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Guido Westerwelle war ein kraftvoller Optimist. Etwas liegen zu lassen, war nicht seine Art.

© Maurizio Gambarini/dpa

Zum Tod von Guido Westerwelle: Was bleibt - Weggefährten erinnern sich

Freundlich, hart arbeitend, fordernd. So beschreiben ihn politische Freunde und Gegner. Und im Persönlichen, wie war er da? Ganz anders. Erinnerungen an den Menschen Guido Westerwelle.

Duft der Zitronen - Renate Künast über die Liebe zur Gartenarbeit

Früher schien mir Guido Westerwelle stets mit Nachdruck auf dem Weg irgendwo hin, um etwas zu beweisen. Er wollte die FDP nach oben bringen, außenpolitisches Geschick beweisen … Einmal, am Rande des Plenums, nach einer kleinen, fast beiläufigen Bemerkung wie es denn so gehe, ging der Vorhang auf und Guido Westerwelle strahlte aus einer anderen, neuen Welt.

Gartenarbeit war das uns bewegende Thema. Schwielen und Schrammen an den Händen wurden vorgezeigt. Mit leuchtenden Augen und schwärmenden Worten erzählte er eindrucksvoll von der wohltuenden Wirkung des selbst vorgenommenen Obstbaumschnitts. Ich staunte.

Zum Haus, das er und sein Mann Michael Mronz sich auf Mallorca gekauft hatten, gehöre eine größere Fläche mit Zitronenbäumen. Selbstverständlich wäre es, dort selbst zur Tat zu schreiten. Und so habe er gerade in den Ferien einige Tage damit verbracht, die Bäume zu beschneiden, den Garten zu pflegen. Mit dem notwendigen Gartengeräten ausgerüstet, unter blauem Himmel, umgeben von den Blütendüften, sei ihm das wie eine Befreiung gewesen. Eine schöne, sinnvolle Aufgabe, die nach Wiederholung rufe. Leuchtende Augen und begeisterte Worte über Licht und Düfte. Das war ein Guido Westerwelle, der etwas Neues entdeckt hatte und es gemeinsam mit seinem Mann erlebte und genoss. Als wir im Plenarsaal auseinandergingen, blieb sein Strahlen. Und der intensive Duft des Zitronenhains. Renate Künast

Renate Künast, Grünen-Politikerin
Renate Künast, Grünen-Politikerin

© dpa

Mit Stil und Toleranz - Dietmar Bartsch über die erste Begegnung

Gleich unsere erste Begegnung hat unsere Beziehung geprägt und mir viel über den Menschen Guido Westerwelle verraten. Ende der 90er Jahre trafen wir uns das erste Mal in Bonn. Westerwelle war Generalsekretär der FDP, ich Bundesgeschäftsführer der PDS, wir waren also Kollegen. Nach der Landtagswahl in Hamburg gab es um 19.30 Uhr die traditionelle Bonner Runde. Es war meine Premiere in dieser Runde. Die PDS hatte das „glorreiche“ Ergebnis von 0,7 Prozent erzielt. Ich war unendlich aufgeregt und kam als erster Teilnehmer im Studio an.

Der SPD-Vertreter folgte, ignorierte mich völlig, kein „Guten Abend“, nichts. Danach ähnlich CSU und Grüne. Für einen Neuling wie mich nicht schön und nervositätssteigernd. Dann kam Guido Westerwelle – er grüßte freundlich mit einem „Guten Abend, Herr Kollege“, gab mir die Hand. Eine scheinbare Normalität und eben doch nicht, wenn ich die Kollegen der anderen Parteien betrachte. Und für mich als unsicherem Neuling einfach eine menschliche Geste. So war er. Hatte Stil, war tolerant, freundlich und beachtete bürgerliche Anstandsformen konsequent. Ein im besten Sinne des Wortes Liberaler. Wir hatten in all den Jahren viele kontroverse, teilweise harte Diskussionen, immer fair, manchmal humorvoll und stets auf gegenseitiger Achtung beruhend. Leider konnten wir uns zu unserem vereinbarten Beachvolleyballspiel FDP gegen Linke nicht mehr treffen. Ich werde ihn vermissen. Dietmar Bartsch

