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Das Brandenburger Tor, aufgenommen am 2. August 1936.

© Archiv Huebner/morisel Verlag

Bildband zu den Spielen in Berlin: Olympia 1936: Schnappschüsse statt Propaganda

Ein Buch mit Amateurfotos von Olympia 1936 eröffnet eine neue Perspektive auf die Spiele von Berlin und ihren Alltag.

Perfekte Körper, monumentale Bauten, die Inszenierung des Sports als Propaganda für das Nazi-Regime: Leni Riefenstahls Filme über die Sommerspiele 1936 prägen bis heute die Erinnerung an Olympia in Berlin. Bislang verborgen blieb, wie sich die Wettkämpfe und das Großereignis in der Stadt für die normalen Zuschauer darstellten, welchen Blick Berliner und Touristen auf die Spiele hatten. Ein Buch widmet sich nun dem privaten Blick auf Olympia 1936 – und stellt mit mehr als 250 vorher unveröffentlichten Amateurfotos eine neue Perspektive auf eine Zeit her, in der Bilder immer stärker zensiert und kontrolliert wurden.

Der Sporthistoriker Emanuel Hübner von der Universität Münster hat mehrere Jahre lang im Internet und auf Trödelmärkten nach Fotos und Familienalben gesucht, am Ende konnte er für sein Buch auf mehr als 1200 Bilder meist unbekannter Fotografen zurückgreifen. Darunter sind Fotos der Wettkämpfe, aber auch viele Bilder aus dem Rest der Stadt und von olympischen Kulturveranstaltungen. 1936 ist Amateurfotografie keine Ausnahme mehr, sondern ein Massenphänomen. Eine einfache Kamera bekommt man schon ab vier Reichsmark, Tausende Hobbyfotografen sind während der zwei Wochen dauernden Spiele in ganz Berlin unterwegs.

Geknipst wird alles, was interessiert. Klassische Touristenaufnahmen des Brandenburger Tors oder des Lustgartens gehören ebenso dazu wie verwackelte Fotos vom Weitsprung, auf denen nur noch das Hinterteil des vierfachen Goldmedaillengewinners Jesse Owens zu sehen ist (handschriftlicher Kommentar im Fotoalbum: „Owens hat gesprungen“).

Manche Fotos sind detailliert beschriftet, bei anderen musste Hübner mühsam Datum und Ort rekonstruieren: Ein Bild vom Marathonlauf hat er nur anhand der Gullideckel der Glockenturmstraße zuordnen können. Bratwurst essende Männer sind ebenso verewigt wie Damen mit gewagten Hüten und Mädchen, die in der einen Hand die Flagge mit den olympischen Ringen tragen – und in der anderen die deutsche Fahne mit dem Hakenkreuz.

Die meisten Fotos zeigen große Begeisterung für die Spiele

„Die Aufnahmen haben meinen Blick erweitert“, sagt der 38-jährige Hübner, der seit Jahren zu Olympia 1936 forscht. „Aus den Bildern spricht eben nicht die Ehrfurcht. Sie spiegeln touristische Eindrücke wieder.“ Im Buch finden sich Fotos von menschengesäumten Straßen – im Familienalbum versehen mit dem Kommentar „In Erwartung des Führers“. Aber es gibt auch Bilder von deutschen Zuschauern, die Schlange stehen, um das Autogramm eines dunkelhäutigen Athleten zu ergattern. Oder der Schnappschuss eines von fröhlichen Kindern umringten Turbanträgers, Bildunterschrift: „Der Freund aller – aus Indien“. Ein anderes Bild zeigt die leere Tribüne des Olympiastadions, auf den Sitzbänken stehen die leeren Getränkeflaschen aus Glas, die die Zuschauer zurückgelassen haben. Sorgen um Flaschen als Wurfgeschosse machte sich 1936 bei Sportveranstaltungen offenbar noch niemand.

Fotos, die Kritik an den nationalsozialistischen Machthabern üben oder Missstände rund um Olympia aufzeigen, hat Hübner nicht gefunden. „Man sieht den schönen Schein“, sagt der Wissenschaftler. „Man muss immer bedenken: Die Fotos sind nur ein Ausschnitt.“ Die meisten Fotos zeugen seiner Meinung nach von einer großen Begeisterung für die Spiele, für Deutschland und auch für das Regime. Bemerkenswert ist das Buch trotzdem, weil es einen Blick weg vom Propaganda-Spektakel hin zum Alltag der Olympia-Besucher ermöglicht. Der war zwar auch geprägt von mit Hakenkreuzfahnen behangenen Straßenzügen, aber eben nicht nur. Ein Foto zeigt beispielsweise das Schaufenster eines C&A-Kaufhauses, in dem die neueste Mode mit einer US-Flagge dekoriert ist.

In Leni Riefenstahls Filmen wird Adolf Hitler überall in der Stadt umjubelt, auf Seite 161 des Buches ist ein anderes Bild zu sehen. Die offene Limousine des Diktators umkurvt den heutigen Theodor-Heuss-Platz, der damals Hitlers Namen trug. Nur eine Handvoll Passanten ist unterwegs, die Straßenränder sind keineswegs von Menschenmengen gesäumt, den Arm zum Gruß hebt niemand. Alltag eben – und nicht Propaganda.

„Olympia in Berlin. Amateurfotografen sehen die Olympischen Spiele 1936“. Erschienen im Morisel-Verlag München. 200 Seiten, 280 Abbildungen, 24,90 Euro. Autor Emanuel Hübner stellt das Buch am Donnerstag, dem 27. April, in der Nicolaischen Buchhandlung in Friedenau (Rheinstraße 65) vor. Die Veranstaltung beginnt um 19.30 Uhr, der Eintritt ist frei.

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