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Erstes Fußball-Länderspiel 1908: Anstoß in Berlin-Mariendorf

Vor 99 Jahren fand das erste Heimspiel der Deutschen statt – auf einem Platz, der heute ein Tennisplatz ist

Vielleicht waren es Fliegerbomben, die das Archiv des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) in Brand setzten. Vielleicht waren es aber auch britische Soldaten, die all die Fotos und Dokumente aus den zerstörten Hallen in den Müll warfen.

„Nur eines ist leider sicher“, sagt Olliver Tietz, Chefarchivar des DFB. „Unser Alt-Archiv hinter dem Olympiastadion existiert nicht mehr.“

Dabei hat heute vor exakt 99 Jahren in Berlin ein Ereignis mit gewaltiger Bedeutung stattgefunden. Am 20. April 1908 bestritt die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ihr erstes Heimspiel – und zwar in einer Seitenstraße im Stadtteil Mariendorf. „Wir haben nur wenige Informationen darüber“, sagt Tietz.

Die Spurensuche beginnt an einem Vormittag nahe U-Bahnhof Westphalweg, in der Eisenacher Straße. Dort befindet sich eine große, hübsche Friedhofsanlage, an deren Eingang steht: „Friedhof der Gemeinde Zum Heiligen Kreuz.“ Nebenan: Typische Fünfzigerjahre-Architektur sowie Laubenkolonien. „Nee, hier is’ keen Fußballplatz“, ruft eine ältere Dame aus ihrem bunten Garten herüber.

In der Eisenacher Straße hat Deutschland an jenem 20. April 1908 nicht nur sein erstes Heimspiel bestritten, sondern auch prompt seine erste derbe Niederlage erlitten. Die Sportsfreunde Eichelmann, Hantschick und Co. gingen in Mariendorf 1:5 unter. Der Gegner: England.

Wo also war der Platz? „Na, die haben auf dem alten Viktoria-Platz gespielt“, sagt Jürgen Schmidt, 58 Jahre alt und Geschäftsführer eben jenes Amateurklubs Viktoria. Er erzählt: Weil es in der Eisenacher Straße keine Duschen gab, mussten die Fußballer „früher über eine Hühnerleiter klettern und sich dann an fünf Waschschüsseln abseifen“. Vom Stadion sei jedoch nichts mehr übrig. Nach dem Krieg haben die Menschen im zerstörten Berlin nicht nur die Bäume des Tiergarten, sondern auch gleich die kleine Holztribüne des Viktoria-Platzes verheizt.

Schon in der fünften Minute begann im Jahre 1908 das Debakel. Tor für England! 0:1, Stapley. Die Zuschauer an jenem Ostermontag in der Eisenacher Straße ahnten noch nicht, was aus ihrem Lieblingssport einmal werden würde.

Dann ein Anruf aus den Tiefen des Bezirksamtes. „Wir haben etwas gefunden“, sagt Veronika Liebau. Sie arbeitet für das Archiv zur Geschichte von Tempelhof und Schöneberg, und siehe da: Die „Mariendorfer Zeitung“ hatte 1908 ihren Reporter losgeschickt. Anpfiff war um 16 Uhr. Es schneite, eine „selten große Zuschauermenge“ von 6000 Leuten war dabei.

Der Reporter notierte: „Leider wies die Aufstellung der Deutschen verschiedene Lücken auf, so dass wohl sonst ein günstigeres Resultat für die Schwarz-Weißroten herausgekommen wäre“. Oder: „Bei den Gästen war jeder gleich gut.“ Und: „Im großen und ganzen waren die Engländer (…) den Deutschen überlegen.“ Ja, nahezu die gesamte Mannschaft habe „sehr mangelhaft“ gespielt, nur die vier Berliner Verteidiger (!) beim 1:5 (!!) hätten „hervorragend“ (!!!) gespielt. Ein echter Lokalpatriot, der Kollege aus Mariendorf.

Die Wiese, die sich zwischen Westphalweg und Eisenacher Straße befindet, wurde 1964 verkauft. Jener Fußballplatz, wo die Deutschen vor 99 Jahren ihren Lieblingssport entdeckten, ist seitdem ein Tennisplatz.

Anmerkung: In einer ersten Version stand hier eine falsche Ortsangabe, die uns im Bezirk genannt worden war. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen. Wir haben ihn korrigiert. Herzlichen Dank für die Hinweise.

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