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So sah das 2012 aus. Hockeyspielerin Natascha Keller in London.

© Imago/IMS

Olympische Spiele: Wer trägt die deutsche Fahne?

Erstmals wird eine Wahl darüber entscheiden, wer bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele die deutsche Fahne trägt. Am Sonnabend benennt der DOSB fünf Kandidaten - hier sind unsere Vorschläge.

Es ist eine anstrengende und schweißtreibende Aufgabe – und trotzdem heiß begehrt. Dirk Nowitzki beispielsweise war nach der Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiele 2008 völlig durchgeschwitzt von der Anstrengung, die deutsche Fahne durch das Vogelnest-Stadion von Peking getragen zu haben. Der deutsche Basketball-Star sprach trotzdem von einem „Wahnsinnsgefühl“ und dem großen Stolz, die deutsche Mannschaft als Fahnenträger angeführt zu haben. In knapp zwei Wochen werden die Spiele von Rio de Janeiro eröffnet – und erstmals geht der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) einen neuen Weg bei der Bestimmung seines Fahnenträgers.

Am heutigen Samstag nominiert der DOSB fünf Kandidaten, eine doppelte Wahl wird dann darüber entscheiden, wer die Fahne am 5. August ins Olympiastadion von Rio tragen darf. Einerseits sind die mehr als 400 deutschen Olympia-Starter wahlberechtigt, ihre Stimmen werden 50 Prozent der endgültigen Entscheidung ausmachen. Die andere Hälfte wird in einer öffentlichen Wahl ermittelt: Alle Sportinteressierten könnten bis zum 2. August auf den Webseiten von ARD, ZDF und „Bild“-Zeitung abstimmen. Am 4. August, einen Tag vor der Eröffnungsfeier, wird der Sieger der Abstimmung im Deutschen Haus in Rio präsentiert. Die vier unterlegenen Kandidaten sollen bei der Feier dann hinter der Fahne und vor dem Rest des Teams laufen. „Als herausgehobene Gruppe“, wie es DOSB-Vorstandschef Michael Vesper formuliert, „wir werden keine Verlierer produzieren.“

Vesper möchte mit dem Procedere „die Identifikation der Mannschaft und der Öffentlichkeit mit dem Fahnenträger stärken“. Die Kriterien sind ähnlich wie bei vergangenen Spielen: Der Fahnenträger soll im besten Fall olympische Meriten vorweisen können (in dieser Hinsicht war Nowitzki eine Ausnahme), er soll Vorbild, Sympathieträger und Identifikationsfigur zugleich sein. Ein weiterer kritischer Punkt ist die Verfügbarkeit: Viele deutsche Sportler fallen als Kandidaten aus, weil sie entweder wie die Fußballer bereits spielen, in der direkten Wettkampfvorbereitung stecken oder wie Kanuten und Leichtathleten erst später anreisen.

All das macht die Kür nicht gerade einfach. Die Tagesspiegel-Sportredaktion hat es trotzdem versucht und stellt auf dieser Seite ihre fünf Kandidaten vor.

TIMO BOLL, TISCHTENNIS

Er könnte der Fahne beim Wehen auf jeden Fall einen unverwechselbaren Spin geben – so wie dem Tischtennisball an der Platte. Und im bevölkerungsreichsten Land der Erde würde er auch sofort erkannt werden. Timo Boll liefert sich schließlich mit den Chinesen seit vielen Jahren heiße Duelle. Seine Fanschar in China reicht von jungen Mädchen bis zum Fachpublikum im Rentenalter. Seine Popularität verdankt der Rekordeuropameister nicht nur den Erfolgen. Geschätzt wird auch seine Fairness. Als er ein WM-Spiel in China schon gewonnen zu haben schien, machte er den Schiedsrichter darauf aufmerksam, dass ihm der Siegpunkt nicht zustehe, weil er Ball noch fast unsichtbar seine Tischhälfte berührt hatte. Boll verlor und schied aus. Das haben ihm gerade die Chinesen nicht vergessen. Die Fahne würde er bei seiner fünften Olympiateilnahme bestimmt mit Würde tragen.

In China kennt ihn jeder. Nicht nur da - Timo Boll bei den Spielen in London 2012.
In China kennt ihn jeder. Nicht nur da - Timo Boll bei den Spielen in London 2012.

© dpa/Jensen

FABIAN HAMBÜCHEN, TURNEN

Die Erfahrung spricht ganz klar für Fabian Hambüchen. Er weiß, wie man so eine Fahne elegant und unfallfrei ins Stadion trägt. Der Turner hat das schon im vergangenen Jahr bei den Europaspielen eindrucksvoll unter Beweis gestellt – in Baku war er der Fahnenträger des deutschen Teams. „Das war eine große Ehre“, sagt der 28-Jährige. Auch in Rio bietet er sich für den verantwortungsvollen Job an, obwohl er schon am Tag danach in den Wettkampf einsteigt: „Lassen wir uns überraschen.“ Noch in London war der ehrgeizige Hambüchen voll auf den Sport konzentriert, diesmal möchte er auch für die Dinge abseits der Turnhalle offen sein. Der Grund dafür ist klar: Sein Karriereende nach den Spielen ist beschlossene Sache. Silber und Bronze hat der Reckspezialist bei Olympia schon gewonnen. Doch statt dem fehlenden Gold mit aller Verbissenheit nachzustellen, würde er sich für den Anfang (oder das Ende) auch mit Schwarz-rot-gold begnügen. „Bei Olympia die Fahne tragen zu dürfen, wäre ein großartiger Karriereabschluss“, sagt er.

