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Auch das Team der Nachwuchsreporter versuchte sich beim Bogenschießen im Reha-Zentrum des Unfallkrankenhauses Berlin in Marzahn. Diesen Sport können Patienten wie Imer Kastratis zusätzlich zu ihrer Ergotherapie machen. Vielen hilft dies nach einem Arbeitsunfall trotz Behinderung in einen Beruf zurückzukehren.

© Thilo Rückeis

Nachwuchsreporter im Unfallkrankenhaus: Für jeden Patienten eine individuelle Therapie

Imer Kastratis sitzt seit einem Arbeitsunfall im Rollstuhl. Im Unfallkrankenhaus Berlin absoliviert er zusätzlich zur Ergotherapie Bogenschießunterricht und schwimmt.

Aufrichten, anziehen, lösen – der Pfeil schießt durch den Raum und trifft die gelbe Mitte der Zielscheibe. Imer Kastratis Gesichtszüge entspannen, er legt den Bogen ab und umfasst mit den Händen die Räder seines Rollstuhls. Zweimal die Woche kommt der Bogenschütze in den Keller des Unfallkrankenhauses Berlin (Ukb), um dort mit anderen Patienten seine Begeisterung für das Schießen zu teilen. Drei Zielscheiben stehen zur Auswahl, den Köcher klemmen die Schützen mit einem Karabiner an ihre Rollstühle. An den Wänden hängen Lichterketten, der Schein glänzt auf den eingerahmten Fotos von Frauen und Männern mit Bogen in der Hand.

Kastrati ist einer von mehr als 100.000 Patienten, die das Ukb jährlich behandelt. Anders als in regulären Krankenhäusern kümmern sich die Spezialisten hier hauptsächlich um Notfallpatienten. Jedes Gerät liegt an seinem Platz, zwei Helikopter stehen auf dem Dach bereit und können jederzeit abheben. Alles ist darauf ausgelegt, dass im Akutfall jede Sekunde zählt. „Wenn ein Siebenjähriger deine lebensrettende Hilfe braucht, kannst du nicht planlos umherlaufend nach deinen Instrumenten suchen“, sagt Angela Kijewski, Ukb-Pressesprecherin.

Doch die Arbeit der Ärzte endet nicht mit der Entlassung, sondern erst mit der Rückkehr des Patienten in seinen früheren Job. „Ein Computerspezialist, der seine Hand verlor, braucht mehr Betreuung als nur die medizinische Behandlung“, sagt Dr. Andreas Dietrich. Der Traumaexperte arbeitet am Unfallkrankenhaus als Chefarzt für Rehabilitation und sucht für jeden Patienten eine individuelle Therapie. Dietrichs Methode ermöglicht seinen Patienten, Situationen aus ihrem Arbeitsalltag nachzustellen, und langsam wieder Routine zu entwickeln. „Das bedeutet anfangs: Gewichte heben und sie kurze Strecken tragen. Das ist erst abstrakt, doch aus dem Gewicht wird ein Stein, daraus mehrere und irgendwann eine Mauer“, sagt Dietrich. Nach sehr schweren Verletzungen müssten Patienten manchmal jedoch eine andere Tätigkeit in Erwägung ziehen.

Er schießt – und trifft. Kastrati trägt eine schwarze Jogginghose und ein rotes T-Shirt. Er hat kräftige Arme und hält den Bogen fest in der Hand. Seit fünf Monaten schwimmt und schießt der 32-Jährige zusätzlich zur Ergotherapie. Kastrati stammt aus dem Kosovo und arbeitete in Deutschland als Bauarbeiter – bis vor einem halben Jahr während eines Gebäudeabrisses eine Beton-Decke auf ihn stürzte. Diagnose: Wirbelsäulenverletzung. Kastrati kann nicht laufen und nutzt einen Rollstuhl. Über die Zeit nach dem Unfall sagt er: „Erstmal war es sehr schwer. Doch ich bin froh, dass ich nicht gestorben bin. Und es geht mir besser als anderen Patienten hier.“ Er macht Fortschritte, kann sein rechtes Bein bewegen und mit den Zehenspitzen seines linken Fußes wackeln. Seine Frau besucht ihn jeden Tag – gemeinsam werden sie sich auf die Suche nach einer rollstuhlgerechten Wohnung machen müssen. Momentan wohnen sie in der dritten Etage eines Gebäudes ohne Fahrstuhl. Kastratis ist noch ratlos, wie seine berufliche Zukunft aussehen könnte. „Erst kümmere ich mich um meine Gesundheit“, sagt er. Sport spiele da eine wichtige Rolle. Kastrati greift zu Pfeil und Bogen und visiert die Scheibe an. Zack – getroffen.

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