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Aung San Suu Kyi im Jahr 2012 im Osloer Nobel-Friedenszentrum.

© AFP/Cathal McNaughton

Rohingya in Myanmar: Das Schweigen der Aung San Suu Kyi

Vertreiben, morden, brandschatzen – Myanmar führt Krieg gegen die Rohingya. Die Friedensnobelpreisträgerin sagt nichts dazu.

Kaum jemand beachtet die schmale Frau, als sie – vor den meisten anderen – die überfüllte Straße vor der Parteizentrale der Nationalen Liga für Demokratie verlässt. Natürlich ist auch Su Su an diesem hoffnungsfrohen, verheißungsvollen Sonntag im Herbst 2010 gekommen, um sie zu sehen: Aung San Suu Kyi, die Heldin des Volkes, globale Ikone für den gewaltfreien Kampf für Demokratie und Freiheit, Birmas Friedensnobelpreisträgerin. Am Vorabend hat die Junta sie freigegeben. Wie wird die Lady sich präsentieren nach all den Jahren unter Arrest?

Su Su – die in Wirklichkeit anders heißt – schwitzt wie die vielen tausend anderen um sie herum in der Mittagshitze von Rangun. Sie kann sich nicht bewegen, ohne dass auch der Mönch neben ihr, die Mutter hinter und der Alte vor ihr ins Schwanken geraten, so gedrängt stehen sie hier. Viele sind mit weichen Knien gekommen: Sind die Straßen drumrum nur deshalb abgesperrt, damit das Militär hier alle zusammen verhaften kann?

Und dann steht sie endlich da, im Schatten eines Baums. Anmutig in Bluse und traditionellem Wickelrock und mit frischen Blüten im Haar wendet sich Aung San Suu Kyi ans Volk. „Sagt mir, was ihr wollt“, ruft sie ihren Anhängern zu.

Sie wendet sich ab und geht

Das vorherrschende Gefühl in der Menge ist: Jetzt wird alles gut. Doch Su Su ist skeptisch. Sie arbeitet seit Jahren mit den Menschen im Land, weiß, wie viele Konflikte es in dem Vielvölkerstaat mit seinen 135 Ethnien gibt. Sie glaubt Suu Kyi nicht, wendet sich ab und geht. „Sie ist Birmanin“, sagt Su Su, und meint damit, dass die Lady sich für die Mehrheitsethnie einsetzen wird – ihre eigene – und nicht für die 40 Prozent der Bevölkerung, die den Minderheiten angehören. Schon gar nicht für Staatenlose.

Wie passt der Jubel von damals dazu, dass sich heute vor den Augen einer Friedensnobelpreisträgerin Ungeheuerliches abspielt, sie selbst dazu aber bestenfalls schweigt? Zu den Bildern von Menschen, die mit ihrem Hab und Gut in Tüchern auf dem Kopf durch Matsch und Monsun aus Birma nach Bangladesch fliehen? Zu ihren Berichten von Brandschatzungen, massenhaftem Morden und Vertreibung?

Die Fernsehzuschauer in Deutschland erleben in diesen Tagen am Bildschirm einen kleinen Ausschnitt des Schicksals der Rohingya, einer der weltweit am stärksten verfolgten Minderheiten, die seit Generationen in Birma zu Hause sind, dort aber keine Rechte haben. Jetzt kommt der entsetzte Vater ins Wohnzimmer, der aus dem Rakhine-Staat - eine der Verwaltungseinheiten Birmas im Nordwesten des Landes - geflohen ist und in Bangladesch Hilfe sucht. Er berichtet, wie Armee und aufgestachelte Buddhisten Häuser niedergebrannt, Bomben auf ihre Familien geworfen haben. Die Geflüchteten sagen Fernsehteams, dass Frauen vergewaltigt und Menschen enthauptet und verbrannt werden.

