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Deutsche Fans in Prag. Nicht nur für Joachim Löw "oberpeinlich".

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Update

Joachim Löw über Eklat in Prag: "Diese Chaoten wollen wir nicht"

Der Bundestrainer will nach den Nazi-Parolen und Pöbeleien von deutschen Fans nicht zur Tagesordnung übergehen. Die Krawallmacher beschädigten das Bild von Deutschland.

Joachim Löw hatte sich so gut vorbereitet, dass er aus dem Kopf die Leistungsdaten seines Spielers Timo Werner referieren konnte: drei Jahre Bundesliga für den VfB Stuttgart, fast hundert Spiele. Fehlte nur noch, dass der Bundestrainer der Fußball-Nationalmannschaft mit den Zahlen aufgewartet hätte, wie oft Werner in seiner Zeit beim VfB Stuttgart aus- und eingewechselt worden war.

Aber um die Zahlen ging es im Grunde gar nicht. Es ging darum, eine bestimmte Botschaft zu transportieren: die Botschaft, dass Timo Werner für den VfB Stuttgart schon in jungen Jahren einiges geleistet hat und dass er folglich an diesem Montag, beim WM-Qualifikationsspiel gegen Norwegen in seiner alten Heimat (20.45 Uhr, live bei RTL), einen mindestens neutralen Empfang verdient hat – und nicht, wie es sich inzwischen in allen deutschen Stadien jenseits von Leipzig eingebürgert hat, offenen Hass.

Den hat der 21-Jährige vom ersten Moment an auch bei seinen Einsätzen in der Nationalmannschaft zu spüren bekommen, obwohl er mit vier Toren in gerade mal sieben Länderspielen und seinem Beitrag zum Gewinn des Confed-Cups eigentlich das Zeug zum Held der Kurven hat. Mit großer Freude und großer Leidenschaft spiele Werner für sein Land, hat Bundestrainer Löw am Sonntag gesagt. Die anhaltenden Anfeindungen gegen ihn seien daher oberpeinlich „und schon gar nicht mehr lustig“.

Werner ist auch am Freitagabend in Prag übelst beleidigt worden. Unter anderem. Und gerade das macht die Angelegenheit ein bisschen komplizierter, als sie auf den ersten Blick erscheinen mag.

Die sportliche Führung der Nationalmannschaft war schon unmittelbar nach dem Spiel mit der Situation überfordert. Es hatte eben nicht nur Beschimpfungen gegen Werner und den Deutschen Fußball-Bund gegeben, sondern auch Sieg- Heil-Rufe. DFB-Präsident Reinhard Grindel verurteilte die Nazi-Parolen noch im Stadion. Joachim Löw aber kam zur Pressekonferenz – und wusste von nichts. Oliver Bierhoff, der Manager, schaffte es nicht, sich deutlich an die Seite der Mannschaft zu stellen, die den Platz ohne Gruß in die Kurve verlassen hatte. Vielleicht hatte sich Bierhoff bewusst dafür entschieden, zu den Scheiß-DFB-Rufen zu schweigen, um das Thema nicht weiter zu befeuern. Doch er schwieg eben auch zu den Heil- Rufen. Es war ein PR-Desaster. Aber auch nicht mehr als das. Weder Löw noch Bierhoff kann man ernsthaft einen Funken Sympathie für nationalistisches oder rassistisches Gedankengut unterstellen.

Löw hat am Sonntag das nachgeholt, was schon am Freitag angebracht gewesen wäre

Der Bundestrainer hat am Sonntag das nachgeholt, was schon am Freitag angebracht gewesen wäre. „Ich glaube, dass wir nicht so einfach zur Tagesordnung übergehen sollten“, sagte er zu Beginn der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Norwegen. Deshalb wolle er die Geschehnisse nicht unkommentiert lassen. Dass sich seine Mannschaft womöglich schon an diesem Montag mit einem Sieg für die die WM in Russland qualifiziert, spielte in der Folge kaum noch eine Rolle.

Löw fand klare Worte. Er sei weder bestürzt noch traurig, „ich bin voller Wut und wirklich sehr, sehr angefressen über das, was passiert ist“. Die Naziparolen seien „unterste Schublade“ und „zutiefst verachtenswert“ gewesen, sagte der Bundestrainer. „Diese Chaoten wollen wir nicht. Wir sind auch nicht deren Nationalmannschaft. Das sind nicht unsere Fans.“

Löw sprach sich daher für harte Sanktionen aus: „Jeder von denen, der nicht mehr ins Stadion darf, ist ein Gewinn.“ In der Diktion des DFB handelt es sich bei den Krakeelern um Chaoten und Krawallmacher – und definitiv nicht um Fans. Die Geschehnisse in Prag machten diese Unterscheidung leicht möglich. Die Heil-Rufe kamen nicht aus der offiziellen deutschen Kurve, für die nur Mitglieder des „Fan Clubs Nationalmannschaft powered by Coca-Cola“ Karten hatten erwerben können; sie kamen aus dem benachbarten Block, für den die Karten in den freien Verkauf gelangt waren.

Doch diese Abgrenzung ist nicht immer so einfach. Timo Werner ist auch bei den Länderspielen in Dortmund und Nürnberg beschimpft worden – und mutmaßlich nicht nur von Nazis. „Scheiß DFB!“ wird seit Saisonbeginn in jedem Spiel von Ultras aller Klubs gerufen. Am Freitagabend in Prag vermischte sich alles zu einem schwer erträglichen Gebräu, das vor allem eins zeigte: Es brodelt in den Kurven. Timo Werner wird weniger für seine plumpe Schwalbe vor neun Monaten abgestraft als dafür, dass er für Rasenballsport Leipzig spielt. Und der DFB steht – ungeachtet seiner tatsächlichen Kompetenzen – vielen aktiven Fans stellvertretend für all die Fehlentwicklungen im kommerzialisierten Fußball. Man könnte über all das eine offene Diskussion führen. Die Nazis in Prag haben es am Freitag geschafft, dass diese Diskussion jetzt noch ein bisschen unwahrscheinlicher geworden ist.

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