zum Hauptinhalt
Stürmer mit Perspektive. Maximilian Philipp ist am Freitag erstmals in die U-21-Nationalelf berufen worden. Am Sonntag spielt er mit Freiburg in seiner Heimat Berlin.

© picture alliance / dpa

Hertha BSC gegen SC Freiburg: Maximilian Philipp: Der verstoßene Sohn

Der Berliner Maximilian Philipp musste Hertha BSC mit 14 verlassen, mit Aufsteiger SC Freiburg kehrt er am Sonntag ins Olympiastadion zurück, wo er früher Balljunge war.

Die Freiburger Ersatzspieler haben auf dem Rasen bereits ihr Fitnessprogramm begonnen, die Stammspieler ihre Interviews längst erledigt – da steht Maximilian Philipp in der Fankurve immer noch am Zaun, ins Gespräch vertieft. Auf dem Weg zur Kabine wird er noch einmal an der Haupttribüne gestoppt. Abklatschen, ein kurzer Plausch, dann verschwindet auch der Freiburger Angreifer nach dem Pokalspiel beim Regionalligisten SV Babelsberg im Kabinentrakt.

Der SC Freiburg hat zu Beginn der neuen Saison ein strammes Reiseprogramm zu bewältigen. Vorige Woche 790 Kilometer nach Potsdam, jetzt 805 nach Berlin, zum Ligaauftakt am Sonntag bei Hertha BSC. Doch für Maximilian Philipp sind das keine Strapazen, im Gegenteil. Er erlebt gerade seine persönlichen Heimspielwochen. „Das ist echt ein Zufall“, sagt er. „Aber für mich ist das super.“ Philipp ist vor 22 Jahren in Berlin geboren worden, in Lankwitz aufgewachsen, er hat bei Stern Marienfelde, Hertha BSC und Tennis Borussia in der Jugend gespielt und später bei Energie Cottbus. Für das Spiel bei Hertha hat er bis jetzt 30 Karten gekauft, „aber kann sein, dass ich noch mehr brauche“.

Philipp trifft in diesen Tagen viele Bekannte von früher, auch auf dem Fußballplatz. Kevin Otremba gehört dazu, mit dem er in Herthas U 13 gespielt hat. Im Nachhinein hätte der Torhüter des SV Babelsberg wahrscheinlich gern auf das Wiedersehen verzichtet. Otremba verschuldet gegen die Freiburger den Elfmeter zum 0:1 – nachdem Philipp ihn mit einem Sprint unter Druck gesetzt hat. Für Babelsbergs Torhüter geht das alles so schnell, dass er nicht mal registriert, wer ihn da überhaupt in die Bredouille bringt. Am Ende gewinnt der Bundesligist 4:0, und an drei der vier Treffer ist Maximilian Philipp zumindest mittelbar beteiligt. Vor dem Freistoß zum 3:0 wird er am Strafraum gefoult, das 4:0 fällt, nachdem Otremba einen strammen Fernschuss Philipps gerade noch hat parieren können.

„Wenn man damals über die Talente in Berlin gesprochen hat, war sein Name nicht dabei“, sagt Otremba über die Zeit mit Maximilian Philipp bei Hertha, „aber von den Anlagen her war er immer überragend.“ Der 94er-Jahrgang stand bei Hertha nicht im Ruf, ein überragender zu sein. Ein paar Spieler sind trotzdem Profi geworden: Robert Andrich spielt für Wehen Wiesbaden in der Dritten Liga, Christopher Lenz ist im Sommer zum Zweitligisten 1. FC Union gewechselt – und Philipp mit Freiburg in die Bundesliga aufgestiegen. „Er ist derjenige, der es echt am weitesten gebracht hat“, sagt Kevin Otremba.

Zumal die Bundesliga nicht das Ende sein muss. Am Freitag wurde Philipp zum ersten Mal für die deutsche U-21-Nationalmannschaft berufen. „Das kann noch richtig interessant werden“, sagt Freiburgs Sportvorstand Jochen Saier. Philipp habe sehr gute Anlagen, sei ehrgeizig und fokussiert. „Bei ihm brennen immer die Lampen.“

