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Niko Kappel, 22, gewann bei den Paralympics in Rio de Janeiro die Goldmedaille im Kugelstoßen und wurde 2016 Behindertensportler des Jahres. Im Mai dieses Jahres verbesserte der 1,40 Meter große Athlet den Weltrekord in seiner Startklasse auf 13,78 Meter. Er arbeitet als Bankkaufmann und lebt im schwäbischen Welzheim.

©  Kay Nietfeld/dpa

Paralympics-Sieger Niko Kappel: "Warum soll ich es nicht leicht gehabt haben?"

Paralympics-Sieger Niko Kappel will in London Gold im Kugelstoßen gewinnen. Im Interview erzählt er auch, was ihn im Alltag stört.

Herr Kappel, was geht Ihnen als Erstes durch den Kopf, wenn Sie an die Paralympics in Rio denken?

Das Wort unfassbar. Es war eine wahnsinnige Zeit, im Wettkampf, aber auch danach. Wenn ich einen Moment benennen soll, dann ist das der, als ich zum ersten Mal unten das Stadion betrete, raus aus den Katakomben. Die Tribünen waren nicht extrem voll, aber auch die Tausende, die dort waren, haben eine unglaubliche Stimmung gemacht.

Also nicht der Moment, in dem Sie das Kugelstoßen gewonnen haben, die erste Goldmedaille für die deutsche Mannschaft bei diesen Paralympics?

Es war tatsächlich der Moment der Ankunft. Als der Brasilianer, der bei mir im Feld war, nur die Hand zur Begrüßung gehoben hat, sind die Leute schon ausgeflippt. Und ich selber dachte: Jetzt bist du da, genau dafür hast du ein Leben lang trainiert, jetzt geht es um die Medaillen.

Ein Leben lang? Sie haben es schon mit 22 Jahren geschafft, Paralympicssieger zu werden.

Noch 2014 hätte ich es mir nicht vorstellen können, dass ich so etwas mal schaffe. Ich wollte auch zwischendurch aufhören mit dem Sport, weil es nicht weiterging. Aber ich habe ein tolles Team, privat und beruflich, das hat mir beim Durchhalten geholfen.

Das Gefälle zwischen den Paralympics und einer WM ist größer als im Olympischen. Doch am Freitag in einer Woche beginnt die WM in London. Hätte der paralympischen Leichtathletik etwas Besseres passieren können?

Nein, vor allem nach den Paralympics, um den Schwung mitzunehmen. In London wird es mehr Zuschauer geben als bei den Paralympics in Rio. Die werden das Stadion schon gut gefüllt bekommen. Für mich gibt es daher auch keinen Unterschied zwischen Paralympics und WM, weil ich mich so wahnsinnig auf London freue. In Großbritannien stehen paralympische Athleten viel mehr in der Öffentlichkeit. Deshalb müssen wir erst mal auf uns selbst schauen, was wir tun können, um besser dazustehen.

Was könnte das sein?

Einfach präsenter zu sein. Zu erzählen, welche Einstellungen man zu bestimmten Themen hat. Nächstes Jahr sind die Europameisterschaften in Berlin, und zwar beide zusammen, für die olympische und die paralympische Leichtathletik. Für die EM macht der Deutsche Leichtathletik-Verband seit Olympia in Rio Werbung. Von der paralympischen EM liest man noch gar nix. Ich habe mal durch Zufall einen für Marketing Zuständigen der EM getroffen, der wusste nicht mal, dass wir auch dabei sind.

Die Paralympics in London 2012 sind zur Legende geworden mit ausverkauften Stadien und einer unfassbaren Begeisterung. Was verbinden Sie selbst damit?

Für mich persönlich war London ein Startschuss. 2008 habe ich noch nicht richtig im Fernsehen verfolgt. Bis dahin wusste ich auch gar nicht, dass Kleinwüchsige an den Paralympischen Spielen teilnehmen können. Daher waren die in London die ersten Spiele, die ich wahrgenommen habe und ich war auch selbst vor Ort beim Jugendlager. Bei der Eröffnungsfeier und der Abschlussfeier saß ich im Stadion. Ich weiß noch genau, was Coldplay dort gespielt hat. Ich saß mit ein paar Jugendlichen auf der Tribüne und sagte: Bei den nächsten Paralympics müssen wir unbedingt da unten mit dabei sein. Jetzt in dieses Stadion zurückzukommen, das wird ein absolutes Highlight.

Was hat sich denn für Sie verändert seit Ihrer Goldmedaille in Rio?

Ich bin total überrascht, zu wie vielen Veranstaltungen ich von Vereinen, Verbänden oder Firmen eingeladen werde, die mich gerne als Interviewpartner hätten, damit ich von Rio erzähle oder davon, wie man sich im Sport motiviert. Und auch bei der Inklusion geht einiges in die richtige Richtung. So wie in meinem Verein VfL Sindelfingen. Da gehörte ich von Anfang an zur Leichtathletik-Abteilung, nicht zu irgendeiner Behindertengruppe, das finde ich unglaublich toll?

Wo erfahren Sie noch Bewegung bei der Inklusion?

Was mich überrascht und auch gefreut hat, war, wie viele Schüler sich für Arbeiten das Thema Paralympics ausgesucht und mich angesprochen haben, ob wir uns nicht mal für eine halbe Stunde treffen können. Auch so kann man Werbung für den Sport machen. Die Öffentlichkeit geht inzwischen anders mit dem Thema Behinderung um. Da kann ich Ihnen noch ein Beispiel erzählen.

Nur zu.

Da kommt in Stuttgart eine ältere Dame auf mich zu und sagt: „Mensch, Sie sind doch der Sportler, herzlichen Glückwunsch.“ Ihr nächster Satz lautete: „Sie hens bestimmt net leicht ghabt in ihra Kindheit.“ Und ich frage mich: Warum soll ich es nicht leicht gehabt haben? Menschen aus der jüngeren Generation als die Dame sagen dagegen: „Sie sind doch der Sportler, herzlichen Glückwunsch, wir haben’s verfolgt.“ Da kommt dann kein Satz mehr, da geht es wirklich nur um den Sport.

Erzählen die Paralympics nicht doch andere Geschichten?

Natürlich ist im paralympischen Sport immer ein Hintergrund dabei, bei mir jetzt weniger, weil es bei mir von Geburt an so ist. Andere haben einen Schicksalsschlag erlebt. Aber zu den Paralympics fährt man ja nicht, weil man in einen Lostopf gegriffen und ein Ticket herausgezogen hat, sondern man darf sein Land sportlich vertreten aufgrund seiner Leistung.

Ist Inklusion also das Herstellen von Selbstverständlichkeiten?

Ja, das trifft es. Ich bin von meinen Eltern so erzogen worden wie andere auch. Später habe ich erfahren, dass manche Kleinwüchsige nicht am Sportunterricht teilnehmen. Warum soll denn ein Kleinwüchsiger nicht am Sportunterricht teilnehmen? Natürlich, beim Bockspringen hole ich keine 1. Auf der anderen Seite: Mein bester Kumpel war der Größte in der Klasse. Was er beim Bockspringen gut gemacht hat, das hat er beim Bodenturnen wieder verloren. Da hatte ich dann Vorteile. Meine kurzen Füße habe ich ja fast in die Hand nehmen können.

Das Gespräch führte Friedhard Teuffel.

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