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In eineinhalb Jahren neunmal umgezogen. Julia Stepanowa fühlt sich nicht mehr sicher, seitdem sie Einzelheiten des russischen Dopingsystems preisgegeben hat.

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Update

Anti-Doping-Preis für Whistleblowerin Stepanowa: Kronzeugin für die Unglaubwürdigkeit des Sports

Die Preisverleihung für die russische Leichtathletin Julia Stepanowa ist auch eine Bloßstellung für das internationale Sportsystem. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Friedhard Teuffel

Ihre Geschichte ist so wichtig, dass sie sie im Sommer auf einer Weltbühne hätte erzählen müssen. Es ist die Geschichte von einem Staat, der seine Athleten systematisch dopt, um möglichst viele Medaillen abzuräumen. Stattdessen hat Julia Stepanowa sie am Dienstag noch einmal über eine wacklige Internetverbindung erzählt, übertragen auf eine Videoleinwand von den USA nach Berlin.
Julia Stepanowa ist am Dienstag vom Verein Dopingopfer-Hilfe mit der Heidi-Krieger-Medaille ausgezeichnet worden, dem wohl wichtigsten Anti-Doping-Preis, der in Deutschland vergeben wird. „Als zentrale Kronzeugin des russischen Staatsdoping-Systems“, wie die Vereinsvorsitzende Ines Geipel sagt. Weil sie ihr in den USA laufendes Asylverfahren nicht gefährden wollte und immer wieder Drohungen ausgesetzt war, ist Stepanowa mit ihrer Familie doch nicht wie vorgesehen zur Preisverleihung gekommen. Auch das sagt einiges über ihre Geschichte. In den vergangenen eineinhalb Jahren sei Stepanowa neunmal mit ihrer Familie umgezogen, sagt Geipel. Das widerlegt auch, dass sich hier eine Athletin einfach nur wichtig machen wollte, indem sie etwas über Doping erzählt. Sie zahlt für die Wahrheit einen hohen Preis.
Von der Kronzeugin des russischen Staatsdopings ist Stepanowa zudem zur Kronzeugin der Unglaubwürdigkeit des Internationalen Komitees (IOC) geworden. Sie durfte in Rio de Janeiro keine 800 Meter im Stadion laufen, das verwehrte ihr das IOC. Die russische Mannschaft wurde dagegen nicht in Gänze ausgeschlossen. Ihre Geschichte erreicht bei Veranstaltungen wie dieser Preisverleihung immer nur eine interessierte Teilöffentlichkeit anstatt die Weltöffentlichkeit, wie es in Rio möglich gewesen wäre. Das russische Sportsystem hat die Zuschauer um ehrliche Gewinner betrogen, das IOC versucht das Publikum um die Wahrheit über das Ausmaß der Manipulation im Sport zu betrügen.
Stepanowa wird dem IOC weiter dessen Unzulänglichkeit vorhalten. Laudator Hans Wilhelm Gäb, der seinen olympischen Orden im Sommer aus Protest zurückgegeben hatte, sagte: „Der Sport hat keine moralische Instanz mehr.“ Alle nachträglichen Versuche des IOC, Stepanowa doch noch einzubinden, sind nun halbherzig. Die Bühne Rio ist abgeräumt. Mit welchem Kleber will das IOC seine zerbrochene Integrität eigentlich kitten?

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