Linken-Vorsitzender Dietmar Bartsch
Linken-Vorsitzender Dietmar Bartsch

© dpa

Immer im Dienst - Wolfgang Bosbach über einen Abend beim Italiener

Den FDP-Politiker und Bundestagsabgeordneten Dr. Guido Westerwelle habe ich schon sehr früh kennengelernt. Vor fast genau 20 Jahren, nachdem er für den ausgeschiedenen Kollegen Heinz Lanfermann in den Bundestag nachgerückt war. Den Menschen, meinen Freund, Guido Westerwelle entdeckte ich allerdings erst sehr, sehr viel später, und an diesen Tag – genauer gesagt an diese lange Nacht – es dürfte vor knapp 10 Jahren gewesen sein, kann ich mich noch sehr gut erinnern.

Oft hatten wir uns im und abseits des Plenums getroffen und unterhalten. Beide Rheinländer, beide Juristen und dennoch ging es immer nur, na klar, um Politik. Worum auch sonst? Als Jahre später Parlament und Regierung vom Rhein an die Spree umgezogen waren, sind wir am Ende der Sitzungswoche oft gemeinsam in Richtung Köln/Bonn, also nach Hause, geflogen. Dann plauderten wir auch schon mal über Gott und die Welt, aber eigentlich war Guido immer irgendwie im Dienst. Bei einem dieser Flüge frug er mich, ob ich vielleicht abends Zeit und Lust für ein Treffen bei seinem „Lieblingsitaliener“ hätte. Gutes Essen, Michael (Mronz) käme auch und dazu noch andere, ebenfalls richtig nette Leute.

Wenige Stunden später traf sich dann diese bunte Truppe nur einen Steinwurf vom Müngersdorfer Stadion entfernt bei Pizza und Pasta und – so weit erinnerlich – wurde nicht nur acqua minerale getrunken. Mein erster Gedanke war „Nicht auch noch abends Politik!“ – aber die Befürchtung war komplett unnötig. Ich erlebte einen von der Politik befreiten, in bester Laune befindlichen Guido, der mit Begeisterung von Kunst und Künstlern, besonders zeitgenössischer deutscher Kunst schwärmte. Er brillierte als Reitsportexperte, er war wohl (wie meine Töchter auch) auf dem Rücken von Pferden groß geworden.

Bis dahin kannte ich Guido als scharfzüngigen Debattenredner, der, vor allem als Oppositionsführer, kraftvoll austeilen konnte. Der weder die politische Konkurrenz schonte noch sich selber. Der glühende Verehrer, aber auch harte Kritiker hatte. Oft habe ich an diesem Abend – und in der Zeit danach – gedacht: „Mensch, Guido, mach’ Dich doch mal locker! Du bist doch’n richtig netter Kerl, zeig das doch mal den Leuten!“ Gesagt habe ich ihm das leider nie. Wie er darauf reagiert hätte? Ich weiß es wirklich nicht. Das Amt des Außenministers hat ihn verändert, ganz gewiss nicht zu seinem Nachteil. Er war leidenschaftlicher Politiker, er brannte für seine Ideen und Ideale. Oft an beiden Enden gleichzeitig. Umso schmerzlicher hat ihn das Ausscheiden der Liberalen bei der letzten Bundestagswahl getroffen.

„Zwischen zwei Leben“ heißt der Titel seines letzten Buches. Gott hat ihm noch nicht einmal ein ganzes Leben geschenkt. Das Leben ist oft nicht fair. Gute Reise, lieber Guido, unsere Gedanken begleiten Dich dabei! Wolfgang Bosbach

Wolfgang Bosbach (CDU)
Wolfgang Bosbach (CDU)

© picture alliance / dpa

Privat vor Staat - Christoph Steegmans über seinen ehemaligen Chef

Von seiner Großmutter, die auf dem Land in Ostwestfalen gelebt hatte, hatte Guido Westerwelle zwei Bauernweisheiten mit auf den Weg bekommen: „Wer sich immer bückt, wird auch immer gebissen“ – das übersetzte er mit: Mach dich nie kleiner als du bist. Und: „Willst nicht, dass die Raben schrei’n, darfst nicht Kirchturms Spitze sein“ – also: Beschwer dich nicht, wenn du deinen Preis bezahlst für die erste Reihe. Politisch hat Guido Westerwelle in seinen sechseinhalb Jahren als FDP-Generalsekretär, zehn Jahren als FDP-Parteichef und vier Jahren als Bundesaußenminister sich nie klein gemacht und dafür seinen Preis bezahlt.

