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Er spielt einfach weiter. Timo Werner ignorierte die Pfiffe der Zuschauer in Nürnberg.

© dpa

Pfiffe bei der Nationalmannschaft: Die Leiden des jungen Werner

Auch beim 7:0 gegen San Marino pfeifen die Zuschauer den Spieler von RB Leipzig aus – Bundestrainer Joachim Löw reagiert verärgert. Der Stürmer selbst bleibt erstaunlich cool.

Mit seinem Speed, seiner Coolness vor dem Tor und der daraus resultierenden Treffsicherheit könnte Timo Werner der Spieler des Jahres der Bundesliga sein. Irgendwie ist er es auch, nur aus einem ganz anderen Grund. Seit Anfang Dezember, seit seiner Schwalbe beim 2:1-Sieg über Schalke 04, wird Werner in jedem Stadion mit Pfiffen empfangen und mit einem Sprechgesang, der es mittlerweile bis in die Schenken am Ballermann geschafft hat. Es geht dabei um seine Mutter und einen ihr unterstellten Job auf der Straße, für den sich heute keine Frau mehr schämen muss, aber für Beleidigungen reicht es immer noch.

Längst hat sich der Protest gegen Werner verselbstständigt. Es gibt „Timo Werner ist ein Hurensohn“ auf T-Shirts und CDs, auch der Gladbacher Trainer Dieter Hecking ist nach einer Heimniederlage gegen Leipzig auf den Anti-Werner- Zug aufgesprungen, wenn auch ohne Bezug auf Werners Mutter. Wer wollte sich da wundern, dass die Anfeindungen sich wie selbstverständlich auch bei Spielen der Nationalmannschaft abspielen. Als die Deutschen am Samstag ihr WM-Qualifikationsspiel gegen San Marino absolvierten, hätten sich die 32 467 Zuschauer in Nürnberg einfach an den sieben Toren des Nationalteams erfreuen können.

Doch nachdem Timo Werner in der 55. Minute eingewechselt worden war, ging es los mit dem etwas anderen Lärm auf den Rängen. Mit Buhrufen und Gesängen und Pfiffen. „Ich frage mich immer noch: Warum wird der Timo Werner eigentlich ausgepfiffen?“, sagte Bundestrainer Joachim Löw nach dem Spiel. „Es gab mal eine Schwalbe von ihm. Er hat einen Fehler gemacht, den hat er zugegeben.“ Löw forderte mehr Respekt von den Zuschauern bei kommenden Länderspielen: „Ein Nationalspieler, der so jung ist und der in der Bundesliga 21 Tore erzielt hat, darf nicht ausgepfiffen werden. Das ist nicht in Ordnung.“

Nervenstark mit 21

Erschwerend kommt bei Werner hinzu, dass er für einen Klub spielt, der sich unter den so genannten echten Fußballfans ständig wachsender Feindschaft erfreut. „Jahrelang wurden Schwalben gemacht, nur bei mir wird es so aufgebauscht, weil ich bei RB spiele. Das ist schade“, sagte der Leipziger Stürmer. So sehen das auch Werners Nationalmannschaftskollegen. „Ich will jetzt kein Fass aufmachen, aber ich finde es ein bisschen überflüssig“, sagte Stürmer Sandro Wagner, der drei Tore erzielte. Und: „Ich habe noch nie in dem Alter so einen guten Stürmer gesehen. An ihm haben wir noch viel Freude die nächsten Jahre. Unverständlich, dass man ihn auspfeift.“

Ein halbes Jahr lang geht das jetzt schon so, und das Bemerkenswerte daran ist, dass Timo Werner einfach auf höchstem Niveau weiterspielt. Er zieht seine Sprints an und schießt seine Tore, mit links und rechts und mit dem Kopf, als sei nie etwas gewesen. Der Mann ist gerade 21 geworden, aber sein emotionaler Haushalt wirkt nach außen so ausgeglichen wie der von Franz Beckenbauer, als er 1990 nach dem Sieg im WM-Finale gegen Argentinien über den Rasen von Rom traumwandelte.

Vielleicht ist es gerade diese Nervenstärke, die das Volk auf den Tribünen und am Ballermann so sehr gegen ihn aufbringt. Kann der nicht mal ein bisschen angefasst sein, wenn er schon nicht in Kameras heult? Werner tut ihnen den Gefallen nicht. Schon im Dezember hatte er gegen Schalke kein Problem damit, den zur unverdienten Belohnung seiner Flugeinlage verhängten Elfmeter zu verwandeln. Auch beim Rückspiel in Gelsenkirchen, als die Pfiffe am lautesten waren, erzielte er ein Tor.

Es hat den Anschein, als wandle Timo Werner die gegen ihn gerichtete negative Energie in positive um. Das Schwalbenelfmetertor gegen Schalke am 13. Spieltag war sein achtes in dieser Saison. 19 mal hat er danach noch in der Bundesliga gespielt und dabei 13 weitere Tore erzielt. Keine schlechte Bilanz für einen, der dem Publikum in 17 von 18 Bundesligastadien als Fußballstaatsfeind Nummer eins gilt. (mit dpa)

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