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Erinnerungsfoto. Linken-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrcke (3. von links) und Andrej Hunko mit Separatistenführer Alexander Sachartschenko in Donezk - auf der Onlineseite novorossijanews.ru

© Tagesspiegel

Wolfgang Gehrcke und Andrej Hunko in der Ostukraine: Linken-Abgeordnete auf Abenteuertour im Kriegsgebiet

Die Linken-Bundestagsabgeordneten Wolfgang Gehrcke und Andrej Hunko brachten Medikamente in die Ostukraine. Die Separatisten in Donezk machen damit Propaganda. Kiew protestiert jetzt in Berlin.

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Ein bisschen schade fand Wolfgang Gehrcke das nach seiner Tour in den Donbass schon: Vom russischen Rostow am Don aus ist der Linken-Bundestagsabgeordnete in die umkämpfte Ostukraine gereist. Und dann drücken die Kontrolleure der selbsternannten "Volksrepublik Donezk" ihm noch nicht einmal einen Stempel in den Diplomatenpass. Dabei wäre das für den stellvertretenden Vorsitzenden der Bundestagsfraktion, wie er selbst zugibt, doch eine nette Erinnerung an den Tag im Kriegsgebiet gewesen, den er gemeinsam mit seinem Abgeordnetenkollegen Andrej Hunko erlebte.

Ein richtiges Abenteuer. So jedenfalls schilderte es Gehrcke bereits am Montag vor Journalisten im "Goldenen Saal" des Jakob-Kaiser-Hauses im Bundestag - dort, wo sonst Fraktionschef Gregor Gysi Journalisten regelmäßig zu seinem Pressefrühstück empfängt. Und so liest es sich auch im Reisebericht, den Gehrcke unter der Überschrift "Auf humanitärer Mission" auf seiner Internetseite veröffentlichte. Ziel der Reise: In Russland eingekaufte medizinische Hilfsgüter mit vier Klein-Lkws in die Ostukraine zu bringen - die beiden Politiker hatten dafür rund 86.000 Euro gesammelt.

Eine Begegnung mit Separatistenchef Alexander Sachartschenko war nach Darstellung von Gehrcke und Hunko nicht geplant. Aber man wollte ihr nicht ausweichen - und wich ihr auch nicht aus. Wie nun den Warlord nennen? Den Begriff Präsident wollten die beiden Linken-Politiker vermeiden, aber auch die im Westen übliche Bezeichnung "Separatist". Gehrcke entschied sich für "Aufständische" - den zunächst verdutzenden Sachartschenko beruhigte er mit dem Hinweis, dass der Begriff "Aufständische" ihm als Linken angeboren sei, "weil wir uns immer so fühlen". Man verstand sich ganz offenbar nicht so schlecht. Gehrcke bilanzierte am Montag: "Wenn man da was will, muss man mit der realen Macht dort reden."

Propagandaerfolg für die Separatisten

Für die Separatisten war die Reise von Gehrcke und Hunko ein Propagandaerfolg. Die beiden Linken-Politiker ließen sich mit dem Chef der "Volksrepublik Donezk", Alexander Sachartschenko, fotografieren. Das sei seit dem Beginn der Kampfhandlungen "die erste humanitäre Mission mit Beteiligung von Vertretern der Europäischen Union" – mit diesen Worten wird ein russischer Unterstützer der Aktion auf der Separatisten-Webseite "Noworossija" (Neurussland) zitiert. Am Ende ihres Besuches hätten die Deutschen zugesagt, sich „mit aller Kraft für die Organisation eines humanitären Konvois aus Deutschland auf staatlicher Ebene einzusetzen“, hieß es.

Der Chef der selbsternannten Volksrepublik Donezk, Alexander Sachartschenko, im Januar
Der Chef der selbsternannten Volksrepublik Donezk, Alexander Sachartschenko, im Januar

© James Sprankle/dpa

Sachartschenko war vor kurzem durch antisemitische Äußerungen aufgefallen. Die Ukraine werde von "elenden Vertretern des großartigen jüdischen Volkes" regiert, sagte er vor drei Wochen. Für Gehrcke und Hunko indes war auch das kein Grund, auf Distanz zu gehen. Im Gegenteil: Sie, die selbst mit einem Kleinbus aus Rostow angereist waren, ließen sich nach dem Gespräch von dem Kriegsherrn einladen, in dessen SUV durch die Stadt fahren. Es geht zunächst zum ehemaligen Wohnhaus der Familie Sachartschenko ("ein Plattenbau, zerbombt, die Fenster zugenagelt", schildert Gehrcke in seinem Reisebericht). Und dann zum Flughafen, der während des Krieges zerstört worden ist. Gehrcke berichtet: "Plötzlich knallt es - über uns hinweg schlägt in 150 oder 100 Metern ein Geschoss sein."