Persönlich hat Guido Westerwelle in vielerlei Hinsicht deutlich anders getickt als es in der Öffentlichkeit schien – er war im Umgang höflich und bescheiden statt lärmend und laut, achtete auf die zwischenmenschlichen Kleinigkeiten und war sich stets des feinen Unterschieds bewusst zwischen einem bloß äußerlich freundlichen Gesicht und tatsächlicher guter Laune.

Als Guido Westerwelle in ein Restaurant neben seinem Wohnhaus eingeladen hatte, um seine bevorstehende Abschiedsrede als Parteivorsitzender durchzusprechen, bat er mich beim Eintreffen noch kurz hoch in sein Apartment – aber nicht zu einem diskreten Vorab-Gespräch, wie ich zunächst dachte, sondern weil er mich mit meiner Körpergröße und Armlänge brauchte, um ein neues großformatiges Gemälde so an die Wand zu halten, dass er die Bohrstellen für die Haken sauber anzeichnen konnte. Guido Westerwelle stand viel fester im normalen Leben als viele wussten.

Sein wichtigstes Möbelstück war nicht sein Schreibtisch, sondern sein großer Esstisch. Dort versammelte er seine Freundeskreise. Und nach dem Bundestags-Wahlerfolg von 2005 lud er sein komplettes Büro inklusive Fahrern zu sich nach Hause ein, wo er den ganzen Nachmittag in der Küche stand, um uns abends stundenlang selbst zubereitete italienische Köstlichkeiten aufzutischen. Nicht einmal die Getränke durften wir uns selber eingießen, auch das erledigte ausschließlich er mit der Begründung: „Sie alle haben so viel für mich gemacht, heute möchte ich einmal alles für Sie tun!“

Ja, Guido Westerwelle zeigte ungerne Zweifel oder Schwäche – weil er zu oft die Erfahrung gemacht hatte, dass deren Eingeständnis in der öffentlichen Betrachtung nicht als menschliche Regung gewürdigt, sondern als Zeichen der politischen Unfähigkeit ausgeschlachtet wurde. Gleichzeitig fühlte er sich wirklich selten schwach. Er war ein kraftvoller Optimist, der an die Belohnung seiner Anstrengungen durch Erfolg glaubte – zumal er als FDP-Parteichef bei jeder großen und kleinen Wahl erlebte, dass jede Nachlässigkeit sofort zu schlechteren Ergebnissen führte.

Er konnte nicht verstehen, dass bei einer Landtagswahl ein Spitzenkandidat nach der Abschlusskundgebung Freitagnachmittag nach Hause fuhr und am Samstag überhaupt keine Wahlkampftermine mehr hatte, während er selber als Bundesvorsitzender im selben Landtagswahlkampf noch bis in den späten Samstagabend hinein Auftritte absolvierte. Manche haben das „One-Man-Show“ genannt, was in Wahrheit der blanken praktischen Einsicht entsprang: Wenn er es nicht machte, machte es oft gar keiner. Etwas liegen zu lassen war nicht Guido Westerwelles Art.

Zu „seiner“ FDP empfand Guido Westerwelle sehr lange eine beinahe familiäre Bindung. Füreinander da zu sein war ihm immer wichtig. Politisch und vor allem privat. 2008 musste meine Tochter urplötzlich ins Krankenhaus. Meine Frau rief deshalb in Westerwelles Büro an, und die Sekretärin reichte mir einen Zettel in die laufende Besprechung hinein. Guido Westerwelle fragte, was passiert sei, und ich sagte ihm, keine Sorge, nach der Besprechung würde ich in Ruhe dorthin aufbrechen. Er war fassungslos und warf mich praktisch eigenhändig aus dem Büro ins Taxi. Wie ich bloß auf die Idee käme, ein krankes Kind wegen einer Besprechung warten zu lassen! Da waren seine Prioritäten völlig klar, „Privat vor Staat“ ganz simpel dekliniert.

