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Ohne Worte. Weil die "Cyclists" ihre Hände frei hatten, übernahmen sie zusätzliche Funktionen an Bord des neuseeländischen Gewinnerbootes.

© REUTERS

America’s Cup: Neuseeland besiegt die USA: Einer für alle

Neuseeland ist eine Seglernation. Der Gewinn des America’s Cup kommt dem Land deshalb wie eine Genugtuung vor.

Es war vielleicht nur Zufall, dass die erste Jacht, die 1851 den von der englischen Queen gestifteten Hundert-Guineen-Cup gewann, America hieß. Sie nahm ihn jedenfalls mit dorthin. Und mehr als ein Jahrhundert lang versuchten die Briten vergeblich, ihn wieder zurückzuerobern. Er wurde zum America’s Cup, denn Amerika gab ihn nicht wieder her.

In den USA gibt es heute 540 Milliardäre. Allein die zehn reichsten verfügen zusammen über eine halbe Billion Dollar. Das ist das Dreifache des neuseeländischen Bruttosozialprodukts. In dem Inselstaat gibt es zwei Milliardäre. Der eine hat 9,5, der andere 1,5 Milliarden Dollar, was lächerlich wenig ist gemessen an dem Vermögen von Oracle-Gründer Larry Ellison, dessen Börsenwert derzeit 61,7 Milliarden Dollar betragen soll. Doch wenn es auf Segler kommt, drehen sich die Zahlen plötzlich um.

An Bord des amerikanischen Cupverteidigers segelt im finalen Rennen kein einziger US-Boy, während auf dem Boot der Neuseeländer vier der sechs ständigen Crewmitglieder aus Neuseeland stammen und weitere Landsleute sich auf konkurrierende Teams verteilen. Nur Australier sind ebenso häufig an den Schlüsselpositionen dieses Cup-Jahrgangs anzutreffen, praktisch die gesamte Crew um Oracle-Skipper Jimmy Spithill hat wie er selbst australische Wurzeln. Einer der wichtigsten Männer an Bord der Neuseeländer ist Katamaran-As Glenn Ashby, ebenfalls ein Australier. Amerika hat längst jedes Anrecht verloren, sich als Heimat des Cup zu betrachten.

Mit dieser Überzeugung haben die Neuseeländer den Kampf um die älteste Sporttrophäe der Welt aufgenommen. Sie besiegten die USA mit 7:1. Seit sie 1987 in diesen Segelwettbewerb einstiegen, sind sie kontinuierlich dabei geblieben, sie gewannen den Cup erstmals 1995, und von da an waren sie auf die Endrunde abonniert. Als sie die Silberkanne 2003 an das Schweizer Alinghi-Team abtreten mussten, hatten sich die Neuseeländer quasi selbst geschlagen. Mit Russell Coutts war ihr wichtigster Protagonist zur anderen Seite, dem Rennstall eines Pharma-Milliardärs, übergelaufen.

Menschen sind wichtiger als Dollar-Millionen, machen die Neuseeländer gerne glauben und ziehen ihren Stolz daraus. Sie blieben trotz vieler Rückschläge der Sache selbst treu. Kein anderes America's-Cup-Team kann das von sich behaupten. Denn es ist in diesem verschwenderischen Wettkampf normal, dass ein geschlagenes Team zerfällt und von der Bühne verschwindet. Das erging den Australiern so, die nach zwanzig vergeblichen Jahren 1983 triumphierten, den Cup gleich darauf wieder verloren und nach einem weiteren unglücklichen Versuch, keine Rolle mehr spielten. Das erging Alinghi so, das sich nach dem Cup-Verlust zerstreute.

Burling konzentriert sich nur auf Wind und Kurs

Tatsächlich ist es im Falle Neuseelands die Leistung von sehr wenigen, die das in San Francisco vor vier Jahren so traumatisch untergegangene Team neu organisiert haben.

Damals zerrann ihnen ein 8:1-Vorsprung, die USA gewannen 9:8. „Darüber kommt man nie hinweg“, hat Teamchef Grant Dalton gesagt, „und man sollte es auch nicht.“ Die Situation war nach der Niederlage so desolat, die Auflösung des Teams praktisch beschlossene Sache, dass nur Daltons verzweifelte Anstrengungen einer Nacht im Oktober 2015 ein paar anonyme Unterstützer auf den Plan riefen, mit deren Geld das Ende abgewendet werden konnte. Daraus folgte: Alles, was sie tun würden, würde kompromisslos sein.

Nicht nur, dass man die seglerischen Belange einem 27-jährigen Youngster anvertraute, der gerade in Rio eine olympische Goldmedaille gewonnen hatte. Hinter den Kulissen gab sich der weltbeste Taktiker Ray Davies mit Traineraufgaben zufrieden, und schon früh wurde von einem kleinen Kreis auf riskante technische Innovationen gesetzt. Dazu zählten vor allem die „Fahrradfahrer“ an Bord. Indem sie in aerodynamisch günstiger Position gleichbleibend viel Energie in das hydraulische System pumpen, erlauben sie dem Steuermann einen höheren Kurs am Wind, schnellere Manöver und überhaupt mehr Entscheidungsfreiheit. Zudem haben diese Kraft-Segler im Gegensatz zu herkömmlichen Grindern ihre Hände frei. Das erlaubt Burlings Vorschoter Blair Tuke etwa, von seinem Sattel aus die Flügelschwerter zu bedienen, eine Aufgabe, die auf allen anderen Booten vom Steuermann miterledigt werden muss. Der Vorteil ist offensichtlich: Burling muss die Übersicht über Kurs und Wind niemandem anderes anvertrauen. Während seine Vorderleute den Katamaran in der Luft halten, hat er den Kopf frei.

