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SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz spricht bei einer Wahlkampfveranstaltung auf dem Königsplatz in Kassel.

© Swen Pförtner/dpa

Wahlkampf der SPD: Für ein bisschen Anti-Trump-Applaus

Die SPD missbraucht das Zwei-Prozent-Ziel der Nato zur Stimmungsmache - und kapert damit eine sinnvolle Debatte. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Zu den Lieblingsbotschaften der SPD in diesem Wahlkampf gehört die Polemik gegen das Zwei-Prozent-Ziel, also das Ziel, den deutschen Verteidigungshaushalt auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufzustocken. „Verrückt“ nennt Außenminister Sigmar Gabriel das vermeintliche Vorhaben. Martin Schulz und Thomas Oppermann proklamierten im August in einem Zeitungsbeitrag: „Wir sagen deutlich Nein zum Zwei-Prozent-Ziel von Trump und CDU/CSU.“ Und der SPD-Außenpolitikexperte Rolf Mützenich sagte diese Woche im Bundestag, Merkel unterwerfe sich „dem Zwei-Prozent-Diktat eines amerikanischen Präsidenten“.

Merkel, die als Büttel von Donald Trump eine „verrückte“ Aufrüstung Deutschlands betreibt? Dieses Wahlkampf-Zerrbild ist falsch und ärgerlich.

Frank-Walter Steinmeier und die Große Koalition haben den Aufrüstungsbeschluss der Nato mitgetragen

Das Zwei-Prozent-Ziel haben weder Trump noch Merkel erfunden. Die Mitgliedsländer der Nato setzten sich dieses Ziel gemeinsam vor mehr als einem Jahrzehnt. 2014, nach der Annexion der Krim und dem Beginn des verdeckten Krieges Russlands in der Ostukraine, bekräftigten die Nato-Länder auf einem Gipfeltreffen in Wales, verstärkt in Verteidigung investieren zu wollen. In der Gipfelerklärung heißt es, dass die Bündnispartner, die bislang noch nicht zwei Prozent ihres Brutto-Inlandsprodukts für Verteidigung ausgeben, darauf „abzielen“, sich auf diese Marke innerhalb von zehn Jahren „zuzubewegen“. Das ist weich formuliert, an der Absichtserklärung kann es aber keine Zweifel geben – und die wurde vom damaligen Außenminister und Sozialdemokraten Frank-Walter Steinmeier mitgetragen, der neben Angela Merkel und Ursula von der Leyen an dem Gipfel teilnahm. Die große Koalition hat daraufhin ja auch tatsächlich eine erste Erhöhung des Verteidigungshaushalts beschlossen.

Doch seit Donald Trump die niedrigen europäischen Rüstungsausgaben seinerseits zum Wahlkampfthema machte und die Europäer wortgewaltig als Schmarotzer der amerikanischen Sicherheitspolitik brandmarkt, wittert die SPD politisches Kapital in dem Thema. Sie stellt das Ziel vermehrter europäischer Verteidigungsausgaben in den Kontext einer weltweiten Aufrüstungsspirale. An diesem Mittwoch betonte Außenminister Sigmar Gabriel bei einer Abrüstungskonferenz in Berlin: „Wo immer Sie hinschauen, wird über Aufrüstung geredet – in China, in Indien, im pazifischen Raum, in Amerika, in Teilen Afrikas.“ Das Bedrohungsszenario ist natürlich real: Wer ist nicht besorgt über die atomare Aufrüstung in Nordkorea, die russischen Verstöße gegen internationale Abrüstungsabkommen, die stete Steigerung des chinesischen Verteidigungsbudgets und die Aufrüstung im Nahen und Mittleren Osten? Doch der Eindruck, europäische Länder seien Teil dieser Entwicklung, ist überzogen.

Die europäischen Armeen wurden wild zusammengespart, sagen Experten

Seit den 1960er Jahren hat der Anteil der Verteidigungsausgaben am deutschen Haushalt eine immer geringere Rolle gespielt. Besonders scharf nach unten ging die Kurve Anfang der 90er Jahre nach dem Ende des Kalten Kriegs. Und nicht nur in Deutschland. „Die Finanzkrise war ein Einschnitt“, sagt etwa Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik. „Alle Europäer haben wild gekürzt, ohne sich abzusprechen. Es geht jetzt einfach darum, europäische Armeen überhaupt wieder handlungsfähig zu machen.“ Sie sieht die Steigerung der Budgets als „Wiederaufpäppelmaßnahme“. Auch Ulrich Kühn, Fellow am Carnegie Endowment for International Peace, einer US-Denkfabrik, sagt: „Ich halte eine Steigerung der Verteidigungsausgaben in Deutschland für sehr sinnvoll.“

Mit der Ukraine-Krise hatten diese Einsicht fast alle politischen Lager. Vor allem dafür stehen der Nato-Gipfel von Wales und die Zwei-Prozent-Marke. Auch ganz konkret könnten die Deutschen bestimmte Einsätze der Nato gar nicht unterstützen, meint Ulrich Kühn und nennt als Beispiel die Nato-Operation „enhanced forward presence“, vier Bataillone, die Anfang 2017 in die baltischen Staaten verlegt wurden. Im Ernstfall müssten relativ schnell europäische Truppen nachverlegt werden, dazu aber fehlten derzeit die Fähigkeiten.

Es gibt viel berechtige Kritik am Zwei-Prozent-Ziel: Staaten mit niedriger Wirtschaftskraft erreichen dieses prozentuale Ziel viel schneller und auch solche, die ineffizient investieren. Eine bessere Lösung wäre eine bessere Kooperation und Abstimmung in Europa. Man kann auch fragen, ob es wirklich zwei Prozent sein müssen. In Deutschland wären das 60 Milliarden Euro jährlich, damit wäre das Land Nummer eins in Europa bei den Rüstungsausgaben. Doch diese sinnvollen Debatten kapert die SPD mit ihrer pauschalen Kritik – für ein bisschen Anti-Trump-Applaus.

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