Was er anderen jederzeit und ausnahmslos zugestand, den Vorrang eigener Bedürfnisse und Interessen, hat er sich selber leider zu spät gegönnt. Mit dem Segelboot durchs Mittelmeer, war eine seiner Ideen für später gewesen. Und natürlich endlich mehr Zeit für seine Partnerschaft mit Michael Mronz. „Er hatte es so verdient, sein Leben zu erfüllen, und so wenig Zeit, damit anzufangen“, schrieb mir ein Freund wenige Stunden nach Guido Westerwelles Tod. Und er schrieb dazu: „Er hat viel Ablehnung erfahren für etwas, das er nicht war, und viel Liebe von wenigen für das, was er war.“ Dieser Freund hat recht. Und es gibt vielleicht doch im Nachhinein einige, die in Guido Westerwelle mittlerweile mehr erkennen als nur die öffentliche Person der letzten zwei Jahrzehnte.

Christoph Steegmans (langjähriger Mitarbeiter Westerwelles und FDP-Sprecher)

Der langjährige Mitarbeiter Westerwelles und FDP-Sprecher Christoph Steegmans
Der langjährige Mitarbeiter Westerwelles und FDP-Sprecher Christoph Steegmans

© dpa/picture alliance

Ecken und Kanten - Klaus Wowereit über gemeinsame Treffen

Die Nachricht vom Tod eines vertrauten Menschen erschüttert jeden nachhaltig. Guido Westerwelle ist viel zu früh von uns gegangen. Er hat seinen langen Kampf gegen diese schwere Krankheit Leukämie verloren. Guido Westerwelle war sicherlich eine besondere Persönlichkeit im harten Politikbetrieb. Er hat es sich und den anderen oft nicht einfach gemacht. Er hat polarisiert und Ecken und Kanten gezeigt. Politik ist hart, das wusste er. Politik kann auch sehr unfair sein – das bekam er zu spüren.

Persönlich habe ich Guido in meiner Zeit als Regierender Bürgermeister näher kennengelernt. Über die Parteigrenzen hinweg gab es den persönlichen Respekt und durchaus eine besondere Vertrautheit aufgrund ähnlicher Erfahrungen. Es war damals überhaupt nicht selbstverständlich, offen schwul zu leben. Erst recht nicht als Politiker. Der Tabubruch wurde von mir 2001 vollzogen. Guido und Ole von Beust hatten es danach einfacher. Aber einfacher heißt nicht leicht. Guido wusste, dass es in unserem Land nach wie vor reichlich Diskriminierung gibt. Auch er hat diese erfahren und manchmal darunter gelitten.

Es war sehr schön, ihn und seinen Mann außerhalb der Politik zu treffen. Ohne Scheinwerfer waren unsere Treffen zu viert eine Bereicherung. Bei allen politischen Unterschieden konnte man miteinander lachen und auch manchmal ernst sein. Guido lernte man so von seiner sehr sensiblen Seite kennen. Ich werde diese Begegnungen vermissen. Es war in der Zeit seiner Krankheit bewundernswert, wie er gekämpft hat. „Wir hatten das Ziel vor Augen.“ Leukämie, diese Diagnose verändert schlagartig das ganze Leben. Alles relativiert sich. Hoffnung und Verzweiflung liegen so nahe. Für Guido war es wichtig, seine Erfahrungen mit der Krankheit einer breiten Öffentlichkeit zu erzählen. Die Interviews waren beeindruckend und erschütternd zugleich. Michael stand so fest an seiner Seite. Er hat ihm Kraft gegeben. Jetzt braucht er diese Kraft für sich. Danke für die gemeinsame Zeit. Klaus Wowereit

Der ehemalige Regierende Bürgermeister Berlins, Klaus Wowereit
Der ehemalige Regierende Bürgermeister Berlins, Klaus Wowereit

© Kai-Uwe Heinrich

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