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Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) spricht im Auswertigen Amt in Berlin zu Journalisten.

© Silas Stein/dpa

Wahlniederlage und Klimaziele: Sigmar Gabriel provoziert in den eigenen Reihen

Wer hat schuld am Wahldesaster der SPD? Der Noch-Außenminister mischt sich ein. Und löst einen Klimastreit aus.

Von Hans Monath

Sigmar Gabriel hat kein herausgehobenes Parteiamt mehr inne und ist Außenminister nur noch auf Abruf. Doch in der Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion vom Dienstag hatte der Ex-Parteichef einen Auftritt. Auf Bitte von Fraktionschefin Andrea Nahles berichtete er zum deutsch-türkischen Verhältnis. Er werde sich weiter entschieden für die Freilassung der aus politischen Gründen in der Türkei inhaftierten Deutschen einsetzen, versprach er nach Angaben von Teilnehmern. Zugleich dankte er Altkanzler Gerhard Schröder für dessen erfolgreiche Mission für den Berliner Menschenrechtler Peter Steudtner. Und er machte deutlich, dass die Rolle des Kanzleramtes im Vorfeld von Steudtners Freilassung Ende Oktober bei weitem nicht so groß gewesen sei, wie das behauptet werde. Es ging in dem Beitrag, so empfanden es zumindest einige Zuhörer, um Gabriels eigene Leistung als Außenminister.

Dann nahm der geschäftsführend amtierende Vizekanzler wieder Platz in den Reihen der niedersächsischen Abgeordneten – gewissermaßen als Gleicher unter Gleichen. Dort hörte Gabriel wenig später, wie Parteichef Martin Schulz vor der Fraktion mit seinen Kritikern abrechnete. Er sei bereit, seinen Teil der Verantwortung für die Wahlniederlage vom 24. September zu übernehmen, sagte der angeschlagene Parteivorsitzende und fügte hinzu: Wenn andere, die schon viel länger in der Spitze dabei seien, das anders handhaben wollten, sei das deren Sache.

Gemeint war offenbar der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz, der seit Jahren als stellvertretender SPD-Chef Verantwortung für die Partei trägt und kürzlich mit eigenen Thesen zur Wahlanalyse deutlich gemacht hatte, wie wenig er Schulz den notwendigen Erneuerungsprozess der Partei zutraut. Aber auch Gabriel durfte sich angesprochen fühlen. Denn nach wochenlanger Zurückhaltung hatte der Ex-Parteichef vor wenigen Tagen in Interviews die These von Schulz zurückgewiesen, wonach sein Vorgänger ihm zu spät die Kanzlerkandidatur überlassen habe. Diese Behauptung sei "nur eine Ausrede, um sich mit den wirklichen Gründen für eine Wahlniederlage nicht beschäftigen zu müssen", schimpfte Gabriel und kritisierte scharf die Fixierung auf das Thema Gerechtigkeit im Wahlkampf.

Der Außenminister verärgert nicht nur Schulz. Empört über ihn ist auch die sozialdemokratische Umweltministerin Barbara Hendricks. Denn Gabriel hatte in einem Brief an die EU-Kommission vor zu strengen Klimazielen für die Autoindustrie gewarnt. Prompt stellte sich Hendricks öffentlich quer. Das Schreiben des Außenministers sei "in der Sache falsch" und in der Regierung nicht abgestimmt, donnerte sie. Für die Klimaziele seien anspruchsvolle CO2-Grenzwerte unerlässlich. Fraktionsvize Ute Vogt sprang der Umweltministerin am Mittwoch bei. Die Regierung habe in ihrem Klimaschutzplan konkrete Ziele auch für den Verkehr verabschiedet, die alle Kabinettsmitglieder umsetzen müssten, sagte Vogt: "Das gilt insbesondere für die Kanzlerin und den Vizekanzler."

Gabriels Agieren im Klimastreit und seine Selbstrechtfertigung im Ringen um die Schuld am Wahldesaster lösen in der Fraktion nur noch Kopfschütteln aus. "Alle anderen sind schuld, nur ich nicht – das kommt gar nicht gut an", sagt einer. Ein langjähriger Abgeordneter kommt zu dem Urteil: "Die Fraktion nimmt Gabriel eigentlich nicht mehr ernst." Während einige schon das Ende der politischen Karriere des Niedersachsen postulieren ("Der wird hier nie wieder was") warnen andere davor, das politische Talent und die Instinktsicherheit des Noch-Außenministers zu unterschätzen. Allerdings gebe es "weit und breit keine Truppen, auf die er bauen kann".

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