in anderen Sportarten ja nicht anders.

Nicht nur die Sprints im Radsport sind gefährlich. Zuletzt gab es auch Attacken auf die Fahrer, Fans wurden beispielsweise handgreiflich gegen Toursieger Christopher Froome. Wie gehen Sie damit um?

Im Rennen ist man fokussiert und wie im Tunnel. Natürlich versucht man, Gefahren abzuschätzen. Es kann ja auch einfach mal eine Kuh auf der Straße stehen. Aber weitere Gedanken mache ich mir da jetzt nicht. Das bringt auch nichts.

Der Radsport ist eine sehr offene Sportart, bei der die Fans sehr nah an die Athleten herankommen. Wie haben Sie in diesem Zusammenhang die jüngsten Terroranschläge in Paris wahrgenommen?

Natürlich habe ich das verfolgt und mir ist es eiskalt den Rücken runtergelaufen. Auch gerade weil es Paris war. Da sind wir jedes Jahr im Juli auf den Champs-Élysées und fahren vor hunderttausenden Fans. Es ist erschreckend, dass man sich darüber jetzt Gedanken machen muss.

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