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Unter Entscheidern. Tagesspiegel-Herausgeber Sebastian Turner (links) und „Zeit“-Geschäftsführer Rainer Esser am Wahlabend.

© Kai-Uwe Heinrich

Wahlveranstaltung von Tagesspiegel und "Zeit": Trost und Hoffnung im "Borchardt"

Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Kultur diskutieren die Ergebnisse der Bundestagswahl – und spüren eine Zäsur.

„Gleich wird’s ernst“, das war ein häufig gehörter Satz vor den ersten Hochrechnungen beim gemeinsamen Wahlabend von Tagesspiegel und „Zeit“. Der Andrang im Restaurant Borchardt war groß, schon vor dem offiziellen Beginn. Viele Spitzenvertreter aus Politik, Wirtschaft und Kultur wollten sich an einem solchen Abend live mit anderen austauschen. Unter einem der großen Fernsehschirme schrieb Wolf Biermann in sein Notizbuch. Als es dann so weit war, sprach Vattenfall-Vorstandsvorsitzender Tuomo Hatakka wohl für viele Gäste: „Das Ergebnis muss man erst mal verdauen.“

Die Gastgeber, Tagesspiegel-Herausgeber Sebastian Turner und „Zeit“-Geschäftsführer Rainer Esser, wünschten den Gästen darauf erst mal einen möglichst wenig deprimierenden Abend. Dagegen halfen allerdings sehr effizient die lebhaften Diskussionen im Gewoge des vollen Lokals. „Schön, dass Sie sich gegenseitig trösten“, sagte Esser und gab temperamentvoll der Hoffnung Ausdruck, dass „die neue Regierung die Wähler von den braunen Gartenzwergen zurückholt“.

Schäuble plädiert für ein Umdenken

Im Gespräch mit Tagesspiegel-Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff schlug Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nachdenkliche Töne an, die schon auf die Gespräche hinter den Kulissen in den kommenden Tagen hinwiesen. „Die Tiefenhaftung unserer parlamentarischen Demokratie wird etwas infrage gestellt“, kommentierte Schäuble, der mit seiner Frau gekommen war, das Ergebnis. Aufgabe der Volksparteien sei es, Lösungen zu erarbeiten, die allen Bevölkerungsgruppen gerecht werden, sagte Schäuble. „Das ist schon besser gelungen.“ Der Widerspruch zwischen dem Eindruck der Leute, es gehe ihnen gut, und dem Wahlergebnis müsse nun aufgearbeitet werden. „Daraus müssen wir die richtigen Konsequenzen ziehen.“ Am Ende gab es viel Applaus für seine Ausführungen.

Auch Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt diskutierte mit den Gästen, die gerade nicht vor den zahlreichen Fernsehschirmen klebten. Kunstanwalt Peter Raue und Publizistin Gertrud Höhler erörterten die Wahlbeteiligung. Maecenata-Chef Rupert Graf Strachwitz, Anna Engelke, Sprecherin des Bundespräsidenten, Grünen-Politiker Rezzo Schlauch, Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne), die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt und KPM-Chef Jörg Woltmann gehörten ebenfalls zu denen, die sich ausgiebig austauschten.

Wo sind die AfD-Wähler?

„Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo sah im Ergebnis eine Zäsur: „Das werden wir noch spüren.“ Ihn überraschte das schlechte Abschneiden der CDU. Ähnlich äußerte sich Staatsoper-Intendant Jürgen Flimm: „Wenn so viele von der CDU zur AfD gehen, das ist ’ne harte Nummer, das hätte ich nicht gedacht. Ob die auch im parlamentarischen Alltag bestehen können, wird sich noch zeigen.“

Die Moderatorinnen Sandra Maischberger und Dunja Hayali rätselten, wo die AfD-Wähler eigentlich sind. Maischberger sagte, sie habe auf das Ergebnis schon vor Monaten ziemlich genau gewettet, nur bei der AfD habe sie niedriger gelegen. Auch Verleger Florian Langenscheidt und Ulf Fink, Vorstandsvorsitzender des Vereins Gesundheitsstadt Berlin, diskutierten mit bei diesem Wahlabend, der ganz offensichtlich einem tiefen Bedürfnis nach Austausch gerade bei den anwesenden Verantwortungsträgern entsprach.

Wolf Biermann hat Hoffnung

Während der Übertragung der Elefantenrunde wurde es deutlich ruhiger als bei vielen Veranstaltungen, wenn Reden gehalten werden – auch das ein Zeichen dafür, wie viele hochpolitisch tickende Menschen hier zusammengekommen waren. Auch nach Stunden waren noch keine großen Abwanderungsbewegungen zu beobachten. Immer neue Ideen, Gedanken und Analysen suchten Adressaten. Diejenigen, die sich nicht sowieso schon kannten, kamen rasch miteinander ins Gespräch, tauschten Kontaktdaten aus. Auch das ein gutes Zeichen, dass in Zeiten großer Herausforderungen die Kräfte gebündelt werden.

Wolf Biermann, der so still vor sich hingeschrieben hatte, sah die Lage immerhin gelassen: „Wie viele bin ich unglücklich darüber, dass die AfD so viele Stimmen geholt hat“, sagte er. „Aber das kann Deutschland so wenig erschüttern wie der Sieg von Trump die USA.“ Dafür gebe es zu viele gesunde demokratische Kräfte.

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