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Auftrag ausgeführt. Davie Selke feiert seinen befreienden Treffer zum 1:0 gegen Dänemark.

© Jan Woitas/dpa

Der Neue von Hertha BSC: Davie Selke: Monster im Strafraum

Hertha BSC zahlt 8,5 Millionen Euro für Davie Selke. Bei der U-21-Europameisterschaft zeigt der Stürmer seine Stärken – und seine Schwächen.

Beinahe wäre es schon nach 13 Minuten und 50 Sekunden so weit gewesen. Davie Selke brachte sich an der Mittellinie in Position, er fuhr seine Hüfte aus, schirmte den Ball mit dem Körper ab, doch bevor er ihn endlich am Fuß hatte, grätschte ihm ein Däne noch in die Parade. Davie Selke musste im zweiten Gruppenspiel der deutschen U 21 bei der EM in Polen noch weitere zehn Minuten warten, bis die Statistiker bei ihm den ersten Ballkontakt im Spiel registrieren konnten. Es führte zu der kuriosen Situation, dass der Stürmer nach 20 Minuten häufiger im Abseits gestanden als den Ball berührt hatte. Das Spiel lief in dieser Phase weitgehend an ihm vorbei, und das sollte sich bis zur Pause auch nicht mehr ändern. Ganze sechs Mal berührte der Leipziger, der in der kommenden Saison für Hertha BSC spielen wird, in der ersten Hälfte den Ball.

Am Ende des Spiels wurde er dann – außer von den vermeintlichen Experten der Uefa natürlich – als „Man of the Match“ gefeiert. Davie Selke hatte das erste Tor zum 3:0-Sieg der Deutschen selbst erzielt und den letzten Treffer von Nadiem Amiri mit einem feinen Zuspiel vorbereitet.

Am Mittwoch in Krakau wurde mal wieder ein Kapitel der großen Masterarbeit „Der positive Einfluss des Selbstvertrauens auf die Leistungen eines Stürmers im Profifußball“ geschrieben. In der ersten Halbzeit war Selke noch ein tief frustrierter junger Mann, der eine enttäuschende Saison in der Bundesliga hinter sich hatte, weil er bei seinem Verein kaum zum Einsatz gekommen war; der im ersten Spiel der U-21-EM einige Bälle verstolpert und einen Elfmeter verschossen hatte und dem nun im zweiten Gruppenspiel offenbar nur die Rolle des Zuschauers zugedacht war – bis eben zur 53. Minute, als Selke ein Zuspiel von Jeremy Toljan an der Strafraumgrenze ohne jeglichen Umweg mit dem rechten Fuß ins Tor schlenzte. „Man hat an seinem Gesicht gesehen, wie viel Last von ihm abgefallen ist“, sagte U-21-Nationaltrainer Stefan Kuntz.

Davie Selke hat bei der EM in Polen die Gelegenheit genutzt, der Öffentlichkeit zu zeigen, was seine Stärken sind. Genauso aber hat das Turnier noch einmal seine Schwächen offenbart.

Dem 22-Jährigen, der Hertha immerhin 8,5 Millionen Euro Ablöse wert ist, sagt man nach, dass seine Stärken eindeutig im Strafraum liegen. Das ist ganz sicher nicht falsch, in der Regel aber auch eine schmeichelhafte Umschreibung dafür, dass ein Spieler auf dem restlichen Spielfeld wenig bis gar nicht zu gebrauchen ist. Kombinationsfußball ist definitiv nicht Selkes Ding.

In Leipzig hat sich Selke nie richtig durchgesetzt

Im ersten EM-Spiel gegen Tschechien (2:0) bot sich der deutschen U 21 eine Viertelstunde vor Schluss eine herausragende Kontergelegenheit. Selke eroberte den Ball tief in der eigenen Hälfte. Er führte den Ball mit großen Schritten durchs Mittelfeld, wurde von zwei Kollegen begleitet und hatte nur noch einen tschechischen Verteidiger vor sich. Selke spielte den Ball nach links in den Strafraum, haarscharf in den Rücken von Max Meyer, der bei seinen Bemühungen, das Zuspiel noch zu erreichen, scheinbar unbeholfen zu Boden plumpste. Solche leichten Fehler, Unkonzentriertheiten, technische Unsauberkeiten sind nicht ungewöhnlich für Selke. Selbst für einen Stürmer kommt er auf eine (leicht) unterdurchschnittliche Passquote.

Das war auch einer der Gründe, warum der Angreifer, den Leipzig 2015 für die Zweitliga-Rekordablöse von acht Millionen Euro aus Bremen geholt hat, in der vorigen Saison kaum noch eine Rolle gespielt hat. Bei seinen 21 Einsätzen stand Selke nur zwei Mal in der Startelf – eine Entwicklung, die sich schon in der Spielzeit zuvor angedeutet hatte. Bereits in der Rückrunde der Leipziger Aufstiegssaison spielte Selke nur noch vier Mal von Beginn an. Die hohen Erwartungen an den Stürmer erfüllten sich letztlich nicht – was wiederum Hertha erst die Möglichkeit eröffnete, Selke zu verpflichten.

Die Berliner bekommen ohne Frage einen gefährlichen Strafraumstürmer, der einen guten ersten Kontakt hat, wie man bei seinem Tor gegen Dänemark sehen konnte. In dieser Hinsicht ist Selke dem Kölner Anthony Modeste nicht unähnlich. Er ist zudem recht flott auf den Beinen, auch ausreichend fleißig im Spiel gegen den Ball. Bei U-21-Trainer Kuntz genießt der künftige Berliner daher hohe Wertschätzung: „Der schießt das 1:0, nimmt den Ball wieder aus dem Tor und legt ihn auf den Mittelpunkt, weil er noch ein zweites schießen will“, hat er erzählt. „Davie ist ein Mentalitätsmonster.“

Entscheidend wird sein, wie weit Herthas Spiel auf Selke zugeschnitten sein wird. Er braucht Bälle, am besten im Strafraum. Dass er keiner ist, der sich ins Mittelfeld fallen lässt, wenn er von den Zulieferdiensten abgeschnitten ist, hat die erste Hälfte gegen Dänemark gezeigt. Herthas Trainer Pal Dardai spielt trotzdem mit dem Gedanken, Davie Selke mit Vedad Ibisevic zusammen im Angriff spielen zu lassen, gleich zwei ausgewiesene Strafraumspezialisten also. Klingt nach einem sehr ambitionierten Projekt.

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