250 000 Rohingya bekommen keine Lebensmittel mehr

Inzwischen sind nach Zählung der Vereinten Nationen mehr als 270000 muslimische Rohingya oft barfuß und in Lumpen geflohen. An der 270 Kilometer langen Grenze stehen Bangladeschs Soldaten, blicken betreten auf die Hilfesuchenden - und lassen sie offenbar ins Land, obwohl ihre Regierung zu den bereits 400000 aufgenommenen Flüchtlingen keine weiteren Rohingya mehr beherbergen will.

Gewalt und Vertreibung? Nein, ein „gewaltiger Eisberg von Falschinformationen“, sagt Aung San Suu Kyi.
Gewalt und Vertreibung? Nein, ein „gewaltiger Eisberg von Falschinformationen“, sagt Aung San Suu Kyi.

© AP/dpa

An der Grenze schluchzt eine Frau in die Kameras: „Bitte schickt uns nicht zurück, wenn ihr uns zurückschickt, werden wir alle getötet.“ Dutzende Frauen und Kinder sollen bereits im Grenzfluss Naf ertrunken sein. Es gibt Berichte über Minen, die gerade auf der birmesischen Seite der Grenze ausgelegt worden seien. Angesichts der Unsicherheit auch für Helfer hat das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen seine Unterstützung ausgesetzt, 250 000 Rohingya bekommen nun keine Lebensmittel mehr. Doch was genau in Rakhine passiert, ist kaum nachzuprüfen, die Region ist abgeriegelt.

Warum hilft die Lady diesen Menschen nicht? Warum leugnet sie jetzt die Gewalt gegen die Rohingya und spricht nur von einem „gewaltigen Eisberg von Falschinformationen“?

Mönche schüren Hass

Sie, die buddhistische Birmanin, weigert sich beharrlich, sich für die muslimischen Rohingya einzusetzen. Sie sind nicht einmal als eine Minderheit anerkannt, sie dürfen nicht wählen. Die Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert sie nicht. Seit Jahren schüren extreme buddhistische Mönche Hass gegen muslimische Minderheiten im Land. Sie haben Einfluss. Und auf die Stimmen der Mehrheit wird Aung San Suu Kyi bei den nächsten Wahlen 2020 angewiesen sein.

Sie hat ihren Traum noch nicht aufgegeben, doch noch Präsidentin zu werden. Das verwehrt ihr eine Klausel, die die Generäle extra in die Verfassung geschrieben haben, um sie in keinem Fall zu mächtig werden zu lassen: Wer ausländische Angehörige hat, darf für das höchste Staatsamt nicht kandidieren. Suu Kyis Söhne sind Briten. Vor den Wahlen 2015 hatte sie vergeblich gehofft, dass das Militär einer Änderung zustimmt. Die nächste - und womöglich letzte - Chance sind für die inzwischen 72-Jährige die Wahlen im Jahr 2020. Diesem Ziel scheint die Lady alles unterzuordnen. Sie folgt offenbar einer einzigen Richtschnur: Suu Kyi first.

Experten warnten vor den ungelösten Konflikten

Seit massiven Pogromen buddhistischer Mönche 2012 leben hunderttausende Rohingya vertrieben in Lagern. Auch die Armee wurde dorthin geschickt. Die Rohingya wurden immer wieder massiv verfolgt - sodass vor einigen Monaten ein Dutzend anderer Nobelpreisträger Aung San Suu Kyi vorwarfen, sie toleriere eine ethnische Säuberung.

In einem BBC-Interview reagierte sie im Frühjahr ungehalten. „Ich denke nicht, dass es dort ethnische Säuberungen gibt“, das sei ein viel zu harter Begriff für das, was dort passiere. Sie wirkte genervt. „Diese Frage wird mir seit der letzten Runde von Unruhen in Rakhine 2013 gestellt. Sie stellen mir Fragen und ich antworte, und die Leute sagen, ich habe nichts gesagt. Einfach, weil ich nicht das sage, was sie denken, dass ich sagen sollte, was heißt, eine Gruppe zu verdammen oder die andere.“

Schon mit der Öffnung 2010 hatten Experten vor dem Sprengstoff gewarnt, den die vielen ungelösten Konflikte für das Land bedeuten. Im Rakhine-Staat hat sich die Lage inzwischen so weit zugespitzt, dass dort gewalttätige Rebellen Einzug gehalten haben, die Zivilisten geraten zwischen die Fronten.

