zum Hauptinhalt
Ein Logo mit Vergangenheit, aber bis auf weiteres ohne Zukunft.

© PROMO

Berliner Migrantenverein: Aufstieg und Fall von Türkiyemspor

Türkiyemspor verabschiedete sich dieser Tage ins fußballerische Nirwana. In Kreuzberg blieben Tränenbäche aus. Vielleicht gab es da und dort ein trauriges Kopfschütteln - bei denen, die den Klub einstmals fast ganz groß machten.

Die Insolvenz von Türkiyemspor ist für den Berliner Fußball eine traurige Sache. Weltoffenheit und Buntheit stehen unserer Hauptstadt gut zu Gesicht. Doch zu sehr hatte sich der Klub in den letzten Jahren von seiner eigentlichen Klientel entfernt. Türkiyemspor hat es versäumt zu punkten und Fans ins Stadion zu locken. Fast eine Million Schulden hat der Verein angehäuft. Das ist im Fußball keine ungewöhnliche Schuldensumme. Sie reichte aber offensichtlich, um den 1978 als BFC İzmirspor gegründeten Immigrantenklub den Garaus zu machen. Die Liste der Türkiyem-Funktionsträger veränderte sich in den letzen Jahren im atemberaubenden Tempo. Und keiner von ihnen trug zur Gesundung des Vereins bei. Einmal bei Türkiyemspor Chefchen zu spielen war anscheinend Antrieb genug.

Izmirspor hieß der Klub, weil anfangs viele Spieler aus Izmir stammten. Bis 1983 kickten die Izmirbuben in der Freizeitliga. Dann begann ein geradezu märchenhafter Aufstieg der Kreuzberger, der sie 1987 bis in die Landesliga Berlin führte. 1987 wurde der Verein in "Türkiyemspor Berlin e. V" umbenannt. Er wollte nun Klub aller türkischen Immigranten sein, Türkiyem heißt "meine Heimat".

Nun kreuzte ich erstmals den Weg des Klubs. Nach einem abermaligen Aufstieg knödelten sie in der höchsten Berliner Spielklasse. Ich lebte zu jener Zeit in Kreuzberg und fühlte mich wohl im Westberliner Biotop der letzten Gerechten. Wir kauften beim Türken und nicht bei Bolle, schaufelten uns Döner in Schallgeschwindigkeit in den Hals und schauten den schwarzhaarigen Schönen am Mariannenplatz hinterher. Die Mauer schützte uns vor der Bundeswehr und der westdeutschen Wirklichkeit.

Türkiyemspor war blitzartig der bekannteste Migrantenverein der Bundesrepublik. Die Truppe spielte richtig guten Fußball. Das zog Fans aus der türkischen Gemeinschaft Berlins. Vor allem Kreuzberger. Buntes Völkchen, Türken, Hausbesetzer, Alternative, Tagediebe. Bei manchen Spielen schauten knapp 1000 Zuschauer im Katzbachstadion vorbei, schön gelegen am Kreuzberger Viktoriapark. Nachts durchgefeiert im Golgatha, dann guter schwarzer Tee bei Türkiyemspor und der Tag war dein Freund.

Türkiyemspor war 1987 fast so populär wie Hertha

Berlin bot seinerzeit fußballerisch nicht viel. Hertha BSC knödelte 87 neben Tennis Borussia Berlin in der gleichen Liga wie Türkiyem. Hertha war richtig am Arsch, spielte vor 1000 Zuschauern auf komischen Plätzen und war dabei sein Erbmasse komplett zu verscherbeln. Hertha kam für uns nicht in Frage. Dort traf man die garstigen Herthafrösche, Prolls in Bomberjacken und die Reste der Westberliner Arbeiterschaft. Seinerzeit nicht unsere favorisierte Klientel. Uns hing der Punkrock noch in den Socken. Wir färbten uns die Haare blond und gingen lederbejackt zu Türkiyemspor, als der Club 1987 im Poststadion gegen Hertha BSC kickte. Der Weg zum Stadion ein Gang durch ein Meer farbenfroher Türken. Vorm Stadion Bier stemmende Herthafans neben feiernden Türken im Teerausch. Die bessere Figur gaben eindeutig die Berliner Türken ab.

Im Fanblock Türkiyemspors wehte eine unendlich üppige türkische Flagge. Es war der Tag der türkischen Neuberliner. Fußballerisch auf einer Ebene mit Hertha, ja auf dem Sprung die altersschwache Lady hinter sich zu lassen. Türkiyemspor zeigte den Arbeitsmigranten, dass Erfolg und soziale Anerkennung für Türken in Deutschland möglich sein konnte. 12.000 Zuschauer wollten das Spiel gegen Hertha sehen, die meisten feuerten die Türken an. Ich trug einen Schal mit der Aufschrift "Futbolun irki yoktur" (Fußball hat keine Rasse).

