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Die Spitzenkandidaten der AfD: Alice Weidel und Alexander Gauland

© Wolfgang Rattay/Reuters

Wahlforscher zur Bundestagswahl: „Die AfD ist demoskopisch schwer zu fassen“

Der Mainzer Wahlforscher Thorsten Faas spricht im Interview über die Schwierigkeit richtiger Vorhersagen - vor allem bei der AfD.

Nach dem ARD-Deutschlandtrend ist die AfD mit 12 Prozent drittstärkste Kraft. Wie wahrscheinlich ist eine „böse Überraschung“ am Wahlabend, mit einem Ergebnis sogar über diesen Werten?

Dieses Ergebnis ist ja nur eines von vielen kurz vor der Wahl. Die Zahlen sind in Bewegung. Die spannende Frage ist, ob sich der Trend steigender Umfrageergebnisse für die AfD fortsetzt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Ergebnis höher ausfällt. Wirklich wissen, ob wir die Ergebnisse der AfD generell unterschätzt haben, können wir aber tatsächlich erst am Wahlabend. Etwa, weil Anhängerinnen und Anhänger nicht an Umfragen teilgenommen haben aufgrund einer skeptischen Haltung gegenüber der Demoskopie. Oder sie geben nicht zu, dass sie die AfD wählen. Wir kennen das ja von der Wahl Donald Trumps…

Umfragewerte ergeben sich nicht nur aus Umfragen, sondern werden verrechnet mit Erfahrungswerten, etwa zum Abschneiden einer Partei. Wie funktioniert das bei einer so jungen Partei wie der AfD?

Umfragen und Ergebnis der Bundestagswahl 2013 taugen nicht unbedingt zum Vergleich, denn die Partei ist nun eine gänzlich andere. Vergleichbarer sind die letzten Landtagswahlen. Die Prognosen zur AfD sind in den letzten Jahren besser geworden, weil man mehr Erfahrungen gesammelt hat. Bei den drei Landtagswahlen in diesem Jahr etwa, also Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, waren die Zahlen im Vorfeld ziemlich gut.

Wie exakt sind also die Ergebnisse mit Blick auf die AfD im Bund?

Eine korrekte demoskopische Einordnung der AfD gehört mit zu den schwierigsten Fragen der aktuellen politischen Situation. Tendenziell werden gerade Themen diskutiert, etwa im TV-Duell, die der Partei nützen können. Das macht es dann besonders schwierig: Wenn eine Partei, die ohnehin demoskopisch schwer zu fassen ist, in Bewegung gerät, weiß man nicht, wie sich der gemessene Trend zum tatsächlichen Trend verhält, denn dafür fehlen ja Erfahrungswerte..

Wäre auch denkbar, dass potentielle AfD-Wählerinnen und Wähler kurz vor der Wahl umschwenken und ihre Stimme lieber einer Partei geben, die zumindest theoretisch mitregieren könnte und wenigstens ein paar Forderungen der AfD teilt?

Das war sicherlich die Strategie der FDP mit ihren Forderungen in der Flüchtlingspolitik. Aber die Verbindung zwischen bestimmten Themen und bestimmten Parteien sind nicht beliebig austauschbar. Wenn plötzlich die FDP über soziale Gerechtigkeit spricht, sammelt sie auch nicht auf einmal SPD-Wähler ein. Einwanderung ist ein prägendes Thema für die AfD, das kann keine andere Partei mal eben in dieser Form übernehmen.

Welche Auswirkungen auf den einzelnen Wähler kann es haben, wenn eine Partei kurz vor der Wahl in Umfragen steigt?

Der Effekt kann in zwei Richtungen gehen: Einerseits ist eine strategische Wirkung auf den Wähler möglich. Etwa, wenn eine bestimmte Koalition favorisiert oder abgelehnt wird. Andererseits kann ein Umfrageergebnis eine eher emotionale Reaktion hervorrufen, beispielweise einen „Mitläufer-Effekt“: Wenn also eine Partei unterstützt wird, weil sie stark in Umfragen dasteht.

Und was kann daraus abgeleitet werden?

Das Problem ist, dass gegensätzliche Effekte möglich sind. 20 Prozent für die SPD können bedeuten, dass Wähler sich abwenden, um ihre Stimme nicht zu verschenken. Es kann aber auch zu einem Mitleids-Effekt kommen, gerade in Verbindung mit einer starken AfD. Das kann man eigentlich nur im Nachhinein interpretieren. Es vorherzusagen, ist fast unmöglich.

Was bedeutet das für die AfD?

Eine starke AfD in Umfragen kann einen kultivierenden oder motivierenden Effekt haben und unsichere Wählerinnen und Wähler davon überzeugen, dass die Partei anscheinend für viele Menschen wählbar ist. Für Anhänger anderer Parteien sind steigende AfD-Werte aber ein Alarmsignal und können eine Mobilisierung gegen die AfD bedeuten. Die Reaktionen hängen also auch davon ab, wie man zur AfD steht.

Teilen Sie die Sorge, dass die Demoskopie nicht nur Stimmungen abbildet, sondern auch Stimmung macht, also Wahlentscheidungen beeinflusst?

Verschiedene Umfragen führen zu verschiedenen Ergebnissen: Den 20 Prozent für die SPD im ARD-Deutschlandtrend folgten 23 Prozent für die Partei im ZDF-Politbarometer. Der Wähler zweifelt dann schnell an der Qualität der Umfragen. Vielleicht mögen einzelne Institute ein Interesse an besonders bemerkenswerten Zahlen haben. Der Branche insgesamt schadet das. Außerdem gibt es eine Tendenz, dass Umfragen, die von Medien in Auftrag gegeben wurden, dann auch den Kern der Berichterstattung dieser Medien ausmachen, während andere Zahlen, die ja durchaus verfügbar sind, außenvorbleiben. Das ist ein echtes Problem.

Heißt das, dass vor allem die mediale Interpretation Einfluss nimmt, nicht die Umfrage selbst?

Die Art, wie die Ergebnisse vermittelt werden, beeinflusst ihre Beurteilung. Das eigentliche Ergebnis der jüngsten Umfragen ist: Alles ist in Bewegung und nichts ist so sicher, wie es vermeintlich erscheint.

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