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Der türkische Premierminister Ahmet Davutoglu.

© REUTERS

Wegen Behandlung von Journalisten: Europa erhöht den Druck auf die Türkei

Mehrere Verbände setzen sich für die Freilassung von Journalisten ein. Doch Erdogan und Davutoglu wollen von einer falschen Behandlung nichts wissen.

Selbst aus der Gefängniszelle heraus kann Can Dündar die türkische Regierung in Bedrängnis bringen. Der Chefredakteur der angesehenen Oppositionszeitung „Cumhuriyet“ sitzt zusammen mit dem Ankaraner Büroleiter seiner Zeitung, Erdem Gül, seit dem 26. November wegen des Verdachts des Geheimdienstverrats im Gefängnis Silivri außerhalb von Istanbul in Untersuchungshaft. Doch auch hinter Schloss und Riegel wirft Dündar unangenehme Fragen für Ankara auf.

Journalistenverbände im In- und Ausland setzen sich für Dündar und Gül ein und verlangen deren Freilassung. Die Opposition in Ankara arbeitet an einem Gesetzentwurf, der den beiden Journalisten – und 25 weiteren Reportern, die nach Schätzungen von Kollegen in U-Haft sitzen – die sofortige Freilassung einbringen würde. Spitzenpolitiker wie Ministerpräsident Ahmet Davutoglu werden in der Türkei und bei Reisen ins Ausland ständig auf inhaftierte Medienvertreter angesprochen. Der Druck wächst.

Die heftige Kritik an den Zuständen in der Türkei steht in einem schroffen Gegensatz zur Sicht der türkischen Führung auf die Zustände im Land. Präsident Recep Tayyip Erdogan bezeichnet die türkischen Medien als die freiesten der Welt. Davutoglu sagte jetzt bei einer Begegnung mit westlichen Journalisten in Istanbul, seine Regierung habe vier der fünf größten Zeitungen des Landes gegen sich und gewinne trotzdem die Wahlen.

Sowohl Erdogan als auch Davutoglu verweisen zudem auf ihre eigenen Erfahrungen als Opfer drakonischer Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Erdogan wurde 1998 wegen Volksverhetzung verurteilt, weil er bei einer Rede aus einem frommen Gedicht zitiert hatte. Davutoglu stand damals als Teilzeit-Kolumnist unter dem Druck streng säkularistischer Kreise, die ihm mit dem Ende seiner Karriere als Politik-Professor drohten.

Präsident und Premier wehren sich

Erdogan und Davutoglu betonen auch, in der Türkei könne jeder Journalist schreiben, was er wolle, solange er die Gesetze achtet. Doch genau darin liegt aus Sicht des Europarats, der EU und anderer Kritiker das Problem. Während in der EU die Pressefreiheit als beinahe unantastbar gilt, zieht Erdogan persönlich mit Hilfe seiner Anwälte gegen Journalisten vor Gericht, von denen er sich beleidigt fühlt. Regierungsgegner betrachten das als Einschränkung der Meinungsfreiheit – der Präsident und regierungstreue Richter und Staatsanwälte sehen dagegen eine Verletzung der Rechte des Präsidenten. Auch Davutoglu argumentierte in seinem Treffen mit den Auslandsreportern, es gebe ganz klare Grenzen für den Journalismus. „Freiheit bringt immer auch Verantwortung mit sich“, sagte er. 

Aus Sicht der Justiz machten sich Dündar und Gül schuldig, als sie Fotos von angeblichen Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an syrische Rebellen veröffentlichten. Davutoglu sieht in den Vorwürfen den Versuch der Erdogan-feindlichen Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen, die Regierung in Misskredit zu bringen. In dem bevorstehenden Prozess drohen den Journalisten deshalb lebenslange Haftstrafen. Auch leitende Redakteure des politischen Magazins „Nokta“ sitzen in Haft, weil sie eine Titelgeschichte vorbereitet hatten, die den Erfolg der Erdogan-Partei AKP bei der Parlamentsneuwahl am 1. November als Beginn eines Bürgerkrieges in der Türkei wertete. Damit sollen die „Nokta“-Redakteure zum bewaffneten Aufstand gegen die Regierung aufgerufen haben. Der frühere Chefredakteur der Gülen-nahen Zeitung „Today’s Zaman“, Bülent Kenes, wurde am Freitag vorübergehend von der Anti-Terror-Polizei festgenommen. 

Die merkwürdigen Maßstäbe türkischer Politiker, Richter und Staatsanwälte bei der Bewertung von Aussagen der Presse hatten zuletzt die EU in ihrem Fortschrittsbericht zur Türkei zu scharfer Kritik veranlasst. Doch Ankara zeigt keine Anzeichen für eine Kursänderung. Die Vorwürfe gegen Dündar und Gül hätten nichts mit deren journalistischer Arbeit zu tun, erklärte das Justizministerium jetzt. Vielmehr gehe es um Geheimnisverrat und um die Unterstützung einer Terrororganisation – die Gülen-Bewegung.

Davutoglu erklärte zwar, auch er lehne Untersuchungshaft für Fälle wie den Dündars ab. Doch etwas unternehmen will der Premier nicht: Er wolle nicht den Eindruck erwecken, als mische er sich in die Arbeit der unabhängigen Justiz ein.

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