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Schweinsteiger in Aktion. Mit dem Bayern spielt Chicago besser als ohne ihn - welch eine Überraschung.

© dpa

Fußball in Nordamerika: Kick it like Schweini

Vor 23 Jahren war die WM in den USA. Die Major League Soccer ist seitdem nicht zu einer ernst zu nehmenden Größe gereift. Das ist gut für das Gleichgewicht in der großen Fußballwelt. Eine Analyse.

Wer zum Rekordmeister geht, der sollte den Picknickkorb nicht vergessen. Barbecue auf dem schmucklosen Parkplatz vor dem Stadion von Carson im Los Angeles County ist obligatorisch. Da geht es ausgelassen zu, hier und da rauchen sogar Menschen ganz offen eine Zigarette zum Dosenbier in der anderen Hand. Und das im strengen Kalifornien. Wer will, der kann seinen Rausch später beim Spiel auf der großen Rasenfläche oberhalb der Stadiontribüne mit den wenigen stehenden Fans ausschlafen oder auf der mitgebrachten Decke liegend den Kick auf dem Rasen verfolgen. So gemütlich ist das Fan-Leben in der Major League Soccer (MLS) als Anhänger der Los Angeles Galaxy.

Das mit der eigenwilligen Interpretation des Fußballs ist für viele europäische Fußballfans ein Rätsel, ja gar ein Defekt: Warum lieben sie das große Gesellschaftsthema Fußball in den USA und Kanada nicht so innig wie wir, wann endlich wird Fußball dort zum Tagesgespräch?

Wahrscheinlich nie. Und das ist gut so für den Rest der Fußballwelt, denn würden die Nordamerikaner den Fußball für sich entdecken, dann hätte der Rest der großen Fußballwelt nichts zu lachen.

Die Los Angeles Galaxy sind einer der Topklubs in der MLS, dem Erbe der Fußballweltmeisterschaft von 1994 in den USA. Damals, als Funktionäre auch aus Europa meinten, den Fußballmarkt in der Fußballdiaspora groß machen zu müssen. In Los Angeles wurde vor 23 Jahren auch WM gespielt, im Rose Bowl Stadion in Pasadena. Damals passten 91 000 Zuschauer hinein. Wer 2017 zu einem Spiel ins zusammengeschustert wirkende Stadion der Galaxy in Carson geht, macht das maximal mit 27.000 anderen Fußballfans, die vorrangig Spanisch sprechen und dem Sport oft vor allem aus Verbundenheit mit der Heimat ihrer Vorfahren verbunden sind.

Das Spiel in der MLS ist langsam, oft taktisch unausgegoren und viel zu häufig vom Zufall abhängig

Das Beispiel Galaxy zeigt, wie klein die Fortschritte in der MLS in der öffentlichen Wahrnehmung sind. Der Zuschauerschnitt stieg in den jüngsten 20 MLS-Jahren von knapp 18 000 auf 22 000 pro Spiel. Die nordamerikanische Liga wird ihren Ruf nicht los, ein Mekka für gealterte Weltklassefußballer zu sein, die vor dem Ruhestand abkassieren wollen. Und die MLS arbeitet selbst kräftig an diesem Image. Bastian Schweinsteiger ist in dieser Saison einer ihrer größten Stars. In den europäischen Topligen würde es für einen Schweinsteiger bei den starken Klubs nicht mal mehr für einen Platz auf der Reservebank langen.

Trotz oder wegen der gereiften Weltstars: das Spiel in der MLS ist langsam, oft taktisch unausgegoren und viel zu häufig vom Zufall abhängig. „Soccer“ ist in Nordamerika immer noch eine bessere Karnevalssportveranstaltung. Auch wenn das Nationalteam der USA 2017 stärker ist als 1994: Wer als Sportler in Nordamerika etwas werden will, spielt nicht Soccer. Wer als nordamerikanischer Fußballer etwas werden will, der geht nach Europa. Jüngstes Beispiel ist der Sohn von Jürgen Klinsmann, Jonathan, der als U-20-Nationaltorhüter der USA derzeit versucht, einen Vertrag als dritter Torhüter bei Bundesligist Hertha BSC zu ergattern.

