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Angela Merkel bei einer CDU-Wahlkampfveranstaltung in Nordrhein-Westfalen.

© dpa/Marius Becker

Versuchte Wahlmanipulationen: Muss Merkel jetzt auch die Hacker fürchten?

Seit Monaten wird vor einer Manipulation von Wahlen in Europa durch Hackerangriffe gewarnt. Jetzt hat es den französischen Kandidaten Macron getroffen. Wie viel Angst muss Angela Merkel haben?

Nach der Hackerattacke auf den französischen Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron steht die Frage bedrohlich ernst im Raum: Ist Angela Merkel das nächste Opfer? Die Warnungen sind jedenfalls laut und deutlich. Sie stammen aus dem Bundeskanzleramt, dem Justizministerium, von den Geheimdiensten.

Demnach hat die deutsche Regierung keinen Zweifel daran, dass versucht werden wird, von außen auch die Bundestagswahl im kommenden September zu beeinflussen. Die Rede ist von Cyberangriffen, Desinformationskampagnen, der gezielten Publikation von Informationen, die durch Hackerangriffe erbeutet wurden. Es wird einen Wahlkampf neuer Prägung geben, heißt es.

Die These klingt im höchsten Maße plausibel – auch vor dem Hintergrund der jüngsten amerikanischen Erfahrungen mit der Perfidie offenbar vom Kreml gesteuerter Hackerangriffe. Angela Merkel ist Kanzlerin des stärksten und wichtigsten Landes der Europäischen Union. Sie hat die längste Regierungserfahrung, unterstützt als treibende Kraft die EU-Sanktionspolitik gegenüber Russland wegen der Krim-Annexion und des Krieges im Osten der Ukraine. Aus Wladimir Putins Sicht dürfte sie ein ideales Ziel seines Propagandafeldzuges gegen den Westen insgesamt, die Nato und Europäische Union sein.

Trump ist eine lebende Warnung

So weit, so klar. Oder etwa nicht? Zwei Faktoren sprechen dagegen – das abschreckende Beispiel der letzten US-Präsidentschaftswahl und das zunehmend negative Image von Wladimir Putin in Deutschland. Merkel gilt als berechenbar und stabil. Der Wert ihrer Berechenbarkeit wird verstärkt durch den Schock, den in Deutschland die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten ausgelöst hat. Einmal mehr schienen sich dadurch viele Annahmen der Deutschen über die leichte Verführbarkeit der Amerikaner, ihre Korrumpierbarkeit und den Show-Charakter ihrer Politik bestätigt zu haben.

Im Umkehrschluss folgte daraus der Imperativ: Das kann uns nicht passieren! Wir fallen nicht auf Fake-News, Breitbart, twitternde Kandidaten, Wikileaks-Veröffentlichungen oder Rush-Limbaugh-Parolen herein! Der gute Deutsche ist fest davon überzeugt: Amerikaner sind politisch unreif, wir Deutschen politisch reif.

Das Ansehen der Vereinigten Staaten ist in Deutschland ohnehin auf einem Tiefpunkt. Nur 50 Prozent haben ein gutes Bild von Amerika, 45 Prozent ein schlechtes. Das ergab eine Umfrage des Pew-Research Centers vom Juni 2015, zu einer Zeit also, als Barack Obama noch amtierte. Als Hauptgrund galt damals die NSA-Spionageaffäre. In jedem anderen europäischen Land fiel das Urteil über die USA positiver aus. Mit Trump dürfte sich das Bild von Amerika in Deutschland weiter eingetrübt haben. Trump ist gewissermaßen eine lebende Warnung, wohin Rechtspopulismus führen kann. Ein abschreckendes Beispiel.

Merkel könnte gestärkt aus Angriffen Putins und Trumps hervorgehen

Mit dem Brexit und der Wahl Donald Trumps hat sich der Rechtspopulismus gewandelt. Aus dem Charme des Oppositionellen, gekoppelt an eine direkte, angriffslustige Sprache, ist plötzlich ein real existierender Rechtspopulismus geworden. Mit geplanter Mauer zu Mexiko, Protektionismus, Ausländerfeindschaft. Trotz und Protest haben als Motivation, rechts zu wählen, ausgedient. In Theresa May und Donald Trump kann jeder sehen, wohin das führt.

Sollte Putin in den deutschen Wahlkampf eingreifen, wäre die Replik der führenden Politiker an die Adresse der deutschen Wähler klar: Wollt ihr euch dadurch ebenso verunsichern lassen wie die Amerikaner, politisch unreif werden, den Kompass verlieren? Womöglich würde ein Eingreifen Putins, verbunden mit fortgesetzten Angriffen Trumps auf Merkel die Popularität der Kanzlerin sogar steigern.

Ja, auch Deutsche mögen viele kritische Fragen haben zur Flüchtlingspolitik oder zur Europäischen Union. Aber sie möchten auf keinen Fall so klingen wie Trump. Und sie möchten sich auf keinen Fall dem Vorwurf aussetzen, ebenso leicht, wie Amerikaner es taten, auf russische Propaganda hereinzufallen. Dann lieber Merkel wählen, zu ihr halten. Zumal der Slogan „Merkel muss weg!“ auch die zentrale Parole der rechtspopulistischen AfD ist. In diesem Sinne stehen Anti-Trumpismus, Antiamerikanismus und deutscher Nationalismus einem Erfolg russischer Wahlmanipulationsversuche im Wege.

Danke, liebe Trump-Wähler!

Bleibt das Image Putins. Traditionell fühlen sich viele Deutsche Russland nahe. Die Wiedervereinigung hat diese Tendenz noch verstärkt. Willy Brandts Ostpolitik war populär, die Kalte-Kriegs-Rhetorik der Konservativen unpopulär, die Kriegsschuld mit Millionen sowjetischer Toten mahnte die nachfolgenden Generationen zur Versöhnung. Doch seit der Annexion der Krim, dem fortgesetzten russischen Krieg im Osten der Ukraine und vor allem der militärischen Parteinahme Russlands für Syriens Diktator Assad gibt es kaum noch jemanden, der Putins Politik verteidigt. Die Bilder aus Aleppo wirken nach. Als Alternative zur transatlantischen Partnerschaft wird Russland – trotz Trump – nicht mehr wahrgenommen.

Ist Angela Merkel das nächste Opfer russischer Desinformation? Wahrscheinlich nicht. Vor allem die Umstände, die zur Wahl Donald Trumps geführt haben, dürften eine Wiederholung verhindern. Geschichte ereignet sich zum ersten Mal als große Tragödie, zum zweiten Mal als lumpige Farce, schrieb Karl Marx. Manchmal aber genügt die Warnung vor der Tragödie, um vor der Farce bewahrt zu bleiben. Danke, liebe Trump-Wähler!

Eine Langfassung dieses Artikels erschien zuerst in der “Washington Post”.

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