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HSV-Fans bejubeln den Klassenerhalt.

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Faszination Fußball: Bundesligaerlebnis zählt mehr als Ergebnis

Der Fußball bietet Menschen die Ablenkung vom Alltag, nach der so viele gieren. Die Zuschauer wollen Gefühle zeigen und mitgerissen werden.

Von Johannes Nedo

Sie waren nicht mehr zu halten. Nach dem Abpfiff stürmten die Fans auf den Platz – ausgelassen und freudetrunken. Sie umarmten die Spieler, kletterten auf die Torlatte, viele von ihnen rissen sogar Rasenstücke heraus und trugen sie wie Trophäen nach Hause. Dabei hatte der Hamburger SV am Samstag keinen Titel gewonnen. Die Fans bejubelten, dass ihre Mannschaft am letzten Spieltag den Klassenerhalt gesichert hatte. Ähnlich emotionale Szenen ereigneten sich zur gleichen Zeit im Kölner Stadion, wo glückselige Fans von einem fünften Platz und dem Einzug in den Europapokal in absolute Ekstase versetzt wurden.

Das Saisonfinale der Fußball-Bundesliga war ein großes Spektakel: nicht nur in Hamburg und Köln, auch in Dortmund, Frankfurt oder München. Innerhalb der zwei Stunden zwischen 15.30 Uhr und 17.30 Uhr kam alles zusammen, was die Menschen am Fußball lieben. Es war viel mehr als nur Tore, Siege und Niederlagen. Es waren kaum für möglich gehaltene Wendungen und Ausbrüche größter Gefühle. In diesen zwei Stunden zeigte sich, warum es so schwer ist, sich der Faszination des Fußballs zu entziehen. Und warum weiterhin Millionen von Menschen in Deutschland in die Stadien strömen.

Gefühlsspiralen durchleben

12,7 Millionen Zuschauer waren es in der nun zu Ende gegangenen Saison. Hinzu kommen die weiteren Millionen vor dem Fernseher. Sie alle gieren nach Spannung, sie alle wollen berührt und mitgerissen werden. Und das bietet ihnen die Bundesliga in bester Manier. Natürlich stand der Deutsche Meister wie auch in den vergangenen vier Jahren zuvor schon lange vor dem Saisonende fest. Doch hinter Bayern München – und selbst der Monotoniemeister musste in den vergangenen Monaten einige Gefühlsspiralen durchleben – war vieles neu, durcheinander und aufregend in dieser Saison.

Der Aufsteiger RB Leipzig wurde mit rasend schnellem Fußball überraschend Tabellenzweiter und darf nun Champions League spielen. Die TSG Hoffenheim spielte sich, angeführt von ihrem jungen Trainer Julian Nagelsmann, frech und clever auf Platz vier. Borussia Dortmund war für schönste Kunst und abenteuerlichsten Slapstick zu haben, während die Etablierten wie Leverkusen, Mönchengladbach und Schalke enttäuschten und den Europapokal verpassten.

Erlebnis statt Ergebnis

Die Bundesliga mag insgesamt nicht so stark sein wie die spanische oder die englische Liga. Aber wen stört schon die Qualität, wenn außer dem Meistertitel alles völlig unberechenbar ist. Das Erlebnis ist für viele wichtiger als das Ergebnis. Der Fußball verschafft vielen erst die Möglichkeit, wirkliche Gefühle zu spüren und Teil einer gleichzeitig traditionellen und mega-hippen Sache zu sein – wenn auch nur für zwei Stunden.

Wer schon einmal im Stadion auf der Tribüne stand, mit seiner Lieblingsmannschaft zitterte, an ihr verzweifelte – und am Ende doch jubeln durfte, der bekommt davon nicht genug. Denn das Schöne daran ist: Egal, wie es ausgeht, es ist für die Welt nicht entscheidend. Besonders in diesen Zeiten ist die Bundesliga also auch ein bisschen Entlastung. Sie lenkt ab, befreit – und versetzt in einen Rausch. Ein Rausch, der dann im August aufs Neue beginnt.

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