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Vielfältig: Studierende an der Universität Bonn.

© imago/Joker

Vorschlag zum Integrationsgipfel: Bekenntnis zur Einwanderung muss ins Grundgesetz

Deutschland muss die interkulturelle Öffnung forcieren. Dafür braucht es ein starkes Bekenntnis in der Verfassung. Integration sollte als neues Staatsziel aufgenommen werden. Ein Gastbeitrag.

In einer Zeit, in der die Stimmen der Nationalisten immer lauter werden und sich das gesellschaftliche Klima rapide verschlechtert, ist es notwendig, dass sich die Gesellschaft einmischt und Menschen mit und ohne Einwanderungsgeschichte gemeinsam Verantwortung für Deutschland übernehmen. Vielfalt ist die Stärke, mit der sich unsere demokratische Gesellschaft eine Zukunft in Frieden und Freiheit aufbauen kann.

2016 ist das Themenjahr der „Partizipation“. So wurde es von der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Staatsministerin Aydan Özoguz ausgerufen. Damit wirft sie die Frage auf, wie gleichberechtigte Teilhabe in unserer Gesellschaft funktionieren kann. Auf dem Weg zu einer Einwanderungsgesellschaft sind wir in den letzten Jahren gut vorangekommen. Mit der Anerkennung, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist und mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrecht, das in Teilen noch unvollendet ist, wurden wichtige Schritte gemacht.

Dennoch muss mehr geleistet werden, wenn wir gleichberechtigte Teilhabe für alle Menschen erreichen wollen und Deutschland zu einer Einwanderungsgesellschaft formen wollen. Für ein gemeinsames, vielfältiges Deutschland braucht es mehr Menschen in entscheidenden Positionen in der Politik, in Behörden, in Unternehmen, in den Medien. Und es braucht mehr Vertreter*innen der Migrant*innenorganisationen, die direkt an den Entscheidungsprozessen beteiligt sind.

Denn immer noch sind Menschen mit Migrationshintergrund in den Institutionen und Organisationen, vor allem im öffentlichen Dienst, stark unterrepräsentiert. Immer noch sind sie sind öfters befristet, seltener verbeamtet, überproportional in niedrigeren Positionen vertreten. Und immer noch gehören Ausschlusstendenzen zur Normalität. Es ist an der Zeit dies zu ändern, damit die Debatte einen entscheidenden Schritt vorangebracht und zeitgemäß geführt wird. Was als zu oft fehlt sind Zukunftsbilder und Veränderungsvorschläge.

Über fünfzig Migrant*innenorganisationen wollen das ändern und machen in Bezug auf die interkulturelle Öffnung Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Integrationsgipfel konkrete Vorschläge, mit einem Impulspapier, welches vier direkte Ziele und 29 verschiedene Maßnahmen benennt.

Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik haben so viele Migrant*innenorganisationen gemeinsam ein derart breites Spektrum an konkreten Veränderungszielen und Maßnahmen bezüglich der interkulturellen Öffnung erarbeitet. Die Forderungen richten sich an Institutionen und Organisationen der sogenannten Mehrheitsgesellschaft ebenso wie an die Migrant*innenorganisationen selbst. An ihren eigenen Beitrag, der zu recht eingefordert werden kann.

Ein besonderer Fokus liegt bei der Bundesregierung und Entscheider in Bund, Ländern und Kommunen, da hier eine Pflicht besteht, eine demokratische Vorbildfunktion einzunehmen. Sie müssen deutlich handeln.

Die interkulturelle Öffnung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die in alle gesellschaftlichen Sphären und Politikbereiche übertragen werden muss. Hier liegt die Herausforderung. Die Migrant*innenorganisationen wollen mit einer gemeinsame Stimme darauf aufmerksam machen, an welchen Stellen wir Handlungsbedarf sehen. Zwei Fragen stehen dabei im Vordergrund: Wie kann die Realität der Einwanderungsgesellschaft endlich auch die Organisationslandschaft erreichen? Und was können Organisationen tun, um gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen?

