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Wer bleibt bei Merkel? Die Premiers von Spanien und Großbritannien, Rajoy und May, erstmal schon. Renzi (Italien) und Hollande stehen auf der Kippe (von oben links).

© John MacDougall/AFP

Zwischen Frankreich und Italien: Merkel muss Europa jetzt zusammenhalten

Frankreich, Italien und Österreich - Tage der Entscheidung in der EU. Nach Brexit und Trump-Wahl wäre Einigkeit über die politischen und wirtschaftlichen Ziele wichtiger denn je. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

In knapp einer Woche werden wir es vermutlich wissen: Hat das historische Projekt Europa, das größte Friedensversprechen seit dem Zweiten Weltkrieg, noch eine Chance, oder verschärft die Entwicklung in zwei weiteren Staaten der EU die Krise weiter?

Nach dem Brexit, nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten und dem zunehmend unberechenbarer werdenden EU-Partner Recep Tayyip Erdogan, drohen auch in Italien und Österreich die Fundamente brüchig zu werden. In Frankreich, immerhin, ist eine Entscheidung gefallen. Die Konservativen werden mit dem liberalen, an der Kooperation mit Berlin interessierten François Fillon in den Präsidentschafts-Wahlkampf ziehen, gegen die Anti-Europäerin Marine Le Pen, vielleicht auch gegen den irrlichternden Amtsinhaber François Hollande, der sich gegen Fillon Chancen ausrechnet.

Scheitert in Italien nächsten Sonntag die von Ministerpräsident Matteo Renzi auf den Weg gebrachte, dringend notwendige Verfassungsreform, tritt der Regierungschef zurück. Dann droht dem Land eine massive Wirtschaftskrise. Anders als Griechenland ist Italien für die Stabilität des Euro von hoher Relevanz. Hier wird ein Fünftel des europäischen Bruttosozialproduktes erarbeitet. Kein Rettungsschirm wäre groß genug, Italien jenen finanziellen Schutz zu geben, der die Folgen des vorhersehbaren Zusammenbruchs großer Banken abfedern könnte.

Die Krise, die von Österreich ausgehen könnte, ist weniger ökonomischer als politisch-substanzieller Art. Der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer will am 4. Dezember zum Staatsoberhaupt gewählt werden. Sein Parteichef, Heinz-Christian Strache, ist ein kaum verkappter Antisemit. Hofer spielte schon früher mit dem Gedanken, die Regierung zu entlassen und Neuwahlen anzusetzen – in der Erwartung, auf der Welle des von der FPÖ geschürten Nationalchauvinismus könnte die Partei dann eine Mehrheit erringen.

Konsens nur unter gemeinsamer Führung Frankreichs und Deutschlands

Nach Brexit und Trump-Wahl wäre Einigkeit in Europa über die politischen und wirtschaftlichen Ziele aber wichtiger denn je. Der Abschied Großbritanniens aus der gemeinsamen Zukunft bedeutet auch, dass ein solcher Konsens nur unter der gemeinsamen Führung Frankreichs und Deutschlands darstellbar ist.

Aber mit wem kann Angela Merkel in Paris noch reden? François Hollande demontiert die letzten Reste seines Ansehens seit Wochen selbst – und bis zur Präsidentschaftswahl in Frankreich dürfen die notwendigen zwischenstaatlichen Abstimmungsprozesse in der EU nicht warten. Hinzu kommt, dass es weder in Polen noch in Ungarn, Tschechien oder der Slowakei erkennbare Bereitschaft gibt, Verantwortung in der und für die Gemeinschaft zu übernehmen. Auch die Niederlande, traditionell europäisch ausgerichtet, drohen bei der nächsten Wahl in nationalistisches Fahrwasser abzudriften.

Die Bundeskanzlerin wird jetzt tun müssen, was ihr am wenigsten liegt. Sie muss die Entwicklung treiben, schnell auf eine gemeinsame Linie drängen. Wolfgang Ischinger, der erfahrenste der älteren deutschen Diplomaten, hat darauf hingewiesen, dass die EU nur noch wenige Tage hat, der neuen amerikanischen Administration ihre Vorstellungen vom transatlantischen Miteinander zu vermitteln. Am 20. Januar hält Donald Trump seine Antrittsrede. Danach wird sich an seinen global-politischen Positionen nur noch wenig ändern. Was Europa bis dahin nicht definiert hat, kommt zu spät.

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