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Donald Tusk bleibt Präsident des Europäischen Rats

© AFP/John Thys

Wiederwahl von Donald Tusk: Gut, dass Europa den Konflikten nicht mehr ausweicht

Zum ersten Mal in der Geschichte wählt die EU den Ratsvorsitzenden gegen den Willen seines Heimatlandes. Das ist ein Fortschritt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Der 9. März wird als Meilenstein in Europas Geschichte eingehen. Als der Tag, an dem die EU sich auf ihre Handlungsfähigkeit besann. Jaroslaw Kaczynski sei Dank! Donald Trump sei Dank! Polens starker Mann und der US-Präsident halten beide nicht viel von der EU. Aber sie haben, jeder auf seine Weise, dazu beigetragen, dass Europa einen Riesenschritt nach vorne macht. Die EU ändert ihr Erfolgsrezept. Sie setzt auf Mehrheitsentscheidungen, selbst wenn es richtig kracht. Und auf ein Europa mehrerer Geschwindigkeiten. Wer eine weitere Integration skeptisch sieht, muss nicht mitmachen, soll aber die Integrationswilligen nicht hindern dürfen.
Früher galt: Europas Einheit kommt nur im Konsens voran. Offen ausgetragener Streit lähmt. Also muss man Einstimmigkeit anstreben und Kompromisse suchen, bis alle an Bord sind. Mit sechs, mit zwölf, mit 15 Mitgliedern ging das gerade noch. Seit die EU 28 Staaten umfasst, wird die Konsenssuche immer öfter als Erpressungspotenzial missbraucht. Sie führt zu Blockade.

Niederlage für Polen

Am Donnerstag ist Historisches geschehen. Der Streit wurde ausgetragen. Ein Land, das die anderen aus innenpolitischen Gründen, die nichts mit dem gemeinsamen europäischen Interesse zu tun haben, erpressen wollte, erlitt eine öffentliche Niederlage. In diesem Fall war es Polen. Auch andere werden sich die Lektion merken. Die nationalpopulistische PiS-Regierung wollte verhindern, dass Donald Tusk, der allseits geschätzte Präsident des Europäischen Rats, wiedergewählt wird. Parteichef Kaczynski trägt eine persönliche Fehde mit Tusk aus. Im Vertrauen, dass die alten Erpressungsrituale Wirkung zeigen, drohte Polen, den EU-Gipfel zu blockieren. Doch für die Wahl des Ratsvorsitzenden ist Einstimmigkeit nicht erforderlich. Polen fand keine Verbündeten, nicht mal Ungarn, das Warschau sonst beiseitespringt und, zum Beispiel, verhindert, dass die EU Strafen wegen des undemokratischen Vorgehens gegen unabhängige Gerichte und Medien vorbereitet.
Freilich lässt sich dieser neue Geist nicht beliebig oft durchsetzen. Die Gebiete, über die mit qualifizierter Mehrheit entschieden werden darf, sind begrenzt. Bei vielen Themen ist weiter Einstimmigkeit erforderlich. Länder wie Polen, die erfahren haben, wie Mehrheitsentscheidungen ihre Vetomacht schmälern, werden womöglich weniger bereit sein, dieses neue Prinzip auszudehnen.

Die Lähmung abschütteln

Hier kommt Donald Trump ins Spiel. Er ist kein Feind der EU wie Wladimir Putin. Aber auch sein Erscheinen auf der internationalen Bühne hat Europa vor Augen geführt, dass es handlungsfähiger werden und mehr Verantwortung übernehmen muss. Trump bedeutet Unsicherheit. Ist im Ernstfall auf die militärische Beistandsgarantie der USA Verlass, wenn er entscheidet? Würde er einen Zoll- und Handelskrieg führen wegen der Exportüberschüsse Europas? Teilt er dieselben Wertvorstellungen über Migration und den Umgang mit Flüchtlingen? Wegen Trump muss die EU ihre Lähmung abschütteln und ihre Entscheidungsfähigkeit verbessern. Nicht alle wollen da mitmachen, so bleibt nur ein Europa mehrerer Geschwindigkeiten. Die Zeit, in der Konsens und Kompromisssuche ganz oben rangierten, geht zu Ende. Die EU darf Konflikten, bei denen ihre Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit auf dem Spiel steht, nicht mehr ausweichen. Denn dieser Streit ist produktiv.

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