Eine Terrorgruppe griff Polizisten an

Bevor diesmal die Armee zum Gegenschlag ausholte, soll zunächst die sogenannte „Arakan Rohingya Salvation Army“ - kurz: Arsa - am 25. August an bis zu 30 Orten gleichzeitig Polizisten angegriffen haben. Die Arsa gilt als brutale Rebellentruppe, möglicherweise fühlte sie sich zu ihren Angriff durch eine UN-Untersuchungskommission unter Leitung des früheren Generalsekretärs Kofi Annan legitimiert, die kurz zuvor dringend anmahnte, den Rohingya endlich Rechte zu geben.

Inzwischen übt die Arsa nach Berichten von Menschenrechtsorganisationen Druck auf Rohingya aus, sich ihr anzuschließen. Ob sie rein national organisiert ist oder Verbindungen zum Islamischen Staat hat, ist umstritten.

Die UN verurteilten die Angriffe der Arsa, vor allem beunruhigt sie aber das Vorgehen der birmanischen Armee und buddhistischer Mobs gegen Zivilisten seit Ende August.

Im Herbst 2010, als Aung San Suu Kyi den Menschen vor der Ranguner Parteizentrale erschien, war eine knappe Woche vergangen nach den gefälschten ersten Wahlen in der „disziplinierten Demokratie“, die die Militärjunta nun erlauben wollte.

Die Generäle haben weiter das Sagen

Aung San Suu Kyi hatte zum Boykott dieser Wahl aufgerufen. Nicht zuletzt, weil sie selbst nicht antreten durfte und die Generäle in der Verfassung festgeschrieben hatten, dass 25 Prozent der Sitze fürs Militär reserviert bleiben, ebenso drei Schlüsselministerien. Fünf Jahre später erreichte Aung San Suu Kyi mit ihrer NLD einen überragenden Sieg bei den Parlamentswahlen. Durch einen Kniff sicherte sie sich die Position einer Staatsrätin - und ist damit inzwischen praktisch die zivile Regierungschefin.

Aber sie kann keineswegs frei entscheiden, denn im Hintergrund haben die Generäle weiter das Sagen. Sie entscheiden, was Suu Kyi durchsetzen kann und was nicht, sie ist aber auch Garantin für gute Geschäfte der Militärs. Nun will sie die ganze Macht in ziviler, in ihrer Hand. Was sie, sollte es einmal dazu kommen, damit anfangen wird - man kann darüber nur spekulieren.

Neben den Rohingya warten noch andere Minderheiten darauf, dass ihnen die Regierung Rechte zugesteht. Su Su, die Skeptikerin, kennt viele dieser Menschen, die darauf hoffen, dass auch ihre Sprachen und Kulturen akzeptiert werden. Ob im Rakhine- oder Kachin-Staat an der Grenze zu China oder in all den anderen Regionen.

Sigmar Gabriel pries sie als „Vorbild und große Inspiration“

Der Konflikt zwischen der buddhistisch geprägten Mehrheit der Birmanen und den muslimischen Rohingya ist bereits älter als der heutige Staat Birma. Die meisten von ihnen sind staatenlos, obwohl viele seit Generationen in der Region an der Grenze zu Bangladesch leben. Für viele birmanische Buddhisten sind sie seit jeher Eindringlinge.

