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Donald Trump am 3. September 2015.

© Reuters

Von Trump zu Tsipras: Wähler lieben Rebellen, aber nicht die Revolution

Trump, Sanders, Corbyn, Tsipras: Politische Freibeuter kommen gut an. Doch am Ende siegen die Volkstribune nicht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Es brodelt in den USA. Politische Freibeuter mischen die Kandidatenkür für die Präsidentschaftswahl 2016 auf. Rechts wie links wird der Favoritensturz plötzlich vorstellbar – und die Faszination daran beschleunigt den Aufstieg der Außenseiter weiter. Bei den Demokraten hat sich Hillary Clintons Vorsprung vor Bernie Sanders, der sich als „Sozialist“ vorstellt, in wenigen Wochen halbiert, von 50 auf 25 Prozentpunkte. Wenn sich die Stimmung hält, wird er sie in einigen frühen Vorwahlstaaten, voran New Hampshire, besiegen – und die Eigendynamik, die solch eine Sensation auslöst, wird unkalkulierbar.

Was ist mit den Amis los?

Bei den Republikanern hat der Immobilien-Milliardär Donald Trump mit deftigen Sprüchen, die bewusst gegen die „Political Correctness“ verstoßen und zum Teil offen fremdenfeindlich sind, alle seriösen Mitbewerber distanziert. Über den Sommer ist die Zustimmung zu ihm von nahe Null auf 30 Prozent gestiegen. Ex-Favorit Jeb Bush bleibt im Keller um die 9 Prozent. Auch der Zweitplatzierte Ben Carson, Afro-Amerikaner und Neurologe, ist ein Quereinsteiger in die Politik. Auch er redet ungeschützt. Trump und Carson binden fast die Hälfte der republikanischen Wählerschaft.

Was ist mit den Amis los? Könnten sie am Ende die Wahl zwischen Trump und Sanders haben – als Folge einer Revolution gegen das politische Establishment? Oder sind dies nur Ausläufer eines Sommertheaters und setzt sich in wenigen Wochen die Vernunft durch – sprich: Clinton und Bush oder ihresgleichen –, sobald die Bürger bei den Vorwahlen ab Jahresbeginn 2016 in den Wahlkabinen stehen? Die Spannung zwischen zwei Polen des demokratischen Wahlaktes ist über die Jahre immer fühlbarer geworden. Einerseits nimmt der Individualismus zu und damit der Wunsch nach Politikern, die nicht vorgefertigt und systemkonform erscheinen, sondern Authentizität vermitteln. Andererseits sind die Wähler aktive Mitglieder einer Bürgergesellschaft und erwarten, dass Wahlen zu einer handlungsfähigen Regierung führen, die liefern kann, was versprochen wurde. Dafür ist der Wahlsieger auf eine Organisation angewiesen, die ihn stützt, ganz voran seine Partei, aus der sich auch sein Team rekrutiert.

Das System domestiziert seine Rebellen

Der verstärkte Hang zu Volkstribunen, die sich explizit gegen das politische System und seine Regeln profilieren, ist auch in Europa zu besichtigen, links wie rechts: Alexis Tsipras in Griechenland, Parteirebell Jeremy Corbyn als Favorit für den Labour-Vorsitz in Großbritannien, Marine Le Pen in Frankreich, Geert Wilders in den Niederlanden.

Zu besichtigen ist freilich auch, unter welchen Druck die Gewählten kommen, wenn sie liefern müssen – und die Wähler, wenn unübersehbar wird, dass sie nicht nur über Sympathien, sondern über die Regierungsfähigkeit entscheiden. Kann Tsipras nach sieben Monaten Realitätstest noch mal siegen? Wie viele Wahlniederlagen unter dem Banner der linken Lehre wird Labour Corbyn, wenn er es denn wird, erlauben, ehe die Partei sich einem Pragmatiker zuwendet, der zwar nicht ideologisch begeistert, aber die wahlentscheidende Mitte gewinnen kann? Le Pen mag in die Stichwahl kommen, Präsidentin wird sie nicht. Da stimmen die französischen Sozialisten dann bei aller gegenseitigen Abneigung eher mit den Gaullisten und umgekehrt.

Lange vor Tsipras haben die Deutschen an Gerhard Schröder und Joschka Fischer erlebt: Das System domestiziert seine Rebellen, sobald sie an die Macht kommen. Nicht sie heben die Ordnung aus den Angeln; umgekehrt müssen sie deren Mechanismen nutzen, um Reformen anzustoßen. Wer sich verweigert, scheitert rasch. Wer sich einordnet, verliert allmählich den Rebellen-Bonus und muss Erfolge vorweisen, um wiedergewählt zu werden.

Auch in den USA lieben die Bürger die Verheißung der Rebellen, fürchten jedoch die Unregierbarkeit. Wann die Furcht die Sehnsucht überflügelt, hängt vom Bild ab, das sich die Bürger von ihrem Staat machen, und vom Wahlsystem. Die Kandidatenkür in den USA ist basisdemokratisch. Oft siegen vermeintliche Underdogs gegen die Wunschkandidaten des Parteiestablishments, wie Obama gegen 2008. Aber jeder US-Bürger weiß: Der Präsident bleibt mindestens vier Jahre. Es gibt keine Verkürzung durch vorzeitiges Scheitern oder Verlust der Mehrheit. Tsipras in Griechenland für ein paar Monate kann die Welt überleben. Die Vorstellung, dass ein Donald Trump oder Bernie Sanders für vier Jahre die Weltmacht lenkt, ist für die Mehrheit der Amerikaner nicht akzeptabel. Spätestens in der Wahlkabine.

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