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Wenn die Kräfte nachlassen, heißt es für Läufer: durchbeißen oder langsamer machen?

© Soeren Stache/dpa

Kolumne: So läuft es: Und plötzlich geht nichts mehr

Aufgeben oder Walken kam für unseren Kolumnisten beim Laufen nie in Frage. Bis ihn und einen guten Freund gleichzeitig die Kräfte verließen – und sich ein sehr intensives Gespräch entwickelte.

Es gibt wohl Momente im Leben eines Läufers, an denen kommt man nicht vorbei. Man hofft, dass es einem nie passiert. Und dann schlägt das Schicksal doch zu. Bisher war das Aufgeben für mich nie eine Option. „Wer Marathon läuft, der ist eben kein Walker. Es wird nicht stehen geblieben. Und schon gar nicht gegangen.“ Klare Jacke! Dachte ich immer. Beim Frankfurt-Marathon vor zwei Jahren stieß ich sehr an meine Grenzen. Ich war wenige Wochen zuvor einen Ultramarathon gelaufen und fest der Meinung, ich könne in Frankfurt Bestzeit laufen. Was schlicht dazu führte, dass ich ab Kilometer 22 genau zwei Optionen hatte: Aussteigen oder in Trainingsgeschwindigkeit ins Ziel robben. Ich entschied mich für die Trainingsgeschwindigkeit.

Mein Freund Frank* und ich pflegen ein Ritual. Wir beide haben mindestens einen 10-Stunden-Tag – oft auch an Wochenenden. Trotzdem laufen wir. Regelmäßig. Und weit. Wir treffen uns meist bei ihm und schauen uns auf der Karte eine Route aus. So laufen wir stets zwischen 18 und 30 Kilometer und finden endlich die Zeit, um lange Gespräche zu führen. Nah, vertraut, mit viel Spaß und viel Nachdenklichkeit. Geht es dem einen nicht wirklich gut, ist mitten auf der Strecke Zeit für eine lange Umarmung. Es ist eine besondere Form von Liebe, wenn man so will. Und nein, wir sind nicht zusammen. Ich habe durch das Laufen eine freundschaftliche Form von Liebe gelernt. Und die gibt es auch unter Männern.

Den Moment der Schwäche zulassen

Auch am vergangenen Samstag schlugen wir uns in den Wald. Es war der erste lange Lauf für mich nach genau der Magen-Darm Erkrankung, die tausende Läufer zur Zeit aus den Schuhen haut. Dazu sind meine Gedanken gerade stets bei meiner Großmutter, um die es nicht gut steht. Frank durchlebt die wohl entscheidende Phase seiner Karriere. Und er hatte eine der härtesten Wochen seit langem. Es lief gut, es lief schnell und es lief steil bergauf. Und da war dieser Moment. Pünktlich bei Kilometer zwölf. Unabhängig voneinander verließ uns die Kraft. Zeitgleich. Der Kreislauf stürzte ab, es war genau der Moment, den ich nie wollte. Den wir beide nicht kannten. Mitten im Wald. Wir walkten. Und selbst das fiel schwer. Wir hatten noch sechs langsame Kilometer vor uns. Jeder Versuch, wieder zu laufen, scheiterte.

Weil Frank an meiner Seite war, den dasselbe Schicksal ereilte, konnte ich diesen Moment zulassen. Alleine wäre mir das kaum gelungen. Unter Freunden macht man sich nichts vor. „Was war nur los mit uns?“, fragte Frank später. „Wir haben selten so intensiv miteinander gesprochen, soviel steht fest. Vielleicht haben wir diese Intensität beide heute gebraucht. Im Laufen hätten wir so nicht reden können“, erwiderte ich. Frank nickte. Eingestehen, auf den Körper hören, die Seele ernst nehmen. Und einen Freund an der Seite haben. So läuft es.

* Der Name wurde geändert

Mike Kleiß leitet eine Kommunikations- und Markenagentur in Köln und schreibt hier an jedem Donnerstag übers Laufen.

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