Nordamerika dominiert, diktiert – wenn sie dort einen Sport wirklich ernst nehmen: Das verhält sich mit den vier Mannschaftssportarten so, die den nordamerikanischen Sportraum seit Jahrzehnten besetzen: American Football, Baseball, Basketball und Eishockey – es gibt im Rest der Welt kein Gegengewicht zu den vier nordamerikanischen Profiligen dieser Sportarten.

Das Stadion mit Ruhefläche. Der Rasen im StubHub-Center von Carson lädt zum Lümmeln ein.
Das Stadion mit Ruhefläche. Der Rasen im StubHub-Center von Carson lädt zum Lümmeln ein.

© Claus Vetter

Das mag in den urtypischen US-Sportarten Football und Baseball nicht erstaunen, denn der Rest der Welt mag diese Spiele nicht wirklich. Mit Basketball und Eishockey verhält es sich anders, das wird auch außerhalb des nordamerikanischen Kontinents gut und viel gespielt. Aber im Basketball gibt es in Europa nichts, was nur entfernt an die Qualität der nordamerikanischen Profiliga NBA heranreicht. Im Eishockey schaffen es auch die Russen mit ihrer inzwischen bis nach China expandierenden Kontinental Hockey-League (KHL) nicht, der National-Hockey-League (NHL) die besten Spieler abzuwerben. Dort spielen fast alle Weltklassespieler. Wenn also die MLS die beste Fußballliga der Welt werden wollte und alle aktuell 22 Klubs (19 aus den USA, drei aus Kanada) sich mit den weltbesten Spielern verstärken würden, dann bliebe für den Rest der Welt, von der spanischen Primera Division bis zur Premier League oder Bundesliga nur noch wenig übrig. Wenn der Riesenmarkt der Liga mit dem Einzugsgebiet von 357 Millionen Einwohnern (USA und Kanada) seine Wirtschaftskraft in den Soccer ballern würde, dann würde das ein Erdrutsch für die Fußballszene der Welt, inklusive China.

Aber das wird nicht passieren, den Schluss lassen alle leichten medialen Fortschritte (zum Beispiel Übertragungen der MLS in europäischen Rand-Fernsehsendern als Livestream) nicht zu. Das nordamerikanische Sportsystem hat mit dem europäischen Fußballsystem nichts zu tun. In Europa gelten Parameter wie Klubtradition, gibt es gewachsene Vereine, die selbst, wenn sie mit ihren Wurzeln nichts mehr zu tun haben, mit Strukturen wie einem eigenen Nachwuchs leben. In Nordamerika spielt das keine Rolle, kein Anhänger einer Sportart würde sich da über einen Fall wie RB Leipzig aufregen, einen Retortenklub, der sich dank eines Sponsors nach oben kauft. In die MLS kaufen sich alle ein, es gibt das Konstrukt New York Red Bulls und im kommenden Jahr wird es in Los Angeles sogar ein Derby geben. Dann kommt Los Angeles FC in die Liga mit der Lizenz des 2014 aufgelösten MLS-Klubs CD Chivas.

Unentschieden sind etwas für Weicheier, da hat es der Fußball in Nordamerika schwer

Struktur ist das eine, das Spielsystem das andere. Amerikaner lieben K.-o.-Spiele. „Do or die“, heißt es. Unentschieden sind etwas für Weicheier, da hat es der Fußball schwer. Die MLS ist eine geschlossene Klasse ohne Auf- und Abstieg, da steht der Meister nicht nach einer normalen Hin- und Rückrunde fest, da gibt es Play-offs. Und Nordamerika-typisch ist der Strom der jungen Spieler in die Liga reguliert, es gibt einen Draft, in dem sich Teams die Rechte an den Nachwuchsspielern sichern.

