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Wolfgang Ischinger, Jurist und Diplomat. Seit 2008 leitet er die Münchner Sicherheitskonferenz.

© Mike Wolff

Wolfgang Ischinger im Interview: "Donald Trump macht mir Angst"

Der Chef der Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, über die Gefahr neuer Unplanbarkeit, Europas Aufgabe und einen Bundespräsidenten Steinmeier.

Herr Ischinger, Post-Truth, Post-West, Post-Order? So ist der neue Sicherheitsreport überschrieben, den Sie am Montag vorstellen werden. Verstehen Sie noch, was um uns herum passiert?

Seit die USA Weltordnungselemente, die Nato, die europäische Integration, in Frage zu stellen scheinen, bestehen berechtigte Zweifel an den USA als Partner, als Pate der EU. Das Zusammenlaufen alter Krisen mit diesen neuen Fragezeichen führt zu einer maximalen Verunsicherung, die ich in 40 Jahren so bisher noch nicht erlebt habe. Bisher war Außen- und Sicherheitspolitik ein eher statisches Gefüge mit festen Grundmauern und Regeln. Jetzt haben wir es mit einem neuen Aggregatzustand zu tun, mit maximaler Unplanbarkeit. Das ist außerordentlich gefährlich.

Amerika hat nun einen Präsidenten, der dazu beiträgt. Aber brauchen wir immer einen Paten oder ist das für die EU nicht auch eine Chance?

Wenn die Europäische Union nach dem Lissabon-Vertrag krisenfrei eine politische Union hätte etablieren können, wäre sie heute eine handlungsfähige Macht mit geordneten Finanzen. Sie ist aber in einer existenziellen Krise. Das geht so weit, dass in München bestimmte EU-Mitglieder nicht mehr mit dem oder jenem anderen EU-Vertreter auf einem Podium sitzen wollen. Das kannten wir bisher eigentlich nur von Israelis und Arabern. Eine besorgniserregende Entwicklung!

Sie verweigern den Dialog?

In Brüssel müssen sie ja alle zusammen sitzen. Das jetzt ist neu. Mit diesen neuen Fliehkräften – Polen, Ungarn, Brexit, Le Pen – ist eine überfällige Fortentwicklung, eine Emanzipation der EU, sehr schwer durchzuführen. Denn es geht natürlich eigentlich nicht, dass 500 Millionen Europäer ihre Sicherheit dauerhaft outsourcen.

Das heißt?

Ich kann verstehen, dass Washington sich fragt: Warum müssen wir eigentlich nach wie vor den Kopf für die Europäer hinhalten? Aber klar ist auch, wir können auf den Nuklearschutz der USA nicht verzichten. Der schrille Trumpsche Weckruf, Europa müsse mehr beitragen, bietet aber auch eine Chance. Hoffentlich haben die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union den Ernst der Lage verstanden und finden zu einer Linie.

Was sollte die EU denn tun, wenn Trump jemand wie den Europahasser Ted Malloch als Botschafter schicken will?

Die Union könnte natürlich ein Agreement verweigern, aber das wäre grobschlächtig. Sollten die USA tatsächlich jemand schicken wollen, der Europa in die Knie zwingen will, sollte man vertraulich im Weißen Haus anrufen und einen guten Rat geben: Schlagt ihn nicht vor, sonst riskiert ihr eine öffentliche Backpfeife, die wollen wir euch ersparen.

Was müsste die EU sonst noch tun, wenn sie ernst genommen werden will?

Wir müssen erstens hin zu außenpolitischen Mehrheitsentscheidungen, wenn die EU ernst genommen werden will. Bei den außenpolitischen Entscheidungen der EU der vergangenen 20 Jahre wären wir Deutschen kaum jemals von einer Mehrheit überstimmt worden. Nur ein Punkt könnte kritisch sein: die Israelpolitik. Für extreme Fälle, wie bei Israel wegen der besonderen Beziehung zu Deutschland, müsste es eine Opt-out-Möglichkeit geben. Solche Regelungen sind möglich.

Aber hat Trump nicht auch Recht, wenn er einen höheren europäischen Anteil an der Verteidigung fordert? Seit Kennedy fordern alle Präsidenten mindestens zwei Prozent.

Ja. Aber das Zwei-Prozent-Ziel allein ist keine hinreichende Grundlage für deutsche und europäische Verteidigungspolitik. Wir erhöhen unseren Verteidigungsetat doch nicht, bloß weil die USA etwas bestimmtes fordern. Sondern wir müssen den notwendigen Beitrag aus Eigeninteresse leisten, um unser Land und unsere Bevölkerung zu schützen. Wir sollten aber am besten die zwei Prozent durch ein strategisch sinnvolleres Drei-Prozent-Ziel ersetzen: für Verteidigungsausgaben, Entwicklungshilfe und diplomatisch-humanitäre Leistungen zusammen drei Prozent vorsehen. Dieser Ansatz würde dann auch nicht von vornherein von allen Linken abgelehnt werden. Das ist Punkt Nr. 2.