Immer nur hinterher. Oracle USA hatte keine Chance. Vor allem im letzten Drittel des finalen Rennens spielte Neuseeland (vorne) seine Überlegenheit aus.
Immer nur hinterher. Oracle USA hatte keine Chance. Vor allem im letzten Drittel des finalen Rennens spielte Neuseeland (vorne) seine Überlegenheit aus.

© AFP

Als sei es einfach nicht nötig, irgendetwas zu besprechen, weil jeder seine eigene Aufgabe zu erledigen hat, kurven Burling und seine Crew weitgehend wortlos über den Parcours. Glenn Ashby justiert das turmhohe Flügelsegel wie mit einer Spielkonsole, eine Schot hat er nicht in der Hand. Einer Verständigung mit Burling bedarf es kaum. Nur einmal im letzten Rennen, da Burling es aufgibt, das zurückliegende US-Boot im Windschatten zu halten, sagt er: "Wir sind schneller und wir kriegen mehr Druck." Was die einzige Erklärung dafür ist, dass er jede Absicherung nach Hinten aufgibt und seinen eigenen Weg fährt. Er gibt knappe Kommandos, worauf sich die Crew nach einem eingespielten Muster von ihren Apparaturen löst, zum anderen Rumpf eilt und in stoischer Fixierung aufs Nötigste weitermacht. Kein Ächzen, kein Stöhnen, nicht der erschöpfte Blick zum Kontrahenten. Das Zusammenspiel funktionierte so reibungslos, dass Spithill der Überlegenheit der Kiwis schließlich großen Respekt zollt. "Sie haben das Rennen auf eine neue Stufe gehoben."

Verkehrsstau in der Morgendämmerung

Der Verteidiger hat diese Klasse nicht entwickelt. Es hat sich nicht ausgezahlt, für den Austragungsort im paradiesischen Milliardärsdomizil Bermuda auf den Heimvorteil einer amerikanischen Kulisse zu verzichten. Auch wären Oracle wohl besser mit der üblichen Zwei-Boot-Strategie gefahren, bei der Schwächen in internen Trainingsregatten frühzeitig hätten behoben werden können. Aber um die Kosten zu drücken, hatten sich die Teilnehmer vorab darauf verständigt, dass jeder nur mit einem Katamaran an den Start geht, auch Titelverteidiger USA. In den Ausscheidungsregatten wurde Burling so stark, dass das US-Team in seiner Not sehr viel Instabilität im Boot riskierte, was Spithill sichtlich überforderte. Ihm lief die Zeit davon.

"In San Francisco waren wir es", sagt Grant Dalton nach dem Triumph, "die designerisch ausgebootet wurden. Wir wussten, dass wir diesmal in diesen Bereich investieren mussten."

Dreieinigkeit. Syndikatsboss Grant Dalton, 59 (links), hat das neuseeländische Team neu aufgebaut. Er setzte auf Steuermann Peter Burling, 26 (Mitte), und Skipper Glenn Ashby, 39. Das Fahrrad-Konzept (Bild oben) legte die Grundlage zum Erfolg.
Dreieinigkeit. Syndikatsboss Grant Dalton, 59 (links), hat das neuseeländische Team neu aufgebaut. Er setzte auf Steuermann Peter Burling, 26 (Mitte), und Skipper Glenn Ashby, 39. Das Fahrrad-Konzept (Bild oben) legte die Grundlage zum Erfolg.

© AFP

Beim America’s Cup geht es um mehr als die Macht einer langen Tradition. Denn man erwirbt sich ja das Recht, mit ihr zu brechen. Die Neuseeländer haben als einzige Cup-Teilnehmer nicht jenes Zukunftspapier unterschrieben, dass ein Fortleben des derzeitigen Formats garantieren soll. Der Cup "werde niemals billig sein", sagt Dalton. Er müsse seinen Wert erhalten. Und der Boss lässt durchblicken, dass ihm eine starke Nationalitäten-Regel wichtig ist. Danach muss ein bestimmter Prozentsatz an Seglern aus dem Land der Kampagne stammen.

Spithill meint dazu, dass er lieber gegen „die Besten“ segeln wolle, statt nur gegen die Besten eines Landes. Amerika wäre jedenfalls raus. Und was es bedeutet, mit 26 in einem Sport „der Beste“ zu sein, in dem auch alte Männer noch über große Meisterschaft verfügen, das dürfte Nationalheld Peter Burling gerade erst begreifen. In Auckland gab es morgens um vier Uhr Verkehrsstaus, weil die Leute die Übertragung per Livestream im Büro nicht verpassen wollten.

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