Von den vier Kleinlastern, die in Rostow am Don gestartet sind, brachten die Linken-Politiker nur einen direkt zu den Hilfsempfängern - den für das Krankenhaus in Donezk. Die drei anderen - zwei davon für das Kinderkrankenhaus in Horliwka, einen für die Klinik in Luhansk, schickten sie nur mit den Fahrern auf den Weg - ob sie jemals dort angekommen sind, ist bis heute unklar. Hunko sagte am Freitag, aufgrund der Kampfhandlungen habe bisher nicht die Möglichkeit bestanden, mit dem Kinderkrankenhaus zu telefonieren.

Ukrainische Botschaft protestiert beim Auswärtigen Amt

Die umstrittene Reise in die Ostukraine, einen Tag vor Inkrafttreten der in Minsk vereinbarten Waffenruhe, hat nun ein diplomatisches Nachspiel. Die Botschaft der Ukraine in Berlin schickte am Donnerstag eine Note an das Auswärtige Amt. "Wir bringen darin unsere Besorgnis zum Ausdruck, dass bei einer angeblich humanitären Aktion Unterstützung für die Terroristen geäußert wurde", sagte der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk dem Tagesspiegel. Er kritisierte zugleich, dass Gehrcke und Hunko über Russland in das Separatistengebiet eingereist waren. "Die beiden Abgeordneten haben mit ihrer Reise unsere Gesetze verletzt." Es sei für ausländische Staatsbürger nicht erlaubt, dort die Grenze zu überqueren, wo ukrainische Grenzbeamte nicht kontrollieren könnten. In diesem Fall drohe ein Einreiseverbot in die Ukraine. Melnyk geht davon aus, dass ukrainische Grenzbeamte den beiden Abgeordneten künftig eine Einreise verweigern würden. Das Auswärtige Amt wollte sich zunächst nicht zu der Reise äußern.

Gehrcke hatte die Botschaft vor seiner Reise von der Idee einer Hilfslieferung für das Kinderkrankenhaus in Horliwka schriftlich informiert. "Das wollten wir gern unterstützen und darüber reden, wie man das organisieren könnte", sagte Melnyk. Der Botschafter bot dem Abgeordneten ein Treffen an, Gehrcke habe als Termin den 17. Februar vorgeschlagen. Doch bereits am 14. Februar fuhren Gehrcke und Hunko über die russische Grenze ins Separatistengebiet. "Als wir das erfuhren, waren wir einfach sprachlos", sagte Melnyk. Heute glaubt er, dass die beiden Abgeordneten gar nicht vorhatten, die Aktion ernsthaft mit ihm zu besprechen.

In der Vereinbarung von Minsk haben sich die Ukraine, Russland und die Separatisten darauf verständigt, den Zugang für humanitäre Hilfe nach den Prinzipien internationalen Rechts zu ermöglichen. Nach ukrainischen Angaben war es bisher nicht möglich, Hilfskonvois in das umkämpfte Gebiet zu schicken, weil die Separatisten sie nicht passieren ließen. Dagegen hat Russland schon zahlreiche Konvois in das Separatistengebiet geschickt. Eine unabhängige Prüfung des Inhalts dieser Lastwagen durch die OSZE oder das Rote Kreuz gab es nicht. Internationale Hilfsorganisationen sind in bewaffneten Konflikten grundsätzlich bemüht, die Hilfsgüter nicht an Warlords zu übergeben, sondern möglichst direkt an die Menschen, die Hilfe brauchen.

Diskussionen in der Linksfraktion

In der Linksfraktion gibt es Unmut wegen der Aktion der beiden Abgeordneten des linken Flügels. Am Montag soll die Reise von Gehrcke und Hunko im Fraktionsvorstand ausgewertet werden. Der Sprecher der Linksfraktion, Hendrik Thalheim, betont, es handele sich um eine Initiative von Gehrcke und Hunko, nicht der Gesamtfraktion. Der Vize-Sprecher der Bundestagsfraktion, Michael Schlick, habe die beiden Abgeordneten in seiner Freizeit nach Rostow begleitet. Schlick war - ebenso wie Gehrckes Ehefrau und ein Journalist der linken Zeitung "Junge Welt" nicht mit nach Donezk gefahren und blieb in der russischen Stadt: Die Behörden hatten signalisiert, dass ohne Diplomatenpass eine Wiedereinreise nach Russland zum Problem werden könnte.

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Linken-Fraktionsgeschäftsführerin Petra Sitte verteidigte ihre Abgeordnetenkollegen. Sie sagte dem Tagesspiegel, sowohl die Hilfsaktion als auch der Versuch, sich einen Überblick über die Kriegsregion zu verschaffen, seien legitim. "Dort, wo es kuschelig ist, muss Politik nichts leisten." Anders sieht es der sächsische Linken-Bundestagsabgeordnete Michael Leutert, der Gehrcke und Hunko fehlendes Fingerspitzengefühl attestiert. Gehrcke selbst sieht die Aufregung über die Reise "gelassen". Hunko ist selbstkritischer: "Wir sind in vermintes Gelände gereist", sagte er dem Tagesspiegel. "Ich bin überhaupt nicht glücklich damit, wie das von Donezker Seite propagandistisch genutzt wurde."

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