Und der dritte Punkt?

Die EU muss endlich mit Pooling und Sharing ernst machen. Wir geben unser Geld extremst ineffektiv aus. Wenn die EU Mitglieder ihre Jets oder Waffen zusammen einkaufen, müssen sie pro Stück nur die Hälfte zahlen. Wir haben sechsmal so viele Waffensysteme wie die USA bei knapp der Hälfte der Ausgaben, aber unsere Kampfkraft ist kleiner als zehn Prozent. Wir brauchen ein Ende der Kleinstaaterei, und zwar nicht in 20 Jahren, sondern jetzt. Eine strategische Grundsatzentscheidung. Verbunden mit außenpolitischer Entscheidungskraft wären wir Europäer dann eine politisch-militärische Macht, die tatsächlich Eindruck machen würde.

Trump wirft alle Regeln über den Haufen. Kann Europa noch entschiedene Außenpolitik? Das ist doch alles Wischiwaschi.

Ja und Nein. Beim Iran-Vertrag hat die EU gezeigt, dass sie kann, wenn sie will. Das negative Zeugnis ist Syrien. Da hat sie dramatisch versagt, als es um die Flüchtlinge ging, die ja nicht am Roten Platz oder der Pennsylvania Avenue an den Gitterstäben gerüttelt haben, sondern alle in die EU strebten. Spätestens im Herbst 2015 hätte die EU zu einer Friedenskonferenz einladen müssen unter dem Motto: Der Krieg muss jetzt beendet werden. Stattdessen haben wir das nach schlechter Sitte den USA und Russland überlassen. Die europäischen Bürger, die Deutschen wollen nicht in einer Union leben, die keinen Respekt genießt. Im Moment denken leider viele, die EU ist nicht Teil der Lösung, sondern des Problems.

Wie kann es nun in Syrien weitergehen? Am Montag nach der Sicherheitskonferenz wird in Genf weiter verhandelt.

Wir müssen einen kleinen Rückzug antreten: Europäer und USA haben den Fehler begangen, zu fordern, Assad muss weg, ohne eine Strategie zu haben, wie sie das erreichen wollen. Da wir nicht die Bundeswehr schicken und die USA seit den roten Linien auch nicht militärisch eingreifen wollen, haben andere sich durchgesetzt – insbesondere Putin. Es wäre aber ein totaler Holzweg für uns, sich jetzt mit dem Massenmörder Baschar Assad gegen den IS verbünden zu wollen. Das würde nur viele neue Rekruten für den IS bedeuten. Wir dürfen nicht ins Bett mit Assad. Aber wir müssen wohl mit ihm leben, vielleicht noch eine ganze Weile. Denn es gilt: Du kannst einen Krieg nur dann ohne weiteren Krieg beenden, wenn du mit dem verhandelst, der ihn begonnen hat.

Und das Iranabkommen? Iran ist der größte Finanzier von Staatsterrorismus. Ist Trump naiv, oder sind wir es?

Weder noch. Bei dem Abkommen ging es nur um ein Thema, die nukleare Waffentechnologie, nicht um das außenpolitische Verhalten Teherans. Entscheidend ist: Egal, was der Iran sonst macht, mit dem Nuklear-Abkommen ist die Lage besser als ohne. Außer Ministerpräsident Netanjahu kenne ich niemand in der Region, nicht einmal die Saudis, die sagen, wir sollten aus dem Abkommen aussteigen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die USA aus dem Vertrag aussteigen, denn das wäre ein Völkerrechtsbruch, ein massiver Glaubwürdigkeitsverlust. Die USA werden auch wissen, dass wir uns als ihr bester Partner dann nie wieder auf ein solches multilaterales Vertragswerk mit ihnen einlassen würden.

Welchen Hebel gibt es, um Wladimir Putin wieder an die internationale Gemeinschaft heranzuführen?

Ein strategischer Dialog zwischen dem Weißen Haus und dem Kreml ist wichtig: Raketenabwehrsystem, Nuklearfragen, Rüstungskontrolle, Ukraine, China, Syrien, Nordkorea. Die Liste könnte man fast beliebig verlängern. Wünschenswert wäre ein Dialog, der wieder ein Minimum an Vertrauen schaffen könnte. Im Moment gibt es zwischen Washington und Moskau null gegenseitiges Vertrauen, nullkommanull.

Haben Sie Hoffnung, dass Minus (Putin) mal Minus (Trump) Plus ergibt?

