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Viel Platz um Thomas Tuchel.

© dpa

Nach dem Pokalsieg von Borussia Dortmund: Thomas Tuchel: Leer vor Glück

Trainer Thomas Tuchel hat mit dem BVB seinen ersten Titel mit den Profis gewonnen. Trotz des Pokalsiegs droht die Trennung von Borussia Dortmund.

Bestimmt ist es kein so schönes Gefühl, wenn man merkt, es ist bald vorbei. Oder es ahnt. Oder fühlt. Eine gute Stunde, nachdem Borussia Dortmunds Kapitän Marcel Schmelzer den Pokal von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in die Hände gedrückt bekommen und ihn dann an diesem lauwarmen Abend in den Berliner Nachthimmel gereckt hatte, faltete Thomas Tuchel seine Hände. Der 43 Jahre alte Trainer saß in der für die nächtliche Pokal-Pressekonferenz umfunktionierten Aufwärmhalle des Olympiastadions und hatte sichtlich Mühe, seine Gedanken zu sortieren und Gefühle zuzulassen. „Ich bin jetzt echt leer“, sagte der großgewachsene, hagere Mann im Trainingsanzug, „aber ich bin glücklich, tief glücklich.“

Wirklich? Zufrieden und erleichtert, das hätte es womöglich besser getroffen. Tuchel, dem es oft so schwer fällt, Emotionen zu zeigen, kramte nach Worten, als er gebeten wurde, seinen Gefühlszustand zu beschreiben. Da hatte der bayerische Schwabe nach der Meisterschaft 2009 mit der Mainzer A-Jugend gerade seinen ersten Titel als Männertrainer gewonnen, doch so recht mochte die Freunde darüber nicht in ihm aufsteigen. „Es fühlt sich gerade leicht an, aber es ist noch tief drinnen in mir“, sagte er.

Selbst in der Stunde des großen Triumphes werden die Gefühle des Trainers überlagert von den Schatten der Vergangenheit. Tuchel und seine Mannschaft haben die Saison erfolgreich zu Ende gebracht, aber es war eben eine ungewöhnliche, ja sonderbare Spielzeit, eine, die kein versöhnliches Ende zu finden scheint. Da sind die traumatischen Ereignisse des Attentats auf den Mannschaftsbus am 11. April im Vorfeld des Viertelfinals der Champions League gegen den AS Monaco und die folgenden Diskussionen um die Neuansetzung des Spiels am nächsten Tag. Borussia Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke sprach hinterher von einem Dissens zwischen Klubführung und Trainer. Es war der Beginn einer öffentlichen Entfremdung zwischen Watzke und Tuchel. Es folgten gegenseitige Schuldzuweisungen und anonyme Kritik aus der Mannschaft. Was in diesen Tagen an die Oberfläche gelangte, war zum Teil unappetitlich,

Und trotzdem haben es Mannschaft und Trainer geschafft, die Konzentration auf die ausstehenden und sportlich bedeutungsvollen Spiele hochzuhalten. Tuchels Team gewann ein am Ende hoch emotionales Pokal-Halbfinale gegen Bayern München und sicherte sich mit einem Sieg über Hoffenheim, den härtesten Rivalen um Platz drei in der Liga, noch die direkte Qualifikation zur Champions League. Mithin ist der Pokalsieg der erste Titel für den BVB seit fünf Jahren.

Auf dem Rasen des Olympiastadions, inmitten des güldenen Konfettiregens, kam es zu einer viel beachteten Umarmung zwischen Tuchel und Watzke. Man kann nicht sagen, dass die beiden sich förmlich in den Armen gelegen hätten. Man habe sich wenigstens Mühe gegeben, wie es Tuchel hinterher sagte.

Tuchel will am liebsten beim BVB bleiben

Auch danach bleiben die Zweifel, inwiefern eine am Ende doch recht erfolgreiche Spielzeit für die Borussia mit einem Titelgewinn obendrauf das Zerwürfnis zwischen den beiden Frontmännern wird kitten können. Es sei ein Gespräch vereinbart. Vielleicht werden es auch Gespräche, die „ergebnisoffen“ sind, wie Tuchel in einer vorwärtsverteidigenden Art in dieser Berliner Pokalnacht anmerkte. „Ich habe nicht so viele Erwartungen“, sagte er. Er würde ja gern bleiben und seinen Vertrag, der bis 2018 Gültigkeit hat, erfüllen. Er möchte aber „nicht naiv erscheinen“.

Thomas Tuchel hatte es als Nachfolger von Jürgen Klopp natürlich besonders schwer. Klopp hat einen angeschlagenen Verein reanimiert, er hat eine Mannschaft gebaut, ihr einen hingebungsvollen, ja verwegenen Spielstil vermittelt, er hat 2012 das Double aus Meisterschaft und Pokal gewonnen und das Champions-League-Finale 2013 erreicht. Vor allem aber hat Klopp den großen Traditionsverein aufgerichtet und mitreißend geführt. Jeder Trainer dieser Welt hätte es schwer gehabt, diese Lücke zu füllen. Auch Lucien Favre, der als Nachfolger Tuchels gehandelt wird.

Andererseits ist es natürlich auch für Watzke schwerer geworden, Tuchel vor die Tür zu setzen. Tuchels Bilanz kann sich sehen lassen. In seiner ersten Spielzeit wurde der BVB Vizemeister mit einer Punkteausbeute, die zu anderen Zeiten auch zum Titel gelangt hätte. Und nach einem Sommer mit vielen wie prominenten Abgängen und einem radikalen Umbruch hat er in der abgelaufenen Spielzeit die Ziele erreicht.

Am Ende kann Thomas Tuchel nicht aus seiner Haut. Vor 60.000 oder 70.000 Menschen könne er zwar eine Mannschaft an der Seitenlinie coachen, aber vor der Kurve der Fans komme er sich dann doch ziemlich komisch vor, sagte er. Die Kurve würde seinen Namen rufen, das wäre ihm unangenehm. Und so gab Tuchel zu vorgerückter Stunde kleine Einblicke in sein Seelenleben. An Weihnachten sei er der glücklichste Mensch, wenn er den anderen dabei zusähe, wie sie ihre Geschenke auspackten und glücklich wären, „ich bin da am schwersten zu beschenken, weil ich das Geschenk nicht gleich aufmachen kann“.

Tuchel sagt, er habe nie die Vertrauensfrage gestellt

Dennoch glaube er „ganz fest daran“, dass eine Mannschaft ihre Ziele nur dann erreichen könne, wenn der Trainer ihr vertraue und sie dem Trainer. Auch deswegen habe er sich nach dem für das Erreichen der Champions League so richtungsweisenden Sieg über Hoffenheim bei seiner Mannschaft entschuldigt. Dafür, dass anschließend in den Medien nicht ihre Leistung honoriert wurde, sondern es nur noch um den Zwist zwischen ihm und Watzke ging. Eine Vertrauensfrage, wie kolportiert, „habe ich nie gestellt“, sagte Tuchel. Die Spieler selbst hielten sich sich in der Pokalnacht mit Kommentaren weitgehend zurück.

Nein, sagte Tuchel noch, er könne schon aus sich rausgehen, wie etwa nach dem Halbfinalsieg über die Bayern, um mal ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit zu bringen. „Heute bin ich noch etwas in mir gefangen, es muss erst noch ankommen“, sagte Tuchel. Aber man müsse sich keine Sorgen machen. Er könne schon ganz gut feiern, sagte Tuchel, als er das Olympiastadion verließ. „Ein Gin Tonic wird mir dabei helfen.“

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