Es fehlt ein positiveres Bild der Einwanderungsgesellschaft

Was fehlt ist vor allem ein positiveres Bild der Einwanderungsgesellschaft. Deshalb heißt es im ersten Ziel: „In Organisationen und Institutionen, wie Vereine, Verbände, Parteien und öffentliche Verwaltung, sind Strategien zur interkulturellen Öffnung umgesetzt sowie Vielfalt und Teilhabe gelebte Grundüberzeugung.“

Nur ein starkes, materielles Bekenntnis zur Einwanderungsgesellschaft im Grundgesetz wird positive Veränderungen in der Organisationslandschaft fördern. Deshalb gib es den Vorschlag, ein neues Staatsziel ins Grundgesetz als Art. 20b aufzunehmen. Im Wortlaut heißt dies: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein vielfältiges Einwanderungsland. Sie fördert die gleichberechtigte Teilhabe, Chancengerechtigkeit und Integration aller Menschen.“

Erst wenn Vielfalt und Teilhabe gelebte Grundüberzeugungen sind, kann eine gleiche Chance für alle geschaffen sein. Das Ziel ist Teilhabe für alle. Gesellschaftliche Gruppen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Das Staatsziel verhindert aber auch einen Rückfall in frühere Zeiten und es wäre eine klare Botschaft an alle Menschen mit ausländischen Wurzeln in Deutschland und all jene, die täglich neu dazu kommen: Ihr gehört dazu! Ihr könnt teilhaben!

Eine weitere Maßnahme, um dieses Ziel zu erreichen ist, dass interkulturelle Öffnung zur Chefsache gemacht werden muss, indem diese als Führungsaufgabe in den Organisationen und Institutionen festgelegt wird – gleichrangig wie Themen der Finanzierung und Strategie. Hierfür braucht es eine Sensibilisierung der Führungsebenen durch Schulungen. Diversity-Beauftragte sollen eingesetzt werden, ebenso ein Qualitätsmanagment. Gute Beispiel dafür gibt es bereits: Das Projekt „ViVe – Vielfalt in der Verwaltung“ indem drei Berliner Bezirke bei der Umsetzung der interkulturellen Öffnung von der „Landesstelle für Gleichberechtigung – gegen Diskriminierung“ in Berlin und „Eine Welt der Vielfalt e.V.“ begleitet werden.

Fordert einen Gipfel gegen Rechtsextremismus von Kanzlerin und Ministerpräsidenten: "DeutschPlus"-Vorsitzender Farhad Dilmaghani.
Fordert einen Gipfel gegen Rechtsextremismus von Kanzlerin und Ministerpräsidenten: "DeutschPlus"-Vorsitzender Farhad Dilmaghani.

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Das zweite Veränderungsziel setzt sich zur Aufgabe, dass die Migrant*innenenorganisationen in die Prozesse der interkulturellen Öffnung eingebunden und dafür in ihrer Professionalisierung unterstützt werden. Migrant*innenorganisationen vertreten die Interessen der überwiegenden Mehrheit von 16 Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte in Deutschland. Es sollte daher selbstverständlich sein, dass  sie bei politisch diskutierten Fragen des Zusammenlebens in der  Einwanderungsgesellschaft eingebunden sind.

Ein Vorschlag ist, dass der Bund den Aufbau professioneller Organisationsstrukturen auf Bundesebene mit mindestens 10 Millionen Euro pro Jahr unterstützt. Die Bundesländer sollten eigene Finanzierungstöpfe einrichten. Hier kommt Berlin eine besondere Vorreiterfunktion zu, da Berlin diesen Weg schon frühzeitig angegangen ist.

Rot-Rot-Grün muss hier jetzt Farbe bekennen und sollte den Migrant*innenorganisationen jährlich rund eine Millionen Euro für den Aufbau professioneller Strukturen zur Verfügung stellen. Das ist gut investiertes Geld für Brückenbauer, die wir in der Einwanderungsgesellschaft brauchen. Auch wäre unter anderem die Gründung eines Nationalen Rats zur interkulturellen Öffnung, dem Beispiel des Nationalen Ethikrats oder den Wirtschaftsweisen folgend, sinnvoll. Ein solches Gremium untermauert die Bedeutung der interkulturellen Öffnung in Deutschland und sichert das Vorankommen.

