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Hier kommt keiner weiter. Fahrer vom Team „Fagor“ inspizieren die Berliner Mauer – nach zwei Tagen auf der Insel ging es für die Profis per Flugzeug nach Frankreich.

© AFP

30 Jahre Tour de France in Berlin: Rundfahrt auf der Insel

Vor 30 Jahren war die Tour de France im Westen der geteilten Stadt zu Gast. Wir erinnern uns an zwei außergewöhnliche Tage auf den Straßen – mit zwei Augenzeugenberichten und einem Artikel von 1987.

Mit sportlichen Großereignissen war das westliche Berlin im Sommer 1987 nicht eben gesegnet. Blau-Weiß 90 war aus der Bundesliga abgestiegen, der Deutsche Fußball-Bund hatte entschieden, dass die Europameisterschaft in Deutschland nicht in Berlin stattfinden sollte. Die im Westen groß begangene 750-Jahr-Feier der Stadt hatte dann aber doch dank der französischen Schutzmacht (so sagte man im Westsprech damals) einen sportlichen Höhepunkt ins Programm hieven können. Die Tour de France sollte zwei Tage durch Inselberlin rauschen. Und danach natürlich nach Frankreich weiterfliegen, denn über den Transit durch die DDR hätte der Tour-Tross ja nicht rollen können.

Die erste (Teil-)Etappe der Tour fuhr auch durch den Wedding, bis ans Ende der westlichen Welt also, denn der Bezirk endete ja an der Mauer. Insofern war das, was sich an einem Donnerstagmorgen am Leopoldplatz abspielte, abenteuerlich. Hunderte Menschen warteten am 2. Juli am Straßenrand auf ein paar Sekunden große Radsportwelt. Nachdem die schon damals sehr lange Werbekarawane endlich vorbeigefahren war, huschte der Tross der Profis vorbei, bog von der Luxemburger Straße links Richtung Norden in die Müllerstraße ein. „Da ist der Didi“, brüllte ein Zuschauer noch. Und dann war der Didi Thurau auch schon vorbeigerauscht.

Im Ziel am Schöneberger Rathaus gewann der Niederländer Nico Verhoeven die erste Etappe der Tour de France, auf einem Podest stehend moderierte Jörg Wontorra den Zieleinlauf und das Tamtam danach. „Kommen sie gut nach Hause.“ Es wirkte ein wenig improvisiert. Verhoven gewann übrigens weit vor dem in die Jahre kommenden deutschen Radsport-Idol Thurau. Der Hesse sollte 1987 schließlich nach zehn Etappen aufgeben.

Der Prolog, die erste Etappe – mit Bergwertung im Grunewald – und ein Mannschaftszeitfahren, das nach der ersten Teiletappe noch am Nachmittag stattfand (siehe dritter Text): Drei Millionen Mark kostete Berlin der Besuch der Frankreich-Rundfahrt. (Claus Vetter)

Die Dias von der Tour de France 1987 in Berlin – verschwunden?

Die Dias mussten da sein. Dutzende Magazine mit Berlin-Bildern durchgesehen, nichts. Die Dias von der Tour de France 1987 in Berlin – verschwunden? Sie fanden sich dann letztlich lose in einem Schuhkarton, vor Jahren offenbar als uninteressant rausgeräumt, als Platz in den damals teuren Magazinen gebraucht wurde.

Fast einen ganzen Dia-Film habe ich damals am 2. Juli 1987 verschossen (zwei Bilder davon siehe oben) – und zwar beim Mannschaftszeitfahren. Das war damals am Nachmittag die zweite Etappe des Tages, die erste Etappe am Vormittag war ein normales Rennen über 105 Kilometer, im eingemauerten Berlin raus nach Kladow. Wieso ich das Zeitfahren fotografiert habe? Ich weiß es nicht mehr.

Mannschaftsfahren. Am 2. Juli 1987 auf der Bismarkstraße.
Mannschaftsfahren. Am 2. Juli 1987 auf der Bismarkstraße.

