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Dagur Sigurdsson blieb diesmal mit der deutschen Handball-Nationalmannschaft hinter den Erwartungen. Auf den Isländer wartet nun eine neue Aufgabe in Japan.

© dpa

Nach dem WM-Aus: Deutsche Handballer vor ungewisser Zukunft

Die Enttäuschung nach dem WM-Aus sitzt tief bei den deutschen Handballern. Zuallererst muss ein Nachfolger für Dagur Sigurdsson gefunden werden.

Uwe Gensheimer hatte den mit Abstand kürzesten Heimweg aller Beteiligten, aber das war natürlich ein schwacher Trost. Während seine Kollegen aus der Handball-Nationalmannschaft am frühen Montagmorgen, wenige Stunden nach dem sensationellen Aus im Achtelfinale der Weltmeisterschaft gegen Katar (20:21), individuell die Reise Richtung Deutschland antraten, blieb der Kapitän einsam in Paris zurück. Mit touristischen Motiven hatte das jedoch nichts zu tun, ebenso wenig mit den Folgeerscheinungen eines etwaigen Frustgelages, zu dem es angesichts des Erlebten allen Grund gegeben hätte. Gensheimer, neben Tobias Reichmann der einzige Auslandslegionär im Nationalteam, ist bekanntlich seit Sommer 2016 beim französischen Erstligisten Paris St. Germain beschäftigt. Was lag also näher, als direkt die eigenen vier Wände aufzusuchen?

Zahlreiche Fragezeichen dürften Gensheimer und seine Mitspieler mitgenommen haben, gewissermaßen im Handgepäck. Wie konnte es nur passieren, dass der Europameister in der bis dato wichtigsten Begegnung des Turniers seine schwächste Leistung zeigte, zumal im letzten Pflichtspiel des scheidenden Bundestrainers Dagur Sigurdsson? Was war nur schief gelaufen? Und ein bisschen grundsätzlicher mit Blick nach vorn gefragt: Was bedeutet das frühe Aus nun für die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB), die mit so hohen Erwartungen in die Weltmeisterschaft gegangen war? Besteht unter Umständen sogar die Gefahr, dass dieses hochveranlagte Team seinen Geist („Bad Boys“) verliert und auseinanderbricht? 

So glänzend wie die Perspektiven vor einem Jahr waren, nach dem EM-Finalsieg von Krakau, so ungewiss sind sie für den Moment. Das liegt in erster Linie daran, dass sich Sigurdsson in der Zwischenzeit entschieden hat, künftig lieber für den japanischen Handball-Verband arbeiten und dessen Team auf die Olympischen Spiele 2020 in Tokio vorbereiten zu wollen. Vor allem aber liegt es daran, dass die Nachfolge des Isländers noch nicht geregelt ist. Als Favorit gilt weiterhin Christian Prokop, der Trainer des Bundesligisten SC DHfK Leipzig. Aber auch Markus Baur, der Kapitän des Weltmeisterteams von 2007 und heutige Coach des TVB Stuttgart, ist offenbar noch in der Verlosung. Spätestens bis zu den nächsten Pflichtterminen, den beiden EM-Qualifikationsspielen gegen Slowenien im Mai, muss der Verband klare Verhältnisse schaffen.

Wer folgt auf Dagur Sigurdsson? Christian Prokop oder Markus Baur?

Wie die Entscheidung auch ausfallen mag: Der neue Bundestrainer wird intern einiges aufzuarbeiten haben. Nach der Niederlage gegen Katar trat nämlich ein Phänomen zu Tage, das in dieser Form bisher nicht zu vernehmen war im Nationalteam: Zwietracht. Torhüter Andreas Wolff zum Beispiel, am Sonntag einziger Deutscher in Normalform, schimpfte wenige Minuten nach der Schlusssirene: „Ich hatte das Gefühl, manche waren mit dem Gedanken bereits eine Runde weiter im Viertelfinale, vielleicht sogar im Halbfinale.“ Bundestrainer Sigurdsson bestätigte diesen Eindruck. „Es war natürlich im Kopf, dass wir zuletzt immer mindestens das Halbfinale erreicht haben, da muss man ehrlich sein“, sagte er. „Aber uns haben auch die handballerischen Lösungen gefehlt, es war nicht nur Kopfsache.“

„Die Erfahrung bei großen Turnieren zeigt, dass es immer ein schwaches Spiel gibt. Leider hatten wir das gegen Katar“, sagte Andreas Michelmann. „Jetzt ist genau das eingetreten, worauf wir immer hingewiesen haben“, ergänzte der DHB-Präsident, „diese junge Mannschaft kann auch mal  Rückschläge erleiden, daraus müssen wir lernen und die Konsequenzen ziehen.“ An der grundsätzlichen Ausrichtung im DHB und den perspektivisch formulierten Zielen - einer vorderen Platzierung bei der Weltmeisterschaft in Deutschland und Dänemark 2019 sowie der olympischen Goldmedaille 2020 in Tokio - werde sich aber nichts ändern, betonte Michelmann. „Wie ich die Mannschaft kennengelernt habe, wird sie aus diesem Spiel neue Motivation schöpfen, sobald die erste große und nachvollziehbare Enttäuschung überwunden ist.“ 

DHB-Vizepräsident Bob Hanning berichtete am Morgen nach dem Achtelfinale zur allgemeinen Überraschung, vergleichsweise gut geschlafen zu haben. „Ich bin gar nicht so unzufrieden, weil solche Erlebnisse Teil des Spiels sind und damit zu einer Entwicklung gehören“, sagte Hanning. „Wichtig ist, dass wir daraus lernen - sonst ist diese große Enttäuschung ohne Wert.“ 

Angesichts seiner großen Erfolge im Kalenderjahr 2016 darf sich zumindest Bundestrainer Dagur Sigurdsson sicher sein, bei seinem tatsächlich letzten Auftritt für den DHB am 3. Februar mit wohlwollendem Applaus empfangen zu werden. Dann findet das alljährliche All-Star-Spiel zwischen dem Nationalteam und einer internationalen Bundesliga-Auswahl statt. Aber daran werden die Spieler im Moment garantiert noch keinen Gedanken verschwenden. 

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