Das dritte Veränderungsziel zielt auf die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen, die mitgestalten und mitentscheiden wollen: Der Anteil von Menschen mit Einwanderungsgeschichte, die Entscheidungsfunktionen wahrnehmen, soll sich in Organisationen und Institutionen deutlich erhöhen.

Es ist wichtig, Quoten in Führungspositionen festzulegen

Da Menschen mit Einwanderungsgeschichte in vielen Verbänden, Parteien und öffentlichen Verwaltungen noch immer stark unterrepräsentiert sind, ist dieses Ziel von zentraler Bedeutung, um in einer wirklichen Einwanderungsgesellschaft zu leben. Und es ist seit langem bekannt und benannt – und hat in den letzten Jahren im Zuge der Quotendiskussion immer wieder besondere Aufmerksamkeit bekommen.

21 Prozent der Bevölkerung in Deutschland hat eine Einwanderungsgeschichte, der Anteil der Bundestagsabgeordneten mit Einwanderungsgeschichte beträgt aber zum Beispiel nur fünf Prozent. So ist es wichtig Quoten in Führungspositionen festzulegen. Denn diese tragen unmittelbar zur interkulturellen Öffnung bei. Die Repräsentation von Menschen mit Einwanderungsgeschichte in der Bundesverwaltung proportional zum  Bevölkerungsanteil wäre das Ziel.

Zu guter Letzt muss in einer Gesellschaft dafür gesorgt werden, dass alle Bürger*innen unabhängig ihrer Herkunft die Leistungen von Organisationen und Institutionen in gleicher Qualität erhalten. Das heißt zum einen: sprachliche Barrieren abbauen und kultursensible Angebote machen. Aber es heißt zum anderen auch, effektiver vor Diskriminierung zu schützen. Es geht also nicht nur darum, neue Fähigkeiten und Angebote in Organisationen aufzubauen. Es geht um ein verändertes Mindset in Organisationen, damit visible minorities keine Benachteiligungen mehr aufgrund ihrer Herkunft erfahren.

Eine Maßnahme dafür ist, dass der Diskriminierungsschutz bei der Erbringung von Leistungen verbessert werden muss. Wichtig ist es, Antidiskriminierungsstellen auf Länderebene zu stärken und auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. Auch hier nimmt Berlin eine Vorreiterrolle ein mit dem geplanten Landesantidiskriminierungsgesetz.

Das Ziel ist es nun die Veränderungsvorschläge und die Maßnahmen an die Bundesregierung und die Entscheider im Bund, Ländern und Kommunen weiter zu reichen, nur so können die Rahmenbedingungen für eine interkulturelle Öffnung geschaffen werden. Es geht um den Dialog, bei dem wir besprechen, welche der Maßnahmen in welchen Umfang und in welcher zeitlichen Perspektive umsetzbar sind.

Die Veränderungsziele können ein neues Selbstverständnis von Deutschland als Einwanderungsgesellschaft voranbringen. Die Umsetzung kann aber nur erfolgreich sein wenn zentrale gesellschaftliche und staatliche Akteure dies unterstützen. Mit dem Papier bringen die Organisationen zum Ausdruck, dass wir alle ein gemeinsames Deutschland gestalten sollen und wir allen entgegentreten müssen, die unsere selbstverständliche Zugehörigkeit zur Einwanderungsgesellschaft und unseren Teilhabeanspruch infrage stellen.

Die interkulturelle Öffnung der Gesellschaft ist anstrengend. Ja sicher. Aber sie ist demokratisch geboten und auch eine der wirksamsten Maßnahmen, um autoritären gesellschaftspolitischen Ansätzen etwas Nachhaltiges entgegenzusetzen. Machen wir die interkulturelle Öffnung zur Chefsache, es lohnt sich für uns alle gemeinsam!

Farhad Dilmaghani ist Vorsitzender und Gründer von "DeutschPlus – Initiative für eine plurale Republik e.V.“, einem Netzwerk von Menschen mit und ohne Einwanderungsgeschichte aus den Bereichen Wissenschaft, Medien, Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft. Es setzt sich für ein vielfältiges Deutschland ein.

Farhad Dilmaghani

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