Khin Zaw Win, ein schmaler Mann mit leiser Stimme, der selbst von 1994 bis 2005 im Gefängnis saß, mahnte früh: „Es geht nicht nur um Militär und Opposition, sondern um ein komplexes und vielseitiges Spiel mit einer ganzen Reihe von Spielern, alten und neuen.“ Der Gründer des zivilgesellschaftlich aktiven Tampadipa Institute machte sich für eine föderale Struktur stark. Die Opposition hätte ihn 2010 gern aufgestellt, aber in die Politik wollte der Analyst nicht.

In der öffentlichen Wahrnehmung Birmas außerhalb des Landes ging es dagegen lange Zeit vor allem um den Mut der Widerstandskämpferin Suu Kyi. 2014 kam sie auch nach Deutschland, nahm den Willy-Brandt-Preis entgegen. Ihre Brandrede im Kammerton, nicht zu vergessen, dass das Land noch weit von der Demokratie entfernt sei, fand jubelnde Zuhörer. Sigmar Gabriel pries sie als „Vorbild und große Inspiration“.

Wer der resoluten Dame nicht folgt, hat es schwer

Sie betonte in Berlin, wie wichtig nationale Versöhnung sei - aber sie erwähnte weder die Rohingya noch die Kachin. Auch in kleinen Runden blieb sie schon damals bei dem Thema unnahbar. „Da kommt man nicht an sie ran“, berichtete der Chef der Friedrich-Ebert-Stiftung, Kurt Beck, verwundert.

In Birma bekam Suu Kyis Ruf bald Kratzer. Wer der resoluten Dame nicht folgt, hat es nicht leicht. Diejenigen, die 2010 gegen ihren Willen mit einer eigenen Partei, der neu gegründeten NDF, an den Wahlen teilnahmen, für die sie selbst als Gefangene nicht kandidieren durfte, sind für sie Verräter. Auch wenn sie letzten Endes damit auch ihr den Weg in ein Parlament nicht nur aus Juntaanhängern ebneten, in das sie 2012 über Nachwahlen als Oppositionschefin einzog. Sie wollte und will den Weg allein bestimmen.

Als sie den ehemaligen Juntamann und späteren Präsidenten General Thein Sein, der für massive Repression verantwortlich war, schon bald einen „ehrlichen Mann“ nannte, wollten es viele kaum glauben. Die Kandidatenliste der NLD setzte Suu Kyi schließlich mit harter Hand durch. Wer nicht ihren Vorstellungen entsprach, durfte nicht antreten. Einige Weggefährten fanden das undemokratisch und verließen die Partei.

Kämpft sie für Demokratie - oder ihr eigenes Fortkommen?

Suu Kyi schuf für sich dann den Posten der Staatsrätin, auf dem Präsidentenstuhl landete einer ihrer Vertrauten. Ihr Credo: Es kann nur eine geben, die entscheidet. „Ich werde als Vorsitzende der Siegerpartei alle Entscheidungen treffen“, verkündete sie. Solche Sätze lassen zweifeln, ob die Ikone für Demokratie kämpft oder nicht doch vor allem ihr eigenes Fortkommen im Blick hat - und dafür Mittel einsetzt, die eher Diktatoren zugeschrieben werden.

Doch kann Aung San Suu Kyi überhaupt die Heldenrolle ausfüllen, die die Welt für sie vorgesehen hat? Würde sie sich in der Frage der Kachin oder der Rohingya für die Wahrung der Menschenrechte und das Gewähren von Bürgerrechten einsetzen, müsste sie sich gegen die Mehrheit im Lande stellen: die Birmanen. Würden viele dann nächstes Mal die Partei der Generäle wählen? Außerdem müsste sie sich mit dem mächtigen Oberbefehlshaber anlegen.

Su Su wäre froh, wenn es eine Annäherung geben würde, die die Minderheiten endlich einbindet. Doch da, so meint sie, ist das Land unter der Heldin der anderen noch keinen Schritt vorangekommen. Ihre Bilanz: „Die Realität zeigt, dass sich unser Land bisher nicht einmal in die Nähe einer friedlichen, demokratischen Nation entwickelt.“

Richard Licht

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