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Je mehr Interessenten für eine Wohnung, desto höher die Miete. Warum eigentlich?

© dpa

Wirtschaft: Gestörtes Gleichgewicht

Air Berlin ist pleite, und Lufthansa-Tickets werden teurer. Wohnungen sind knapp, und Mieten steigen. So ist es, aber muss es so sein? Über das Prinzip von Angebot und Nachfrage - eine Kolumne

Eine Kolumne von Ariane Bemmer

Dass die Ticketpreise von Lufthansa nach dem Ende von Air Berlin schlagartig stiegen, wurde mit einem Computerprogramm begründet, dessen Algorithmus die Preise dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage anpasse. Die Logik: Weil die Pleite unter anderem bedeutete, dass weniger Flüge im Angebot waren, wurden die vorhandenen teurer. Knappes Angebot gleich höhere Preise. So lernt man das, so macht das der Computer.

So musste der von den Preissprüngen auf den Plan gerufene Kartellamtschef persönlich darauf hinweisen, dass Algorithmen nicht vom lieben Gott programmiert würden, sondern von Menschen, und dass sie somit auch keine gottgegebene Ordnung durchsetzen, sondern in diesem Fall ein Firmeninteresse.

Aber wieso wird das Prinzip, dass Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen, überhaupt so hoch gehalten? Wieso gilt als ausgemacht, dass steigende Nachfrage den Preis treibt? Ein Naturgesetz ist das nicht, und vom lieben Gott kommt es offenbar auch nicht.

Aber der Hinweis auf Gott findet sich auch bei Georg Vobruba, emeritierter Soziologie-Professor aus Leipzig und Buchautor. In seiner Abrechnung „Kein Gleichgewicht – die Ökonomie in der Krise“ verweist er auf eben jenen Gott als vormoderne Begründung der sogenannten Gleichgewichtsökonomie, wonach der Marktmechanismus die verschiedenen wirtschaftlichen Interessen ausgleiche und damit die Gesellschaft stabilisiere. Die göttliche Ordnung ist laut Vobruba im 17. Jahrhundert als eine Art „Beweger“ der Märkte gesehen worden, womit das Gleichgewicht zugleich „faktisches und moralisches Apriori“ wurde. Und an dem Denkmuster habe sich bis heute nicht genug geändert. Zwar verweise heute niemand mehr auf göttliche Ordnungen, doch biete auch niemand empirische Belege dafür, dass – jenseits der Theorie – aus den Faktoren Angebot und Nachfrage ein Gleichgewicht entstehe, das zum Nutzen der Gesellschaft sei. Statt das Theoriemodell je empirisch überprüft zu haben, schreibt Vobruba, sei es zum Prüfkriterium für die Realität geworden.

Eine wachsende Nachfrage bei gleichem Angebot könnte ebenso zu sinkenden Preisen führen. Wenn statt Gewinnmaximierung beispielsweise Verteilungsgerechtigkeit das Ziel wäre. Schließlich steigt, je mehr Menschen etwas nachfragen, die Wahrscheinlichkeit, dass darunter welche sind, die nicht so viel Geld haben.

Mehr Menschen in Berlin gleich höhere Mieten. Muss das sein?

Ihnen auch eine Chance auf ein Flugticket zu geben, könnte ebenso gesellschaftsstabilisierend sein. Praktisch durchsetzbar ist es nicht, weil der Automatismus der Gleichgewichtsökonomie vorherrscht, der zufolge steigende Preise die Zahl der Nachfragenden dezimieren, bis die Platzzahl ausreicht.

Dass die Angebot-und-Nachfrage-Logik nicht unbedingt zum allgemeinen Besten führt, zeigen auch die Mietpreise in Berlin. Wohnungen, die heute kein bisschen größer oder schicker sind als vor zehn Jahren, kosten dennoch bis zu 50 Prozent mehr Miete. Einfach nur, weil mehr Menschen eine Wohnung suchen. Um dem entgegenzuwirken, tritt nun der Staat als Bauherr ins Geschehen ein. Dabei müsste doch schon die in den kapitalistischen Volkswirtschaften ständig wachsende Staatsquote am Bruttosozialprodukt am Segen der Angebot-Nachfrage-Gleichgewichtsökonomie Zweifel wecken.

Die absurdeste Situation dürfte auf dem Arbeitsmarkt für Altenpflege bestehen. Dem allseits beklagten Personalnotstand stehen schlechte Bezahlung und frustrierende Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten gegenüber. Das Prinzip von Angebot und Nachfrage ist in dieser Branche wie ausgeknipst. Hier rechnet kein Lufthansa-schlauer Algorithmus Löhne aus, hier regiert ein niedriges Branchenbudget zum Schaden der Pflegekräfte und der Gepflegten. Dass sich dennoch immer weiter Menschen für die Altenpflege qualifizieren, dürfte mit dem großen Angebot an Ausbildungs- und Qualifizierungsplätzen zu tun haben, die für noch billigeres Geld Personal in die Stationen bringen. Zu den Nachfragern gehören neuerdings oft Geflüchtete, weil sie hier mangels einheimischer Konkurrenz eher einen Platz finden.

Die Unhaltbarkeit der Situation ist bekannt, die Waage von Angebot und Nachfrage längst zu Lasten der Arbeitnehmer gekippt. Das Pflegesystem, die Arbeitgeber, die Kassen müssten nachlegen, um die Schieflage auszugleichen. Tun das aber nicht. Warum nicht? Weil Angebot und Nachfrage am Ende gar nicht so viel bedeuten, wie glauben gemacht wird. Darum sollte das Prinzip auch bei Ticketpreisen nicht als Begründung herhalten dürfen.

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