Beim DFB hatte man extra den Lex Türkiyemspor eingeführt. Damals durften nur zwei Ausländer in einer Bundesligamannschaft spielen. Um Türkiyemspor mit seinem türkischen Team einen Aufstieg in die Zweite Liga zu ermöglichen, wurde der Fußballdeutsche geschaffen. Wer über sechs Jahre in Deutschland lebte und kickte, galt hinfort als Deutscher, phänomenal! 

Euphorie pur, Höllentanz im Poststadion. Letztlich scheiterte Türkiyem gegen Hertha und in der Folge mehrfach knapp im Kampf um den Aufstieg in die 2. Bundesliga. Nebenher hatte sich Türkiyemspor ob seiner Popularität zum Hauptfeind der deutschen Neonazis entwickelt. Bei etlichen Spielen im Osten Deutschlands kam es seitens der Heimfans zu ekligen rassistischen Schmährufen gegen Türkiyemspor. Eine Welle der Ablehnung schlug dem Klub im Osten entgegen.

Aber auch die türkischen Fans konnten durchaus am Zeiger drehen, wenn sie das Gefühl hatten, ihrem Klub würde böse mitgespielt. Als am 1. Mai 1991 wieder mal der Nichtaufstieg in die Zweite Liga nach einer fetten 0:5-Niederlage gegen Tennis Borussia Berlin besiegelt war, fanden im Kreuzberger Katzbachstadion schwere Ausschreitungen seitens der Türken statt.

Der Klub fühlte sich Anfang der 90er vom Berliner Fußballverband betrogen

Einem Spieler, der zu Saisonbeginn zu Türkiyemspor gewechselt war, wurde rückwirkend die Spielberechtigung ob eines Verfahrensfehlers entzogen. Die Mannschaft musste innerhalb von zehn Tagen drei bereits gewonnene Spiele wiederholen. Danach ging es im entscheidenden Spiel gegen TB.  Auf dem Zahnfleisch kriechend, verloren die Kreuzberger – und Kreuzberg brannte. In der Folge durfte Türkiyemspor nicht mehr im heimischen Kreuzberger Katzbachstadion spielen und musste sich mit dem BFC Dynamo den Ostberliner Jahnsportpark teilen. Aus der schöne Traum vieler Emigranten vom türkischen Fußballverein in der Bundesliga. Der Anfang vom Ende. Seither gingen die Zuschauerzahlen massiv in den Keller. Welcher Kreuzberger Türke spürte Anfang der 90er große Lust auf Ostberlin? Auch wir Kreuzberger Revoluzzer blieben lieber beleidigt in unserem Kiez, hatten die Ossis doch unsern liebreizenden Westberliner Biotop 1989 zerdeppert.

Seit 1991 sank der Stern von Türkiyemspor. Trotz großen sozialen Engagements und damit verbunden Preisen und Auszeichnungen besuchte kaum ein Berliner die Spiele. 1995 stieg der Verein erstmalig in der Vereinsgeschichte ab. Seither war die Regionalliga die höchste Klasse für den Klub. Obwohl er sich länger behauptete als seine ungleichen türkischen Berliner Brüdervereine Türkspor, Yesilyurt und Ankaraspor, die meist nur einen Sommer in die Panflöte bliesen. Türkiyemspor war nach 1991 ein durchschnittlicher Klub, der keine bestimmte Anbindung an eine Klientel hatte. Selten verloren sich mehr als 100 Heimzuschauer im Stadion.

In der aktuellen Saison wollte man mal wieder in der Oberliga-Nordost angreifen. Der Versuch misslang kläglich. Angetreten mit dem Trikotsponsor "betfair" zog Türkiyemspor die erste Niete. Da bis heute keine Werbung für Wettanbieter  in Deutschland erlaubt ist, war der tolle Sponsor sehr schnell wieder verduftet. Genauso wie Neutrainer Marco Gebhardt und alle Kicker, die einigermaßen Geradeaus laufen konnten. Hinfort prangte der Schriftzug "Be Fair" auf den Trikots. Der Schulterschluss mit hilfsbedürftigen Wettanbietern als finaler Fauxpas. Armes, einstmals stolzes Türkiyemspor. Deine Gründerväter werden sich das Haar raufen.  

Die erste Mannschaft bot im verwichenen Herbst Jugendspieler auf und übergab sich der Agonie. Am Jahresende 2011 wurde die Männermannschaft aus dem Spielbetrieb der Oberliga Nordost zurückgezogen. Der ehemalige Multi-Kulti-Verein meldet Insolvenz an.

Zur Startseite