Das könnte auch mit Philipps Geschichte zusammenhängen, die an Marco Reus erinnert. Reus wurde bei Borussia Dortmund in der B-Jugend aussortiert, weil er für zu klein befunden wurde. Auch Philipp musste „seinen“ Klub verlassen. 14 war er da, ein bisschen schwach auf der Brust, klein und nicht allzu schnell. Es gab damals Spieler in seinem Jahrgang, die schon 1,80 Meter groß waren, er selbst kam auf 1,55 Meter. Trotzdem: Die Trainer, die zuvor mit Philipp bei Hertha gearbeitet hatten, haben nur den Kopf geschüttelt. Gerade weil er klein war, hatte er auf dem Platz immer versucht, sich bemerkbar zu machen. „Der Junge kann kicken“, sagt Freiburgs Trainer Christian Streich. Philipp ist in der Offensive auf allen Positionen einsetzbar, weil er im Grunde beidfüßig ist. Er hat einen guten ersten Kontakt und besitzt ein Radarsystem für das, was auf dem Feld passiert.

„Wenn einem nicht alles zufliegt, ist das nicht unbedingt der schlechteste Weg“, sagt Freiburgs Sportvorstand Saier. Auch Philipp selbst findet heute, dass ihm die Erfahrung im Endeffekt geholfen habe – so traumatisch sie für ihn mit 14 gewesen sein mag. „Ich wusste damals gar nicht, wie mir geschieht. Da ist eine Welt zusammengebrochen“, erzählt er. „Aber mit der Zeit habe ich gemerkt, dass ich mithalten kann, und gesehen, dass es auch in der Bundesliga schmächtige Spieler gibt. Warum sollte ich das nicht schaffen?“

Bei Hertha war er früher Balljunge

Das Jahr in der Zweiten Liga hat ihn noch mal vorangebracht: „Es hat mich ein bisschen abgehärtet.“ Acht Tore und elf Vorlagen hat Philipp zum Aufstieg beigesteuert. Sein erstes und bis heute einziges Bundesligator hat er vor anderthalb Jahren erzielt. Es war ein außergewöhnlicher Treffer. Nach einer Ecke wuchtete er den Ball per Kopf ins Netz, „mit abartiger Überzeugung“, wie sich Saier erinnert. Der kleine Maximilian Philipp, der mit 1,83 Metern gar nicht mehr klein ist, erzielt ein Kopfballtor. „Das war einfach purer Wille“, sagt er. Zu dieser Zeit reichte seine Luft oft nur für eine Stunde. Aber das Tor habe ihm enorm viel Schub gegeben. „Ich hatte noch mehr Energie, bin immer weiter gelaufen, wollte gar nicht mehr aufhören. Das war Wahnsinn.“

Mit seinem Tor zum 2:0-Endstand hat Philipp damals ein wichtiges Spiel im Abstiegskampf für Freiburg entschieden. Im Berliner Olympiastadion, wo er früher Balljunge war. Gegen Hertha, den Verein, der ihn irgendwann nicht mehr wollte.

„Es ist schon so, dass Hertha nicht mehr unbedingt sein Lieblingsverein ist“, sagt Christopher Lenz. Unions Linksverteidiger kennt Philipp aus dem Sandkasten. Sie haben in derselben Straße gewohnt, waren zusammen im Kindergarten, in der Grundschule, später auf der Poelchau- Oberschule. „Ich bezeichne ihn als meinen Bruder“, sagt Philipp. Als er bei Hertha weggeschickt wurde, war Lenz so entsetzt, dass er freiwillig mit zu Tennis Borussia gewechselt ist. „Das war für mich eine Riesenerleichterung“, erzählt Philipp. „Ich war immer dieser schüchterne Junge, der wenig sagt. Ich hatte Angst, in ein neues Team zu kommen, weil ich da keinen kenne. Und weil ich wusste, dass ich auch niemanden ansprechen werde.“ Als Lenz ein Jahr später von Hertha gefragt wurde, ob er nicht zurückkommen wolle, hat er erst zugesagt, nachdem ihm Philipp sein Okay gegeben hatte.

Hertha hat später versucht, auch Maximilian Philipp zurückzuholen. Zwei Mal haben sie ihn gefragt, einmal nach der U 17, einmal nach der U 19. Aber er hatte nicht vergessen, wie er damals in der Trainerkabine saß und ihm eröffnet wurde, dass es für ihn nicht weitergehe. Er hat „versucht, die Erinnerung zu löschen“, es ist ihm nicht gelungen. Der Trainer arbeitet längst nicht mehr für Hertha. Maximilian Philipp hat mal gehört, dass der Mann, der ihn damals für zu klein und zu schmächtig befunden hat, ursprünglich gar nicht aus dem Fußball gekommen sei. Er soll Ruderer gewesen sein.

Zur Startseite