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Geste des Grauens. Unser Kolumnist will, dass der Videobeweis wieder verschwindet.

© dpa

Kolumne Steilpass: Weg mit dem Videobeweis!

Der Videobeweis in der Fußball-Bundesliga ist eine großartige Sache. Trotzdem findet unser Kolumnist, dass er wieder abgeschafft werden sollte.

Der Videobeweis ist wirklich großartig. Er hilft vor allem den Schiedsrichtern, die in der Öffentlichkeit häufig wie die letzten Deppen dastanden, weil sie als Einzige nicht gesehen haben, was selbst im Stadion alle anderen dank Smartphones längst wussten. Er beseitigt unerträgliche Ungerechtigkeiten, die von Nostalgikern gern als integraler Bestandteil der Fußballromantik verbrämt werden. Nein, es gibt kein romantisches Recht auf Ungerechtigkeit! Und es stimmt auch nicht, dass sich alles irgendwann ausgleicht. Bayern München wird für alle Zeiten DFB-Pokalsieger 2014 bleiben, obwohl die Dortmunder das Finale durch ein reguläres (aber nicht gegebenes) Tor von Mats Hummels mutmaßlich gewonnen hätten. Warum also soll der Fußball die Möglichkeiten der Technik nicht nutzen, während es Hockey, Tennis und andere Sportarten ganz selbstverständlich tun?

So habe ich über den Videobeweis gedacht – bis er zum ersten Mal in der Bundesliga zur Anwendung gekommen ist.

Schon jetzt, nach nur ein paar Wochen, sehne ich die Zeit zurück, in der es den Videobeweis in der Bundesliga noch nicht gegeben hat. Minimaler Eingriff, maximale Wirkung, so lautet die Maxime. Nach meinen bisherigen Erfahrungen ist der Eingriff maximal, selbst wenn die Entscheidung aus der dunklen Höhle in Köln nur ein paar Sekunden auf sich warten lässt.

Der Videobeweis greift in den Charakter des Spiels ein

Der Videobeweis greift massiv in den Charakter des Spiels ein. Er nimmt ihm etwas, was essenziell ist und den Fußball erst zum Massenphänomen gemacht hat: die Unmittelbarkeit, für den Besucher im Stadion noch viel mehr als für den Konsumenten vor dem Fernseher. Ein Tor – im Fußball das Höchste der Gefühle – ist seit der Einführung des Videobeweises eben kein Tor mehr, sondern nur noch ein Tor unter Vorbehalt. Jubeln, warten, zittern und, wenn’s gut läuft, noch mal jubeln – das heißt eben nicht, dass man sich doppelt freuen kann. Der zweite Jubel ist nur ein müder Abklatsch, das Surrogat echter Emotion.

Der Videobeweis hat viele Vorteile, es gibt viele rationale Gründe, die für ihn sprechen. Seine Ablehnung hingegen ist ausschließlich irrational begründbar. Aber für den, der den Fußball wirklich liebt, ist genau das der entscheidende Punkt. Echte Leidenschaft für diesen Sport ist schließlich immer schon vor allem eins gewesen: vollkommen irreal.

Die Kolumne Steilpass erscheint immer freitags auf der Seite "11Freunde freitags" im gedruckten Tagesspiegel.

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