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Der eine spielte, der andere spielt in den USA. Felix Schütz (links) und Dennis Seidenberg nach dem Tor zum 2:1 gegen die USA.

© Marius Becker/dpa

Eishockey-Weltmeisterschaft: Was hinter dem Traumstart der deutschen Mannschaft steckt

Mehr System als Glück: Warum der WM-Auftaktsieg der deutschen Mannschaft viel mit dem Eishockey in Nordamerika zu tun hat

Es war ein Feierabend für das deutsche Eishockey, der in allen Belangen stimmig war: Favorit USA nach großem Kampf 2:1 geschlagen, nach spannender Dramaturgie mit einem Siegtor sechs Minuten vor Schluss und vielen kleinen Geschichten, die für sich allein für große Geschichten gereicht hätten. Wie etwa die Begebenheit, dass der bei seinem Klub Kölner Haie in den Play-offs der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) zuletzt nicht eingesetzte Patrick Hager in der Kölnarena das Siegtor zum gelungen Auftakt der Deutschen bei der Weltmeisterschaft schoss.

Das war allemal erstaunlicher als die Tatsache, dass die Deutschen seit Wochen fokussiert waren auf dieses erste Heimspiel, während sich der kurz vor Turnierbeginn formierte Gegner noch in einer Findungsphase befindet. Und der Umstand, dass die Mannschaft von Marco Sturm mit Thomas Greiss von den New York Islanders einen herausragenden Mann im Tor hat, war auch keine Überraschung. Diesen Sieg zum WM-Auftakt hat sich die deutsche Mannschaft verdient und er könnte ihr im weiteren Turnierverlauf helfen.

Dass der deutsche Erfolg von Betrachtern mit den üblichen Floskeln „starke Torwartleistung“ oder „Glück“ bewertet wurde, ist eingeübten Reflexen geschuldet. Wenn einer deutschen Eishockeynationalmannschaft mal ein großer Sieg gelingt, dann kann das eben nicht daran liegen, weil sie spielerisch stark war. So aber lässt sich das 2:1 vom Freitag in Köln nicht bewerten: Sicher, die USA gaben mehr Schüsse auf das Tor von Greiss ab als der Gegner auf ihr Tor – allerdings auch erst ab dem zweiten Drittel.

Die Qualität der amerikanischen Versuche war aber überwiegend schwach, zu Nachschüssen kamen die Amerikaner selten. Die deutsche Abwehr war sehr gut positioniert und bemerkenswert war, wie das Team vieles spielerisch lösen konnte. US-Coach Jeff Blashill sagte: „Wir wussten, dass Marco Sturm hier eine gute Mannschaft hat. Es mag komisch klingen: Aber im Laufe des Spiels wurden wir besser, da ist ist positiv und darauf können wir aufbauen.“ Aufbauen auf einer 1:2- Niederlage gegen Deutschland? Derlei Worte hätte ein Trainer des Team USA früher nicht gesagt. Und Blashill ist kein Trainernovize, sondern im Hauptberuf Coach der Detroit Red Wings in der NHL. Von ihrer Technik her ist die Nationalmannschaft auf einem anderen Level als noch vor zehn, 20 Jahren.

13 deutsche Spieler vom Freitag spielen oder haben schon in Nordamerika gespielt

Die deutschen Profis wissen, wie sie gegen eine nordamerikanische NHL-Auswahl spielen müssen. Denn mehr als die Hälfte der Mannschaft hat einen Teil ihrer Karriere in Übersee verbracht (Philip Gogulla, Felix Schütz, Justin Krueger, Brooks Macek, Konrad Abeltshauser, Dominik Kahun, Denis Reul, Matthias Plachta, Gerrit Fauser und der am Freitag verletzte Kapitän Christian Ehrhoff) oder spielt wie Thomas Greiss, Dennis Seidenberg (New York Islanders) und Tobias Rieder (Arizona Coyotes) in der NHL oder Frederik Tiffels (Western Michigan University) in Übersee. Allein das belegt, wie sehr das deutsche Eishockey inzwischen von nordamerikanischer Ausbildung geprägt wird.

Die deutsche Mannschaft hätte nie ihre momentane Qualität, wenn sie sich aus Spielern zusammensetzten würde, die nur in Deutschland im Nachwuchs und der Profiliga gespielt haben. Auch der aktuell beste deutsche Profi wechselte bereits früh nach Nordamerika. Mit 17 Jahren schon spielte de heutige NHL-Star Leon Draisaitl dort. Wenn der gebürtige Kölner in der Nacht zum Montag mit den Edmonton Oilers in den Play-offs der NHL ausscheiden sollte – Gegner Anaheim fehlt in der Serie nur noch ein Sieg zum Weiterkommen –, dann wird Draisaitl sofort in die Heimat fliegen und das deutsche Team verstärken. Ein Angreifer wie Draisaitl würde die deutsche Mannschaft natürlich offensiv gefährlicher werden lassen, ob er ihr strukturell weiterhilft, sei dahingestellt. Denn gerade in punkto Ordnung überzeugte die Mannschaft von Sturm, der selbst fast seine gesamte Spielerkarriere in der NHL verbrachte, gegen die USA. Sie bezwang die Kunst des Gegners mit Struktur. Besonders stark wirkte dabei das deutsche Powerplay bei seinen zwei Versuchen, im zweiten Überzahlspiel gelang Hager das Siegtor nach einem klugen Schuss von Dennis Seidenberg.

Nun gilt es natürlich, nach so einem Erfolg wie am Freitag nicht abzuheben, sondern ihn einzuordnen. Insgesamt rückt das Welteishockey näher zusammen. Nicht nur bei den Deutschen, auch bei den anderen Teams hinter den großen Nationen ist inzwischen viel Personal durch die nordamerikanische Schule gegangen. Die Qualität der WM-Turniere wächst stetig, die Zeiten, in denen etwa die USA mit einer halben College-Truppe aufläuft, sind lange vorbei: Ein Jack Eichel, in dieser NHL-Saison Topscorer der Boston Bruins und im Jahr 2015 als zweiter Spieler in der nordamerikanischen Profiliga gedraftet, führt bei dieser WM das Team USA an.

Dass die deutsche Mannschaft nur 21 Stunden nach dem Sieg gegen die Amerikaner am späten Sonnabend im zweiten Spiel gegen die ausgeruhten Schweden aufs Eis muss, kann getrost als Irrwitz der Organisatoren eingestuft werden. Bundestrainer Sturm sagte nach dem Erfolg gegen die USA: „Wir müssen gegen die Schweden vieles besser machen. Wir werden uns mit intensivem Videostudium vorbereiten.“ Wahrscheinlich geschah das in der Nacht zum Sonnabend. Schöner wäre sicher gewesen, wenn Sturm nach dem furiosen Auftakterfolg hätte sagen können: „Morgen machen wir ein lockeres Training und dann bereiten wir uns ausgeruht auf den nächsten Gegner vor.“

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