Der Mann mit der guten Laune. Turner Fabian Hambüchen im Bundesleistungszentrum in Kienbaum in der sogenannten "Schnitzelgrube", über der schwierige Übungen trainiert werden.
Der Mann mit der guten Laune. Turner Fabian Hambüchen im Bundesleistungszentrum in Kienbaum in der sogenannten "Schnitzelgrube", über der schwierige Übungen trainiert werden.

© dpa/Kappeler

ISABELL WERTH, DRESSURREITEN

Es ist fast unmöglich, sich Olympische Spiele vorzustellen ohne Isabell Werth. Seit 1992 in Barcelona war die Dressurreiterin fast immer am Start. Vier Mal hat sie bereits Gold mit der Mannschaft gewonnen, dazu ein Mal Gold und drei Mal Silber im Einzel. Nachdem sie 2012 in London wegen einer Verletzung ihres Pferdes nicht dabei sein konnte, hofft die 46-Jährige nun in Rio de Janeiro erneut auf Sieg. Ein Glücksbringer ist dabei vielleicht, dass ihre Stute Weihegold die erwünschte Medaillenfarbe bereits im Namen trägt. Isabell Werth, die sich in den vergangenen Jahren wiederholt gegen den Verdacht der unerlaubten Medikation verteidigen musste, gehört seit Jahren zu den konstanten Stärken der deutschen Reiter-Delegation. Wenn auch das Team um sie wechselte: Werth ritt. Sie wäre nach Fritz Thiedemann (1960), Hans Günther Winkler (1976), Reiner Klimke (1988) und Ludger Beerbaum (2004) die fünfte Reiterin, der die Ehre als Fahnenträgerin zuteil wird.

Nicht zum Lachen, zum Staunen. Dressurreiterin Isabell Werth war seit 1992 fast immer bei Olympia dabei.
Nicht zum Lachen, zum Staunen. Dressurreiterin Isabell Werth war seit 1992 fast immer bei Olympia dabei.

© dpa/Anspach

LENA SCHÖNEBORN, MODERNER FÜNFKAMPF

Noch kurz vor der Abreise in ihr letztes olympisches Trainingslager in die USA hatte Lena Schöneborn noch keinen Gedanken an das Thema verschwendet. „Aber warum eigentlich nicht?“, sagte die Moderne Fünfkämpferin auf die Frage nach ihren Chancen auf die Rolle als Fahnenträgerin. Die 30-Jährige tritt in Rio bei ihren dritten Olympischen Spielen an: 2008 in Peking gewann sie überraschend Gold, ihr 15. Platz in London 2012 war dann eine große Enttäuschung für die Sportlerin der Wasserfreunde Spandau 04. In Rio zählt Schöneborn wieder zu den Medaillenkandidatinnen. Der Moderne Fünfkampf ist zwar nicht allzu populär und für Nicht-Experten nur schwer zu durchdringen, dafür gehört die Sportart zu den olympischen Dauerbrennern. Baron Pierre de Coubertin, der Vater der Olympischen Spiele der Neuzeit, sah in den Fünfkämpfern sogar die „idealen Athleten“. Schöneborn verkörpert aber nicht nur, wie vom DOSB gewünscht, olympische Ideale. Die sechsmalige Weltmeisterin ist auch ein Musterbeispiel für eine mündige Athletin, die ihr Studium parallel zum Sport absolviert hat und mittlerweile in einer Marketingagentur arbeitet. Als Vorbild taugt die intelligente und eloquente Schöneborn also allemal.

Im Gefecht um die Fahne. Die Moderne Fünfkämpferin Lena Schöneborn.
Im Gefecht um die Fahne. Die Moderne Fünfkämpferin Lena Schöneborn.

© dpa/Pedersen

ANDREAS WOLFF, HANDBALL

Eigentlich soll so ein Fahnenträger ja ein freundliches Gesicht zeigen. Andreas Wolff aber sieht selbst dann gefährlich aus, wenn er lächelt. Der bärtige Hüne hütete so furchteinflößend das deutsche Handball-Tor, dass er im EM-Finale selbst die furchtlosen Spanier zum Weinen brachte. Die Bad Boys waren die unverhofften Stars des Winters, der populärste böse Junge wurde der grimmige Andreas Wolff.
Er war das grimmige Gesicht der „Bad Boys“ von Bundestrainer Dagur Sigurdsson, die im Januar sensationell Europameister wurden. Es sind Wolffs erste Spiele, olympische Verdienste kann er nicht vorweisen. Sein Einsatz an der Fahne wäre weniger Würdigung als Kampfansage. Er würde einerseits die Rückkehr der Handball-Männer optisch eindrucksvoll unterfüttern – 2012 hatten sie schließlich nur zugeschaut. Andererseits könnte sich der der Rest des Olympiateams hinter den bösen Jungs versammeln, um Mut für ähnlich große Taten zu sammeln. Denn wer fürchtet sich schon, wenn Andreas Wolff vorangeht?

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