Aber die Jugend an die Liga heranzuführen, das ist nicht Hauptanliegen der MLS, sie lebt mehr von europäischen Spielern, die in ihrer Heimat oft keine große Rolle spielten. Und seit Jahrzehnten von alternden Weltstars, die oft im wesentlichen ihren Namen spazieren tragen. Bis vor wenigen Jahren gingen die Rekorde der Liga nur auf das Konto von nordamerikanischen Profis. Es hat sich ein wenig geändert, zuletzt wurden ausländische Stars wie der Ire Robbie Keane (Galaxy), der Italiener Sebastian Giovinco (Toronto) oder der spanische Weltmeister David Villa (New York City FC) zu den wertvollsten Spielern der Liga gewählt. Auch Schweinsteiger passt da rein, mit den Chicago Fire.

Das tut weh. Andrea Pirlo (re.) quält sich in der MLS.
Das tut weh. Andrea Pirlo (re.) quält sich in der MLS.

© USA Today Sports

20.000 Plätze hat das Stadion der Fire, 2000 weniger als das der Chicago Red Stars der National Women’s Soccer League, der bereits dritten Frauenfußball-Profiliga seit 2001. Die beiden Vorgänger gingen ein. Dabei sind die Frauen aus den USA Weltmeister und ist Fußball im Land eine beliebte Sportart bei der weiblichen Jugend. Aber eben kaum mehr. Die Frauen-Basketballliga WNBA kommt beim Publikum besser an.

Die MLS ist vor gut einem Jahrzehnt zu einer lukrativen Liga für die Feierabendkarriere geworden. Gehälter für den Italiener Andrea Pirlo oder eben Schweinsteiger sind bei den knappen Gehaltsbudgets der Teams, durch die Obergrenze „Salary Cap“ geregelt, eigentlich nicht zu finanzieren. Die Spieler bekommen in der Regel keine Millionenbeträge. Doch seit 2006 gibt es die „Beckham Rule“, damals musste das Engagement des englischen Glamour-Fußballers David Beckham bei den Galaxy bezahlt werden: Inzwischen darf innerhalb der „Designated Player Rule“ jeder Klub drei Spieler in den Kader kaufen, deren Salär über der Gehaltsobergrenze liegt.

Weltmeister Schweinsteiger ist in dieser Saison prominentester „Designated Player“, Jahresgehalt 5,4 Millionen Dollar (etwa fünf Millionen Euro). Das ist wenig, für US-Verhältnisse. Ein Stephen Curry in der NBA verdient dieses Jahr 35 Millionen Dollar bei den Golden State Warriors und in Schweinsteigers neuer Heimat bekommen bei den Chicago Blackhawks hierzulande unbekannte Eishockeyspieler wie Patrick Kane und Jonathan Toews 14 Millionen Dollar pro Saison.

Gemütlich. Das Stadion der LA Galaxy von außen.
Gemütlich. Das Stadion der LA Galaxy von außen.

© Claus Vetter

Der 32 Jahre alte Bayer führt derzeit mit Fire die Tabelle der Eastern Conference an. Zuletzt war Schweinsteiger, zwei Tore in 15 Spielen, verletzt. Jetzt hat er sich zurückgemeldet und per Telefonat aus Europa, wie der Autor in der Chicago Tribune pikiert feststellte, verkündet, dass er im nächsten Spiel wieder dabei ist. Schweinsteiger kommt medial als Typ in der kleinen Szene gut an, kann belanglose Dinge durch die Welt twittern wie: „We are not done yet, there are still things where we can improve.“ Oder auch: „Wishing a very happy Independence Day to all my American friends.“

Arne Friedrich, einst Kollege in der Nationalmannschaft von Bastian Schweinsteiger, hat vor fünf Jahren auch für Chicago Fire gespielt und im Tagesspiegel kürzlich gesagt, die sportliche Einordnung der MLS sei schwierig. In etwa sei das Niveau mit dem vergleichbar, was in der Zweiten Bundesliga an der Spitze gespielt würde.

Das ist schön für die Soccer-Fans in den USA und Kanada, aber niemals genug, um den großen Rest der Menschen beider Länder davon zu überzeugen, dass Fußball ein mitreißend wichtiger Sport ist.

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