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Mann für die Zwischenräume. Lars Stindl (Mitte) hatte der Bundestrainer eigentlich nicht auf der Rechnung, doch jetzt ist Joachim Löw ziemlich angetan.

© Yuri Cortez/AFP

Der Gladbacher überzeugt beim Confed-Cup: Lars Stindl: Besser als Ronaldo

Lars Stindl hatte beim Bundestrainer lange keine Chance, inzwischen scheint Joachim Löw seine Meinung über den Offensivspieler revidiert zu haben.

Lars Stindl ist in Speyer geboren, in Waghäusel aufgewachsen, er hat in Karlsruhe sein Abitur gemacht, dort auch professionell Fußball gespielt, genauso wie später in Hannover und jetzt in Mönchengladbach. Berlin findet sich definitiv nicht im Lebenslauf des 28-Jährigen, auch wenn man das vermuten könnte. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so gut läuft“, hat Stindl dieser Tage über seine Performance mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft beim Confed-Cup in Russland gesagt. „Da kann ich nicht meckern.“ Kannste nicht meckern, das gilt in Berlin als höchstes Lob und Ausdruck maximaler Verzückung.

Maximal verzückt – genau das ist auch Lars Stindl in diesen Tagen, da eine anstrengende Saison mit seinem Verein Borussia Mönchengladbach noch eine unerwartete Verlängerung erfährt. „Ich bin momentan sehr glücklich mit der Situation“, sagt er. Mit stolzen 28 ist er erstmals in die Nationalmannschaft berufen worden; er hat in allen vier Spielen, die das Team seit seiner Zusammenkunft Ende Mai bestritten hat, in der Startelf gestanden, wird das vermutlich auch an diesem Sonntag im letzten Gruppenspiel beim Confed-Cup gegen Kamerun tun (17 Uhr/ZDF) – und führte nach zwei Spieltagen mit zwei Toren die Torjägerliste des Turniers an. Wer hätte das gedacht: Lars Stindl ist sogar besser als Cristiano Ronaldo, der in seinen ersten beiden Spielen nur einmal getroffen hatte.

Bei Borussia Mönchengladbach ist er eine Führungsfigur

Bundestrainer Joachim Löw hat natürlich gehofft, dass sich in seinem Kader für den Confed-Cup das eine oder andere Juwel verbergen möge, das im Idealfall auch für die Weltmeisterschaft im kommenden Jahr in Frage kommt; mit Lars Stindl aber hat er vermutlich nicht gerechnet. Seit fast zwei Jahren ist dessen Name immer wieder als Kandidat für die Nationalmannschaft genannt worden. Stindl ist in Gladbach zur Führungsfigur gereift, hat in den beiden Spielzeiten seit seinem Wechsel aus Hannover jeweils 18 Scorerpunkte verbucht – und in der abgelaufenen Saison mit elf Toren eine neue persönliche Bestleistung aufgestellt. Der Bundestrainer aber hat die Einlassungen der Stindl-Lobby geflissentlich überhört.

Als klar war, dass Löw mit einer alternativen Nationalmannschaft zum Confed-Cup reisen würde, hätte man allerdings darauf wetten können, dass er Stindl eine Gnadennominierung zukommen lassen würde – und dass er ihn nach dem Turnier wieder hartnäckig ignorieren würde. Teil eins dieser Prophezeiung ist eingetreten (genau wie bei Marvin Plattenhardt von Hertha BSC und dem Hoffenheimer Sandro Wagner); bei Teil zwei kann man sich inzwischen nicht mehr so sicher sein. „Er hat in der Zeit bei uns absolut überzeugt“, sagt Joachim Löw. „Er ist ruhig und selbstsicher, zeigt keine Anzeichen von Nervosität, ist eine sehr gute Persönlichkeit und ein sehr guter Spieler.“

Es hat durchaus Gründe für Löws bisherige Zurückhaltung in Sachen Stindl gegeben – es sind vor allem die hohen Ansprüchen, die der Bundestrainer an die Spieler stellt, die er in seiner Mannschaft sehen will. Stindls Pässen, aber auch seinen Beinen fehlt das, was Pal Dardai, der Trainer von Hertha BSC, internationale Geschwindigkeit nennt. Der Gladbacher aber hat Qualitäten, die diese Defizite mehr als aufwiegen. Und genau die hat er bei allen seiner bisherigen Einsätze in der Nationalmannschaft gezeigt.

Löw lobt Stindls Spielintelligenz

Der frühere Bundesligaprofi Stefan Reinartz, der das Analysemodell Packing mit entwickelt hat, hat darauf schon vor einem Jahr hingewiesen: Stindl habe bei allen relevanten Kategorien herausragende Werte, sei in der Saison 2015/16 insgesamt der beste Stürmer der Bundesliga gewesen. Packing geht davon aus, dass der Erfolg einer Mannschaft ursächlich damit zusammenhängt, wie viele gegnerische Spieler sie überspielt. Das funktioniert aber nur, wenn ein Spieler den Ball hinter den überspielten Gegnern auch wieder in Empfang nimmt – und gerade als Empfänger war Stindl besser als jeder andere Stürmer in der Bundesliga.

„Er ist ein sehr raffinierter Spieler mit unglaublicher Spielintelligenz und guter Orientierung im Raum“, hat der Bundestrainer nach dem Spiel gegen Chile gesagt, bei dem sich Stindl kurz vor der Pause so gut orientiert hatte, dass er bei Hectors Hereingabe genau vor dem Tor stand und den 1:1-Endstand erzielte. Stindl bewegt sich mit großer Geschicklichkeit in den sogenannten Zwischenräumen, die vor ein paar Jahren exklusiv von Joachim Löw erfunden worden sind. Löw liebt Zwischenräume, und noch mehr liebt er Spieler, die sich in diesen Zwischenräumen unfallfrei zurechtfinden.

Vielleicht also erlebt Russland gerade den Beginn einer wunderbaren Liebesgeschichte.

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