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Der SV Pfeffersport aus Berlin ist einer von etwa 90.000 Sportvereinen in Deutschland.

© Britta Pedersen/dpa

DOSB-Bewerbung als Kulturerbe: Sportvereine - schützenswert wie die Brotkultur und das Hebammenwesen

Der DOSB möchte das deutsche Sportvereinswesen als immaterielles Kulturerbe anerkennen lassen - und erhofft sich dadurch auch Wertschätzung für Ehrenamtliche.

Durch die Flure des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) in Frankfurt am Main ziehen immer wieder Delegationen aus dem Ausland und suchen nach der Erklärung eines Phänomens. Der deutsche Sportverein – wie konnte er nur so lange überleben? Und dann auch noch so erfolgreich? 90.000 Sportvereine gibt es, mit 27 Millionen Mitgliedern und Hunderttausenden Ehrenamtlichen. Eine Gruppe aus Japan etwa hätte zu gerne eine Kopie des Vereins mit nach Hause genommen. Gut 200 Jahre nach der Gründung der ersten Sportvereine wünscht sich der DOSB daher nun eine besondere Auszeichnung. Nach Informationen des Tagesspiegels will er das Sportvereinswesen auf die Liste des immateriellen Kulturerbes setzen lassen. Wenn das für Deutschland klappt, könnte es sogar noch weitergehen, mit der Anerkennung durch die Unesco als Immaterielles Kulturerbe der Menschheit.

Beim materiellen Weltkulturerbe wie dem Kölner Dom, der Wartburg oder der Museumsinsel in Berlin geht es vor allem um Stein gewordene Bedeutung, beim immateriellen Erbe um Traditionen und Bräuche. „Die Aufnahme würde ein neues Schlaglicht richten auf das, was in den Vereinen passiert und in der Öffentlichkeit kaum zum Tragen kommt: wie sehr Vereine sozialer Kitt für die Gesellschaft sind“, sagt Karin Fehres, die im DOSB-Vorstand für Sportentwicklung verantwortlich ist. „Es wäre eine Wertschätzung für die vielen Ehrenamtlichen an der Basis“.

Damit ist schon eine Besonderheit der Vereine genannt. Sie werden davon getragen, dass Menschen in ihrer Freizeit Jugendliche betreuen, Formulare ausfüllen, Vorstandssitzungen abhalten. Vereine gibt es überall, selbst in kleinen Dörfern, offen sind die meisten durch sozialverträgliche Mitgliedsbeiträge. „Das Vereinsrecht ist auch etwas sehr Deutsches mit den Fragen der Gemeinnützigkeit“, sagt Fehres, ohnehin sei der Kreis der Länder klein, in denen so etwas flächendeckend gelebt werden könnte. „Es geht nur in funktionierenden Bürgergesellschaften.“

Der älteste Sportverein ist 200 Jahre alt

Der älteste noch aktive Sportverein ist im vergangenen Jahr 200 geworden, die Hamburger Turnerschaft von 1816. Der Sporthistoriker und frühere Hamburger Sportamtsleiter Hans-Jürgen Schulke hat die Gründerzeit in seinem Buch „Als Vereine in Bewegung kamen“ nachgezeichnet und sieht den Sportverein allgemein immer noch auf der Höhe der Zeit: „Wo sonst werden die Losungen der Moderne so konsequent und praktisch umgesetzt wie in der Vereinsbewegung: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und ein Recht auf ein erfüllendes Leben.“

Einige existenzbedrohende Krisen hat der Verein dennoch hinter sich bringen müssen. „In den achtziger Jahren hieß es: Opas Sportverein ist tot. Aber seitdem gibt es einen kontinuierlichen Zuwachs an Vereinen und Mitgliedschaften“, sagt Fehres. Zu schaffen machte den Vereinen da nur das Image, nicht ihr Inhalt. Ob die Vereine als Kulturerbe anerkannt werden, hängt nun an verschiedenen Instanzen. In Deutschland befindet das Expertenkomitee Immaterielles Kulturerbe der Deutschen Unesco-Kommission über die Aufnahme ins „Bundesweite Verzeichnis“. Bis 2019 wäre das Verfahren in Deutschland abgeschlossen. Danach könnte, als Krönung, die Aufnahme auf die Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit kommen. Als erstes deutsches Erbe hat es das Genossenschaftswesen in diesen Kreis geschafft, das war 2015.

68 Kulturformen und vier Programme sind bisher in das „Bundesweite Verzeichnis“ aufgenommen worden, darunter das Hebammenwesen, Posaunenchöre, die deutsche Brotkultur oder Poetry Slam. Eine manchmal auch in Sportvereinen organisierte Tradition gehört ebenfalls schon dazu, das Schützenwesen. In der Liste sieht der DOSB die Sportvereine in die Kategorie Darstellende Künste einsortiert, weil Musik und Tanz auch in Turnvereinen eine Rolle spielen sowie in die Kategorie der gesellschaftlichen Bräuche, Rituale und Feste mit dem ehrenamtlichen Engagement, den Vereinsvorständen, dem ausdifferenzierten Spielbetrieb in Ligen.

„Bisher haben die Vereine alle Veränderungen mitgemacht“

In der Bewerbung musste der DOSB auch Risikofaktoren benennen, und die lesen sich wie eine Aufgabenliste an die Verbände, um die Vereine am Leben zu halten. Es gibt in dieser Gesellschaft viel, was man in seiner Zeit anstellen kann, auch Digitales, das gefährdet auch manchen ehrenamtlichen Vereinsjob. Die Frage, wie viel Bürokratie ein Verein überhaupt aushält, wird auch immer wieder neu gestellt, und dann gibt es noch andere große Themen wie den demografischen Wandel oder die Ganztagsschulen. „Je mehr Ganztagsschulen Sportstätten belegen, desto weniger Angebote sind für Sportvereine möglich“, sagt Fehres, schiebt aber hinterher: „Bisher haben die Vereine alle Veränderungen mitgemacht.“

Es ist also auch ein sehr anpassungsfähiges Gebilde, dieser Sportverein. Und wenn all diese Eigen- und Besonderheiten des Organismus Sportverein nicht nur auf Bundesebene gesehen würden, sondern auch international, könnten sich die Vereine mit dem unbezahlbaren Titel „Immaterielles Kulturerbe der Menschheit“ schmücken. Dort befänden sie sich wirklich in hübscher Gesellschaft, etwa mit der Traditionellen Chinesischen Medizin, dem Tango oder dem Schattentheater der Khmer in Kambodscha.

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