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Team mit gutem Geist.

© dpa

Fußball-Nationalmannschaft: Volle Konzentration auf die WM

Was in der Qualifikation war, zählt nicht mehr. Bundestrainer Joachim Löw erwartet von seinen Spielern ab sofort volle Hingabe für die Weltmeisterschaft 2018.

Andris Treimanis, der Schiedsrichter des WM-Qualifikationsspiels zwischen Deutschland und Aserbaidschan, sah sich einer massiven feindlichen Übermacht ausgesetzt. Gleich drei Spieler des Weltmeisters redeten auf den Letten ein. Sie wollten einen Freistoß für sich, nicht gegen sich, nachdem ihr Kollege Leroy Sané kurz vor dem aserbaidschanischen Strafraum zu Fall gekommen war. Doch Herr Treimanis ließ sich nicht beirren, natürlich blieb er bei seiner Entscheidung – was für die Deutschen letztlich auch zu verkraften war. Die reguläre Spielzeit war gerade abgelaufen, die Nationalmannschaft führte 5:1.

Es war das Ende eines Abends, der für Bundestrainer Joachim Löw nach einer harzigen ersten Hälfte noch einige erfreuliche Begebenheiten bereitgehalten hatte. Dass seiner Mannschaft mit dem 5:1-Erfolg im zehnten Spiel der WM-Qualifikation der zehnte Sieg gelungen war und sie damit einen historischen Rekord aufgestellt hatte zum Beispiel. Oder dass Leon Goretzka gleich in der Anfangsphase per Hackentrick das 1:0 erzielt hatte, ein Tor, das Löw „technisch schon sehr anspruchsvoll“ fand. Und dass der fünfte und letzte Treffer der Fußball-Nationalmannschaft, ein wuchtiger Weitschuss von Emre Can, kaum weniger spektakulär daher kam. Mindestens genauso aber muss es den Bundestrainer erfreut haben, dass seine Spieler auch in der Nachspielzeit noch verbissen um jeden Freistoß kämpften.

5:1 oder 6:1, das Ergebnis war letztlich egal. Entscheidend war die Haltung der Mannschaft, die in dieser Szene zum Ausdruck kam – und die dürfte Joachim Löw gefallen haben.

Löw lobt die Konzentration seines Teams

„Man macht natürlich einen Fehler, wenn man diese Qualifikation als Maßstab nimmt“, sagte Löw. Aber dass seine Mannschaft alle zehn Spiele gewonnen und dabei 43 Tore erzielt hatte, „das zeigt, dass die Spieler die Konzentration auch gegen kleine Gegner hoch gehalten haben und die Spannung immer zu hundert Prozent in Ordnung war. Das ist nicht immer selbstverständlich.“

Man muss sich ja nur ein bisschen umschauen in der Welt: Argentinien, der Vizeweltmeister, hat in Südamerika arge Probleme mit der Qualifikation, Europameister Portugal muss höchstwahrscheinlich in die Play-offs, und Holland, vor vier Jahren in Brasilien noch WM-Dritter, verpasst mit ziemlicher Sicherheit das zweite große Turnier hintereinander.

Das ist der Bezugsrahmen für die Leistung der Nationalmannschaft. Dass sie nun fast automatisch als Favorit auf den WM-Titel gilt, ist logisch. Aber für Löw gibt es diesen Automatismus nicht. Nach der geschafften Qualifikation „fängt die richtige Arbeit erst an“, sagte er. Nichts kommt von alleine. „Diese Quali hat uns Selbstvertrauen gegeben“, sagte Thomas Müller, „aber sie bringt uns keinen einzigen Punkt in Russland.“ Löws großes Ziel ist es, in Russland als erste Mannschaft seit Brasilien 1962 den Titel erfolgreich zu verteidigen. Dafür aber müsse das Team „was Außergewöhnliches leisten“.

Der Bundestrainer hat in den vergangenen Tagen eine PR-Kampagne gegen überzogene Erwartungen gestartet. Erst hat er die Selbstgefälligkeit des deutschen Fußballs gegeißelt („Glaubt doch nicht, dass nur wir klasse Spieler haben!“) und dessen internationale Wettbewerbsfähigkeit kritisch hinterfragt. Dann hat er – sowohl vor als auch nach dem Spiel gegen Aserbaidschan – die Verantwortung seiner Spieler für die Erfüllung des großen Traums hervorgehoben. Um erneut Weltmeister zu werden, müssten sie sich ab sofort die Frage stellen: „Wie bringe ich mich in die bestmögliche Verfassung? Und das jeden Tag.“ Löw hat das in der vergangenen Woche auch vor der Mannschaft angesprochen, und offenbar hat die Botschaft bei den Adressaten schon verfangen. „Wenn du zwei Wochen vor der WM damit anfangen willst, wird das nicht gelingen“, sagte Leon Goretzka, der gegen Aserbaidschan zwei Tore erzielt hatte. Man müsse sein ganzes Leben auf die WM ausrichten.

Dass die Mannschaft 2014 in Rio triumphiert hat, lag für Löw nicht an den überragenden Einzelspielern oder einem alle überstrahlenden Superstar. Weltmeister sind die Deutschen geworden, „weil wir eine Mannschaft hatten, wo jeder für den anderen alles getan hat“. Diese Einstellung – „dass wir diesen immensen Hunger wieder haben, das Turnier zu gewinnen“ – erwartet der Bundestrainer von seinen Spielern auch jetzt wieder.

Der Konkurrenzkampf ist so groß wie nie zuvor

Die Umstände könnten ungünstiger sein. Der Charakter des Teams scheint intakt. „Grundsätzlich haben wir einen guten Geist“, sagt Lars Stindl, der sich beim Confed-Cup in den Kreis der WM-Kandidaten gespielt hat. „Jeder versucht sich einzubringen, damit wir als Gruppe erfolgreich sind.“ Zudem darf Löw einen Konkurrenzkampf moderieren, den es in der Geschichte des deutschen Fußballs vermutlich noch nie gegeben hat. Der Bundestrainer hat in den zehn Qualifikationsspielen 37 verschiedene Spieler eingesetzt – so viele wie nie zuvor. Nur knapp jeder zweite der potenziellen Kandidaten aber wird im kommenden Frühjahr einen Platz im WM-Kader erhalten. Kaum jemand kann sich seiner Sache sicher sein – das garantiert, dass die Sinne auch in den nächsten Monaten geschärft bleiben.

Wer heute als Außenseiter gilt, kann sich morgen schon unentbehrlich gemacht haben. Und umgekehrt. Die Vorstellung, dass Sandro Wagner auf eine WM-Teilnahme – im Fußball wohlgemerkt – hoffen darf, hätte man vor einem Jahr noch für einen blöden Scherz gehalten. Inzwischen ist der Hoffenheimer ein seriöser Anwärter auf einen Platz in Löws Aufgebot. Fünf Tore steuerte er zur Qualifikation bei; kein Deutscher schoss mehr. Aber was heißt das schon? Vielleicht fährt am Ende doch Mario Gomez mit nach Russland.

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