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Sport: Eine Niederlage als großer Sieg

Heute vor 40 Jahren boxte Karl Mildenberger gegen Muhammad Ali

Zwei Jahre nach seinem Glaubenswechsel zum Islam wurde Muhammad Ali weltweit immer noch Cassius Clay genannt. Die Zeitungen druckten 1966 den neuen Namen allenfalls in Verbindung mit dem alten und dem Zusatz „formerly“, vormals. Schon damals war Muhammad Ali alias Cassius Clay im Boxen der Größte, trotzdem war sein Kampf gegen den deutschen Boxer Karl Mildenberger dem öffentlich-rechtlichen deutschen Fernsehen nicht eine Million Mark wert. ARD und ZDF mussten daher heute vor vierzig Jahren bei der ersten Boxweltmeisterschaft im Schwergewicht in einem deutschen Ring draußen bleiben. In Amerika aber wurde erstmals ein Ereignis aus Europa in Farbe via Satellit übertragen.

In der ersten Reihe im Frankfurter Waldstadion hielten die Filmstars Ursula Andress und Jean-Paul Belmondo verliebt Händchen. Joe Louis und Max Schmeling steckten die Köpfe zusammen. 25 000 Zuschauer im Frankfurter Waldstadion skandierten „Milde, Milde“. Doch keiner glaubte ernsthaft daran, Karl Mildenberger könnte zu einer Sensation fähig sein wie 1936 sein großes Vorbild Schmeling mit dem K.o.-Sieg in der zwölften Runde über Louis.

Maximal drei Runden waren dem deutschen Herausforderer gegen den Champion aus Louisville, Kentucky, zugestanden worden. Der krasse Außenseiter schaffte es jedoch bis zur zwölften Runde – um dann durch K.o. zu verlieren. Er stand zwar noch, war aber unfähig, sich zu verteidigen, wie der englische Ringrichter Teddy Waltham entschied und den Kampf abbrach. Das Duell zählt zu den traditionellen Ereignissen des Faustkampfes und nicht zu den inszenierten Events des Fernsehens. Muhammad Ali begann erst mit 24 Jahren außerhalb der Vereinigten Staaten die Welt zu faszinieren. Karl Mildenberger aber wurde wegen seiner „Demonstration von Mut“, so das Lob des als Punktrichter fungierenden 78-jährigen Boxpapstes Nat Fleischer, in Deutschland wie ein Held gefeiert. Kaiserslautern bereitete dem Vize-Weltmeister einen ähnlichen Empfang wie 1954 den Fußball-Weltmeistern Fritz und Ottmar Walter, Kohlmeyer, Liebrich und Eckel.

Die einmalige Chance gegen Muhammad Ali zu boxen, hatte Mildenberger letztlich dem berühmtesten der Ali/Clay-Reime zu verdanken. An einem Februar-Nachmittag anno 1966 hatte der Weltmeister das folgenschwerste Interview seines Lebens gegeben. Ein Fernsehreporter wollte Alis Reaktion auf den Beschluss der Musterungsbehörde in Louisville erkunden, die ihn gerade für wehrtauglich erklärt hatte. Der Champion konnte somit jeden Tag eingezogen und in den Vietnamkrieg geschickt werden. Ali antwortete mit dem fast schon historischen Vers: „Keep asking me, no matter how long – I ain’t got no quarrel with them Vietcong.“ Sinngemäß übersetzt: „Ich habe keinen Streit mit dem Vietcong.“ Nichts habe sein Leben mehr verändert als jenes Gedicht, ließ er in seiner Autobiografie schreiben. Amerika schrie auf. Kein Staat und keine Stadt in den USA waren bereit, den „Anti-Amerikaner“ Ali in den Ring zu lassen. Für den heimatlosen Champion begann ein Wettlauf mit der Zeit bis zur Einberufung zum Wehrdienst, den er im April 1967 verweigerte, wofür er verurteilt, entthront und gesperrt wurde. Ali flüchtete zum Boxen und Geldverdienen ins Ausland. Toronto dank George Chuvalo, London durch Henry Cooper und Brian London sowie schließlich Frankfurt am Main durch Karl Mildenberger öffneten dem charismatischsten aller Champions die Tore.

Zehn Jahre nach seinem Frankfurter Auftritt listete Ali in „The Ring“ seine zehn schwersten Gegner auf. Mildenberger nahm hinter Sonny Liston, Doug Jones, Joe Frazier und Ken Norton einen höchst ehrenvollen fünften Rang ein. „Mildenberger konnte sehr gut boxen und hat mich mit einigen Schlägen schön durchgeschüttelt“, sagte Muhammad Ali zu seiner Bewertung. „Jeder hatte geglaubt, ich würde leichtes Spiel mit ihm haben.“

Mildenberger ärgerte sich über den Abbruch nach anderthalb Minuten der zwölften Runde: „Ich wollte zum Schluss noch einmal alles auf eine Karte setzen, da fing ich dieses rechte Ding ein.“ Er taumelte, aber fiel nicht. Erst als der sonst so laute Ali ihm schweigend mehrmals auf die Schulter klopfte, „dämmerte mir“, erinnert sich Mildenberger, „was ich geleistet hatte“. Die ehrenvolle Niederlage war sein größter Sieg. „Bild“ kam zu dem Schluss: „Für lange Zeit wird man auf der Welt keinen so tapferen Boxer finden.“

Als 68-jähriger rüstiger Rentner mit schlohweißem Haar lebt Karl Mildenberger mit seiner zweiten Frau Miriam „gesund und zufrieden“, wie er versichert, in seinem Haus im pfälzischen Hohenecken. „Ich habe mein bestes Kampfgewicht“, sagt er, „88 Kilogramm – wie gegen Ali.“

Hartmut Scherzer[Frankfurt am Main]

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