© Jörn Hasselmann

Der Start dazu war am Schloss Charlottenburg, ich stand zum Fotografieren an verschiedenen Punkten an der Bismarckstraße. Schnittig legten sich die Teams beim Einbiegen auf die Ost-West-Achse in die Kurve. Auffallend: Die Fahrer ohne Helm, die Hinterräder meist als Scheibenräder, dünne Stahlrahmen. Eben 30 Jahre her. (Jörn Hasselmann)

Mal ein kleines „Mittelchen"

Rund 100 000 Berliner an den Straßen und im Zielraum am Rathaus gaben gestern noch einmal Zeugnis davon ab, dass man die in diesem Jahr zum achten Male nach dem Krieg außerhalb von Frankreich gestartete schwerste Radsport-Etappenfahrt der Welt keinesfalls als einen Fremdkörper in dieser Stadt ansah.

Wer gestern vormittag gedacht hatte, die 207 Radprofis würden auf dem Weg durch die Bezirke nur ihre Werbetrikots spazieren fahren und dabei die blitzenden Rennmaschinen präsentieren, sah sich getäuscht. Der von den Offiziellen für drei Durchschnittsgeschwindigkeiten aufgestellte Zeitfahrplan (40,42 und 44 km/h) wurde sogar für die höchste Kategorie unterboten. Die von vielen Fahrern belächelten zwei Bergwertungen der vierten Kategorie sahen die Franzosen Guy Gallopin und Gilbert Duclos-Lassalle in Front, die nicht zu den Kletterspezialisten gehören. Duclos-Lassalle, dessen Metier die Klassiker in Nordfrankreich oder Belgien auf flachem Terrain sind, sicherte sich damit in Berlin als Erster das weiße Trikot mit den roten Punkten als bester Bergfahrer. Von Beginn an wurde auf der Etappe Tempo gemacht. Schon nach 30 km bildete sich eine erste, sieben Fahrer umfassende Spitzengruppe, in der sich keiner der großen Fahrer, auch nicht Spitzenreiter Nijdam oder einer der vier Deutschen befand. Der Italiener Giovanni Bottoia unternahm dann rund 30 km vor dem Ziel in der Nähe des Botanischen Gartens einen Solo-Ausreißversuch, der aber zu früh angesetzt war. Kurz nach dem ersten Überqueren der Ziellinie am Schöneberger Rathaus – auf dem Rundkurs waren noch einmal acht Kilometer zu fahren – wurde der Italiener aus Varese von sieben Verfolgern gestellt.

Auch die Chancen der Deutschen sind nach dem Berliner Auftakt noch nicht einzuschätzen. Gestern kamen Thurau, Gölz, Dietzen und Hilse im Hauptfeld ins Ziel, beim Mannschaftsfahren war das Team von Thurau („Roland Skala“) auf Rang acht am besten platziert. „Superconfex“ mit Gölz und Nijdam wurde nach Reifenschaden nur Zehnter. Am Ziel der ersten Etappe verteilte Gölz noch Komplimente an das „tolle Berliner Publikum, eine derartige Begeisterung kannte ich bisher nur aus Italien und Spanien“, später aber trübte sich die Miene des Tour-Debütanten erheblich. Nach Angaben von französischen Offiziellen soll gegen Gölz wegen Dopings ermittelt werden.

Der „Superconfex"-Mannschaftsleiter Jan Raas trat den Vorwürfen gestern energisch entgegen: „Weder der Französische Verband als Ausrichter, noch der Niederländische oder Deutsche Verband als Mitbetroffene haben diesbezüglich eine Meldung gemacht. Das sind Gerüchte, die die bisher so starken Leistungen unserer Mannschaft beeinflussen sollen." Es bleibt zu hoffen, dass Klärung in diesem Fall erfolgt. Wird Gölz tatsächlich des Dopings überführt, hätte er dennoch nicht mit einem Tour-Ausschluss oder „Strafminuten" zu rechnen, denn er gälte wie Fignon (positive Proben beim Grand Prix von Wallonien) als „Ersttäter". Der Franzose erhielt vor dem Tour-Start eine Strafe von 1000 Schweizer Franken und eine einmonatige Sperre auf Bewährung. Das war vor Jahren noch anders – aber der Internationale Radsport-Verband hat sich wohl längst stillschweigend damit abgefunden, dass im Profi-Radsport mit extremer Dauerleistung manches Mal ein kleines „Mittelchen" einem müden oder erkrankten Fahrer wieder auf die Beine hilft (oder helfen soll). (Thomas Zellmer)

(Auszüge aus einem Text, erschienen am 3. Juli 1987 im Tagesspiegel)

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