Trumps Vorstellung von einem kurzfristigen Deal wird sich an der Wirklichkeit reiben. Denn mit Putin sitzt auf der anderen Seite jemand, der ganz kühl ausrechnen wird, was strategisch für ihn wichtig ist. Dem Bruderkuss, also der Umarmung, sind enge Grenzen gesetzt. Wenn Putin von Trump das Ende des US-Raketenabwehrschirms erreichen würde, würde Trump zuhause vorgeworfen, er schwäche die amerikanische Verteidigungsfähigkeit. Wenn Trump sagt, für die Aufhebung der Sanktionen könnte Russland die Krim doch vielleicht mit der Ukraine gemeinsam verwalten, wird Putin sagen: nur über meine Leiche.

Wie gibt es also Fortschritt?

Trump könnte dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko sagen, lasst das mit dem Nato-Beitritt, wir werden euch anders schützen und mit Russland – unter Ausklammerung der Krim-Frage – über Garantien sprechen, die tragfähiger sind als die von 1994. Ich glaube, Putin hätte weniger Interesse an dauerhafter Destabilisierung der Ukraine, wenn die nicht aus seiner Sicht ein stetiger Rammbock der Nato an seiner Westgrenze wäre.

Macht Trump Ihnen nun eher Hoffnung oder eher Angst?

Trump macht mir Angst. Er hat gesagt, dass er Putin genauso wichtig nimmt wie Angela Merkel. Es kann nicht um Äquidistanz gehen. Es beunruhigt mich, dass er sagt, mal sehen, wer unser Partner ist.

Trumps Wähler stehen an seiner Seite.

Ja, das macht er bisher offenbar gut. Aber abwarten, ob das in einem Jahr immer noch so ist. Hoffentlich befindet er sich in einer rasch steigenden Lernkurve. Was der Mann bisher nicht verstanden hat, ist, dass ein Deal als Bauunternehmer etwas anderes ist als ein Deal in der Außenpolitik. In der Außenpolitik muss man immer die langfristige Glaubwürdigkeit bedenken. Da kann ich nicht das Hotel zum Schleuderpreis kaufen und dann, wenn ich feststelle, im Keller ist der Pilz, gleich wieder verkaufen. In der Außenpolitik geht das nicht. Einmal verlorenes Vertrauen hängt Ihnen da über viele Jahre nach. Auch Trump braucht Partner, die ihm vertrauen.

Obamas berühmte Regionalmacht?

Das war auch ein Fehler, ja. Obama hat außenpolitisch ziemlich viele Fehler gemacht, die die Glaubwürdigkeit der USA in Frage gestellt haben. Insoweit hat Trump außenpolitisch ein Erbe angetreten, bei dem man durchaus manches besser machen könnte. Aber ich sehe bisher keine Anzeichen dafür!

Was sehen Sie denn?

Die USA taugen jetzt leider nicht mehr als das politisch-moralische Führungssymbol des Westens. Ich kann meinem Sohn nicht vermitteln, dass er in diesem amerikanischen Präsidenten den Leuchtturm für Frieden und Freiheit sehen soll. Die Ankunft von Trump bedeutet das Ende des Westens, bei dem die USA der Fackelträger sind, dem die anderen nacheifern können. Diese Denkfigur ist kaputt. Europas Aufgabe ist es jetzt, diesen Verlust zu ersetzen, damit der Westen als Modell und Vorbild – Stichwort Menschenrechte, Freiheit, Würde und Rolle des Einzelnen – nicht ganz verloren geht. Eine große Aufgabe!

Putin schließt derweil neue Allianzen, und wir gucken zu?

Es wäre nötig, jetzt proaktiv, kreativ voranzugehen. In der EU der 28, bald 27, ist das schwer. In Deutschland gibt es auch keine Neigung zu Experimenten. Aber Frau Merkel hat immerhin gerade in Malta vom Europa der zwei Geschwindigkeiten gesprochen. Das als strategisches Ziel wäre neu. Also bewegt sich vielleicht doch was.

Könnte mit Frank-Walter Steinmeier im Bellevue so ein außenpolitischer Think Tank entstehen?

Es ist beruhigend, dass Frank-Walter Steinmeier mit einer sehr guten Mannschaft gleich durchstarten kann. Niemand ist ein besserer Zuhörer, Verarbeiter und Ergebniserzieler als er. Es würde mich aber wundern, wenn er mit der Ambition ins Bellevue ginge, dort eine Art Ober-Außenminister zu geben. Das hat er nicht nötig. Der Job des Präsidenten ist doch ohnehin zu mehr als 50 Prozent Außenpolitik. Steinmeier im Präsidentenamt ist eine klare Win-Win-Situation.

Wolfgang Ischinger ist einer der erfahrensten deutschen Diplomaten, war Staatssekretär und auf Posten in Paris, London und Washington. Die Sicherheitskonferenz baute er seit 2008 zu einer Marke mit Treffen rund um die Welt aus.

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